Viele würden ihn wohl für einen Waschbären halten: Der Marderhund fühlt sich besonders im Süden der Hansestadt wohl

Hamburg. Er kam von Osten, immer an der Elbe entlang. Waren es am Anfang noch vereinzelte Tiere, die im Stadtgebiet angetroffen wurden, nimmt die Population des Marderhundes jetzt deutlich zu. „Gerade in Harburg haben wir steigende Streckenzahlen“, sagt Markus Willen, Geschäftsführer des Landesjagd- und Naturschutzverbandes in Hamburg. Vor 2010, belegen Daten der Wirtschaftsbehörde, die in der Hansestadt für das Jagdwesen verantwortlich ist, dass die Zahl der auf Hamburger Boden erlegten Marderhunde im einstelligen Bereich liegt. „In der Jagdsaison 2012/2013 waren es schon 29 Tiere, wovon zwei im Straßenverkehr getötet wurden“, sagt Roland von Kampen von der Wirtschaftsbehörde. Trotz des massiven Anstiegs des Neuen unter Hamburgs Säugetieren bekommen ihn nicht allzu viele Menschen zu Gesicht. Denn der ursprünglich aus Sibirien, China und Japan stammende Hundevertreter ist nachtaktiv und recht scheu. Und wenn er tatsächlich doch einmal erspäht wird, wird er gerne mit Waschbär oder Dachs verwechselt.

„Als hätte man einen Waschbären mit einem Dachs gepaart“, beschreibt Guido Hollmichel von der Revierförsterei Hausbruch den pelzigen Einwanderer dann auch. Die schwarze Zeichnung im Gesicht (die sogenannte Maske) erinnert an die des Waschbären, der lang gestreckte Körperbau – bis zu 68 Zentimeter Körperlänge, plus bis zu 25 Zentimeter Schwanz – und die langen, melierten Haare an einen Dachs. Nur hochbeiniger ist der Marderhund, der wissenschaftlich Nyctereutes procyonoides heißt und umgangssprachlich auch Enok genannt wird.

Wegen seines dichten Pelzes wurde er ab den 1920er-Jahren in der ehemaligen Sowjetunion gezüchtet. Freigelassene Tiere breiteten sich danach über das Baltikum und Nordeuropa aus. In den östlichen Bundesländern hat man deshalb auch schon länger mit dem Neozoon, wie Wissenschaftler eine eingewanderte oder eingeschleppte, ursprünglich gebietsfremde Art nennen, zu tun. In Hamburg tauchte der Marderhund dagegen erst vor zehn Jahren erstmals auf.

Bei der Ernährung gleicht der Enok eher dem Dachs als dem Fuchs

„Marderhunde sind Allesfresser. Zu ihrer Nahrung gehören bodenbrütende Vögel und deren Eier und Jungtiere, Insekten, Kleinsäuger, Amphibien, aber auch etwa Eicheln, Beeren und Aas“, sagt Roland von Kampen. Darin gleiche er eher dem Dachs als dem Fuchs, denn Letzterer würde aktiver jagen, erläutert Guido Hollmichel. Während der baumbewohnende Waschbär in punkto Unterkunft aus dieser Truppe herausfällt, streiten sich Marderhund, Dachs und Fuchs um ihre unterirdischen Bauten. „Der Marderhund verdrängt den Fuchs oft aus dessen Bau. Während Fuchs und Dachs schon einmal friedlich einen gemeinsamen Bau nutzen können, wobei sich der Dachs seinen Kessel etwas tiefer gräbt als der Fuchs, klappt das mit dem Marderhund nicht“, sagt Markus Willen. Der streitbare Einwanderer ist ein Einzelgänger und mit seinem Verhalten ein Standortkonkurrent für unseren heimischen Rotfuchs.

Doch nicht nur das: „Als Nesträuber par excellence ist er eine Gefährdung für alle Bodenbrüter, darunter zum Beispiel auch für den Wachtelkönig“, sagt Guido Hollmichel. Das verstärkte Auftreten des Marderhundes vor allem in Neuland und Gut Moor sieht er deshalb mit Sorge. Doch aus der Erfahrung mit dem Säugetier, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wüsste man nun einmal, dass man in Zukunft mit dem kleinen Raubtier leben müsse, so Hollmichel: „Wir müssen uns damit anfreunden, dass er jetzt hier ist. Außer Autos haben die erwachsenen Tiere keine Feinde.“ Das Einzige, was zu schwankenden Bestandszahlen führe, sei die Räude, eine Milbenerkrankung, die von den Füchsen beziehungsweise aus deren Bauten auf die Marderhunde übertragen werden kann.

Fotofallen könnten helfen, mehr über die Tiere zu erfahren

Wirklich nützlich sei der Marderhund, zum Beispiel für die Reduzierung von Nagetieren, auch nicht, sagt der Revierförster: „Das Beutespektrum wird bereits von Fuchs und Dachs ausreichend abgedeckt.“ Durch seine heimliche, nachtaktive Lebensweise und vor allem durch seine Winterruhe entzieht er sich auch weitestgehend der Jagd, auch wenn er zum jagdbaren Wild zählt. „Im Duvenstedter Brook ist uns die Jagd auf ihn jedoch nicht erlaubt“, sagt Jan Malskat, Revierförster in dem zweitgrößten Hamburger Naturschutzgebiet (nach den Kirchwerder Wiesen, vom Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer abgesehen). Es ginge ihm nicht darum, dort mehr schießen zu dürfen – „nur wenn es tatsächlich vermehrt Probleme mit den Marderhunden im Brook geben würde, könnten wir wenigstens ein wenig gegensteuern“, sagt Malskat.

Eines der Probleme, das dort derzeit hauptsächlich von Wildschweinen ausgelöst wird, ist die Beeinträchtigung der Kranichbrut. „In diesem Jahr hatten wir zehn Jungtiere von acht Paaren, das ist ein sehr gutes Ergebnis“, sagt Heinz Peper vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Hamburg. Doch die Befürchtung sei da, dass die Marderhunde sich an den Gelegen der Bodenbrüter vergreifen könnten. Ein Marderhund, der schwimmend die Elbe überquert hatte – die Tiere sind hervorragende Schwimmer, können dafür aber nicht gut Klettern –, hatte erst vor zwei Jahren auf der Elbinsel Lühesand für die teilweise Auflösung der dortigen Schwarzkopfmöwenkolonie gesorgt.

Jan Malskat hätte deshalb ein großes Interesse daran, vielleicht als Diplomarbeit eines Zoologen oder eines Forstwirtes, eventuell mit Fotofallen mehr über das Treiben der Marderhunde im Duvenstedter Brook zu erfahren. Und auch über ihre Anzahl, denn die könne er nicht einmal abschätzen. Ähnlich sieht es für die Gesamtzahl des Enoks für Hamburg aus. Die Chancen, eines der Tiere zu sehen, ist jetzt jedenfalls am größten: „Nach der Wiesenmaht sind die Tiere jetzt als Familien unterwegs“, sagt Malskat.