Gemeinsames Projekt von Fischern und Naturschützern befreit Nord- und Ostsee von Plastik- und anderen Abfällen

Hörstel/Berlin. Acht Männer streifen sich Arbeitshandschuhe über und greifen in einen speziellen Müllhaufen auf dem Gelände der Kunststoffsortieranlage Systec Plastics in Hörstel bei Osnabrück. Sie sortieren in dieser Woche die Hinterlassenschaften, die Fischer der Nord- und Ostsee mit ihren Netzen versehentlich aus dem Meer gezogen haben. Die Fischer haben sich dem europäischen Projekt „Fishing for Litter“ angeschlossen, das in Deutschland vom Naturschutzbund (Nabu) koordiniert wird. Es soll einen Beitrag leisten, um vor allem Plastikabfälle in den Meeren zu bekämpfen.

Mehr als 70 Fischer aus acht deutschen Häfen werfen den missliebigen „Beifang“ nicht wieder über Bord, sondern nehmen ihn, in großen Beuteln verstaut, mit an Land, um ihn in extra aufgestellten Containern zu beseitigen. Den Anfang machten 2011 die Fischer von Heiligenhafen, Burgstaaken (Fehmarn) und Sassnitz. 2012 kam mit Norddeich der erste Nordsee-Hafen dazu. Und seit Februar dieses Jahres ist die gesamte ostfriesische Küste mit im Boot – durch eine Kooperation des Nabu mit dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, der Nationalparkverwaltung und dem Staatlichen Fischereiamt Bremerhaven.

„Bei unserer ersten Sortierung im Februar 2012 hatten wir 500 Kilo Müll aus der Ostsee, bei der zweiten zu Beginn dieses Jahres 380 Kilo. Jetzt waren es 1,8 Tonnen Abfälle aus der Nordsee und weitere 330 Kilogramm Ostseemüll“, sagt Projektleiter Dr. Kim Detloff vom Nabu in Berlin. Während die erste Sortierung vor eineinhalb Jahren gewichtsmäßig von drei schweren Ölfässern dominiert war (eines wog halb gefüllt allein 70Kilogramm), sei der frische Müll deutlich heterogener gewesen, berichtet Detloff.

In der Ostsee haben die Fischer meist Grundschleppnetze verwendet und deshalb Müll aufgelesen, der zu Boden gesunken war. „In der Nordsee sind auch Krabbenkutter beteiligt, die mit engmaschigeren Netzen auch Abfälle aus dem Wasserkörper einfangen. Dadurch hatten wir unter anderem Folienreste, Flaschendeckel oder Papier aus Zigarettenschachteln“, sagt Kim Detloff. Während der Plastikanteil der ersten Sortierung bei rund 30 Prozent lag, seien es dieses Mal deutlich mehr als 50Prozent, schätzt der Projektleiter – die genaue Gewichtsanalyse soll Ende kommender Woche vorliegen.

Fishing for Litter ist keine Erfindung des Nabu. Die Idee stammt aus den Niederlanden und ist ein Projekt von KIMO International (Kommunenes Internasjonale Miljøorganisasjon, Internationale Umweltorganisation der Kommunen). Es startete in den Niederlanden/Belgien und auf den schottischen Shetlandinseln. Inzwischen wird auch im Südwesten Englands, in Schweden, Irland, Dänemark und Norwegen Müll aufgefischt. Anders als in Deutschland arbeiten bei KIMO einzelne Kommunen mit Fischereiverbänden zusammen. Insgesamt beteiligen sich mehrere Hundert Fischerboote in mehr als 40 Häfen im Nord- und Ostseeraum.

In Deutschland liegt die Leitung mit dem Nabu bei einer Umweltorganisation. Eine weitere Spezialität ist die genaue Mülluntersuchung durch die Kooperation mit der DSD GmbH (Duales System Deutschland). „Wir wollen über diesen Weg mehr über die Herkunft des Mülls erfahren“, sagt Detloff, „auch, um Ansatzpunkte für vorbeugende Maßnahmen zu bekommen.“

Die Umweltkonvention OSPAR zum Schutz des Nordostatlantiks hat für den entlang der Spülsäume am Strand aufgelesenen Unrat 116 Abfallkategorien geschaffen. Diese sollen bei der Herkunftsbestimmung helfen. Detloff: „Wir haben viele Folien, Eimer, aufgedrehtes Tauwerk und Netzreste gefunden. Das alles deutet auf die Schifffahrt als Quelle hin. Besonders ärgerlich war die Vielzahl von Farbeimern, meist mit Korrosionsschutzfarbe. Manchmal klebte noch der Farbroller in den Resten – offensichtlich kommt es immer noch vor, dass nach Ausbesserungsarbeiten die Eimer achtlos von Bord gestoßen werden.“

Die DSD GmbH wolle mit ihrer Teilnahme vor allem Problembewusstsein wecken, sagt DSD-Sprecher Helmut Schmitz. „Wir wollen für die Kreislaufwirtschaft werben, denn 80 Prozent des Meeresmülls kommt von Land. Aber es geht uns auch darum, zu erfahren, in welchem Zustand der Müll ist und ob er zu verwerten ist.“ So hätten spanische Kollegen in einem EU-Projekt speziell die Verwertbarkeit von Netzresten untersucht und festgestellt, dass sie technisch machbar ist.

Allein die Existenz des Projektes könne das allgemeine Bewusstsein über das Müllproblem im Meer schärfen, hofft auch Kim Detloff. Das gilt auch für die Fischer: „Die Fischerei entwickelt ein Verständnis dafür, was verlorene oder zerrissene Netze im Meer anrichten können. Dennoch gehen Netze verloren, etwa wenn sie an einem Fels hängen bleiben oder bei Schlechtwetter über Bord gehen. Es wäre wichtig, die sogenannten Geisternetze wiederzufinden“, betont der Meeresbiologe. So könnten Netze mit Sendern ausgestattet werden, die bei Verlust den Standort verraten.

Die Fischer seien sehr kooperativ, sagt der Nabu-Experte. „Es wird immer einfacher, das System auszubauen, denn es gab bereits viel positive Resonanz auf Fishing for Litter. Das Projekt wird unter den Kollegen weiterempfohlen.“ Der größte Engpass liege beim Nabu-Personal. Denn für jeden neuen Hafen muss ein regionaler Entsorger überzeugt werden, einen Container und Platz zur Zwischenlagerung bereitzustellen. Noch sind die gesamte schleswig-holsteinische Nordseeküste und große Abschnitte der Ostseeküste, etwa von Lübeck bis Rostock, nicht ins Projekt eingebunden. Aber es werde daran gearbeitet, diese Lücken allmählich zu füllen, so Detloff.

Trotz des kooperativen Projektes gebe der Nabu seine fischereipolitischen Positionen nicht auf, betont Detloff. „Wir fordern weiterhin großflächige fischereifreie Zonen in den Wattenmeer-Nationalparken und kritisieren den Beifang von Seevögeln in Stellnetzen. Die Ansprechpartner sind oft dieselben wie beim Fishing-for-Litter-Projekt. Die Tatsache, dass man dort bereits miteinander spricht und die gegenseitigen Sichtweisen kennengelernt hat, hilft bei allen weiteren Diskussionen.“ Auf diesem Weg geht die wohltuende Wirkung von Fishing for Litter noch über die Abfallentlastung des Meeres hinaus.