Einige Patienten zeigen ungewöhnliche Hirnreaktionen auf sinnlose Satzkonstruktionen. Forscher meinen, dass sie höhere Chancen haben, wieder aufzuwachen.

Bielefeld. „Paul trinkt seinen Kaffee mit Zucker und Socken.“ Mit solchen Nonsens-Sätzen versuchen Bielefelder Hirnforscher zu erkennen, wie gut die Chancen von Wachkoma-Patienten sind, wieder aus dem Koma aufzuwachen. Denn einige von ihnen zeigen auf solche unsinnigen Sätze ungewöhnliche Hirnreaktionen. „Der Patient mit dieser Messkurve ist später wieder aufgewacht“, sagt Inga Steppacher und zeigt auf das Kurvendiagramm auf dem Tisch vor sich. „Wir nennen das „das mentale Hä“.“ Deutlich ist der starke Ausschlag zu erkennen, der zeigt, dass der Wachkoma-Patient auf eine solche unlogische Wortkombination mit einer Veränderung der Gehirnströme reagiert hat.

Weit über 100 solcher Diagramme hat die Neuropsychologin ausgewertet, um herauszufinden, ob sie etwas über den weiteren Verlauf bei Patienten mit dem sogenannten apallischem Syndrom aussagen. Unlogische Satzenden sorgen für jede Menge Aufregung im menschlichen Gehirn. Das sucht nämlich automatisch nach einem Sinn – und schlägt mentale Purzelbäume, wenn es keinen findet.

Auch manche Patienten, die in einem Wachkoma liegen und anscheinend nichts von ihrer Umwelt mitbekommen, reagieren mit starken Schwankungen der Gehirnströme auf Nonsens-Sätze. Das zeigten die Kurvendiagramme vieler akuter Wachkoma-Patienten der Kliniken Schmieder in Allensbach am Bodensee. Die Mediziner der Reha-Klinik hatten zehn Jahre lang ihren Wachkoma-Patienten unterschiedliche Geräusche, Texte und eben auch die Sätze vom Kaffee mit Socken vorgespielt und dabei die Gehirnaktivitäten aufgezeichnet.

„Eine riesige Datenfülle, die bislang aber noch nicht unter dem Aspekt ausgewertet worden war, ob bestimmte Reaktionen der Gehirnströme in Verbindung gebracht werden können mit der Wahrscheinlichkeit des Wiedererwachens“, erläutert Steppacher. Die Hirnforscherin untersuchte nun, welche der Patienten nach der Entlassung aus der Rehaklinik das Bewusstsein wiedererlangt hatten.

Zunächst wertete die Wissenschaftlerin aus, wie die Patienten auf akustische Signale wie zum Beispiel Klopfen oder Händeklatschen reagiert hatten. Hinweise auf mögliche Heilungschancen gaben diese Daten aber nicht. Anders bei den unlogischen Sätzen. Hier fand Steppacher eindeutige Verbindungen: Von den Patienten, die auf die Nonsens-Sätze reagiert hatten, waren mehr als 80 Prozent später aus dem Wachkoma aufgewacht.

Konkret wurde die Krankheitsgeschichte von 87 Patienten ausgewertet. Von denen hatten sich 30 „erholt“, beherrschten also wieder wenigstens ein Mindestmaß an Kommunikation. 15 der 87 Menschen hatten im Wachkoma auf Nonsens-Sätze reagiert, 14 von den 15 wachten später wieder auf. Von den 72 Patienten, die nicht auf diese sinnlosen Sätze reagiert hatten, wachten zwar auch einige wieder auf. Die Zahl war mit 16 im Verhältnis allerdings wesentlich geringer.

Indikator für Wahrscheinlichkeit des Aufwachens

Für die Bielefelder Hochschulprofessorin Johanna Kißler, die diese Studie betreut hat, zeigt die Untersuchung ein eindeutiges Ergebnis: „Wir haben hier einen guten Indikator für die Wahrscheinlichkeit des Aufwachens gefunden.“

Die Reaktion bedeute nicht etwa, dass die Probanden den Inhalt dieser Sätze verstanden hätten. Aber ihr Gehirn scheine doch zu einer Art der Sprachverarbeitung fähig zu sein, die bei anderen Wachkoma-Patienten nicht möglich sei, erklärt Steppacher. „Für diese Reaktion müssen gleich mehrere Hirnstrukturen zusammenarbeiten. Wir vermuten, dass darin auch der Schlüssel zum Wiedererwachen liegt: dass das Gehirn zwar im Moment etwa durch einen Verkehrsunfall oder Schlaganfall schwer geschädigt ist, dass bestimmte Bereiche aber weiterhin korrekt arbeiten.“

„Wir haben das immer schon gesagt: Schaut genau hin, wie die Patienten reagieren. Aber es muss eben erst messbar und wissenschaftlich nachweisbar sein, bevor es Beachtung findet“, lautet die spontane Reaktion von Armin Nentwig auf die neuen Erkenntnisse der Bielefelder Forscher. Der Vorsitzende der Deutschen Wachkoma Gesellschaft Schädel-Hirnpatienten in Not setzt sich seit mehr als 20 Jahren für die Verbesserung der Situation von Wachkoma-Patienten ein und begrüßt die Bielefelder Studie als einen „Schritt in die richtige Richtung“.

„Es muss aber noch viel mehr geforscht werden. Wir wissen viel zu wenig über dieses Krankheitsbild, das an Bedeutung gewinnt“, sagt Nentwig, dessen Sohn 1988 nach einem Skiunfall ins Wachkoma fiel und sechs Monate später starb. Es sei „wichtig, dass solche Ergebnisse dazu führen, dass die aktive Rehaphase verlängert wird“. Wachkoma-Patienten würden viel zu schnell aus den Rehakliniken in die Pflege „abgeschoben“.

Die Bielefelder Studie zeigt nach Ansicht von Inga Steppacher auch, dass es selbst nach mehreren Jahren noch eine Chance auf die Rückkehr aus dem Wachkoma gibt. „Wir haben gesehen, dass von den Patienten, die sich erholt haben, fast die Hälfte erst nach drei bis fünf Jahren aufgewacht ist.“ Die Hirnforscher setzen deshalb jetzt auf weitere Untersuchungen. So wollen sie unter anderem testen, wie Wachkoma-Patienten darauf reagieren, wenn Gefühle mit ins Spiel kommen und die Nonsens-Sätze zum Beispiel von der eigenen Mutter vorgelesen werden.