Norddeutsche verbringen 6,5 Stunden am Tag in dieser ungesunden Haltung, Süddeutsche sogar 7,4 Stunden. Fazit der Umfrage unter anderem: Selbst kleine Bewegungen im Alltag werden zunehmend gemieden.

Berlin. Man will mehr und tut doch zu wenig: Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass dieses Dilemma insbesondere für Bewegung zutrifft. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) mehr als 1000 Deutsche zu ihren Bewegungsgewohnheiten befragt. Die Ergebnisse wurden am Dienstag zusammen mit Olympiasiegerin Magdalena Neuner auf einer Pressekonferenz in Berlin präsentiert. Die Umfrage habe ergeben, dass nicht nur die Anzahl der Sportmuffel weiter gestiegen ist, sondern auch, dass kleine Bewegungen im Alltag zunehmend gemieden werden, so das Fazit der Umfrage.

Schuld daran ist häufig der Wunsch nach Effizienz: Meist führt der schnellste Weg zur Arbeit ins Auto oder in die Bahn. Radfahren oder zu Fuß gehen kostet oft viel mehr Zeit. „Nur vier von zehn Menschen hierzulande sind im Alltag noch zu Fuß unterwegs“, sagt Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner. Dafür sitzt der deutsche Arbeitnehmer heutzutage umso länger – durchschnittlich sieben Stunden am Tag. Das ist eine Stunde mehr, als allgemein als angenehm empfunden wird. Denn von den Befragten fühlten sich nur jene wohl mit ihrem Bewegungspensum, die am Tag nicht mehr als sechs Stunden sitzen müssen.

Etwa dieses Limit gilt nicht nur für das Wohlbefinden, sondern auch für den Gesundheitszustand. 6,7 Stunden täglich saßen jene Teilnehmer im Schnitt, die ihren Gesundheitszustand als „sehr gut“ bezeichneten. Diejenigen, die weniger damit zufrieden waren, kamen dagegen auf gut eine halbe Stunde mehr Sitzzeit pro Tag: durchschnittlich 7,3 Stunden. Beim Sitzen ist Deutschland allerdings nicht gleich. Es gilt: Wer jung ist oder einen hohen Bildungsabschluss hat, sitzt mehr als ein älterer Mensch mit geringerem Bildungsabschluss. Das hat weniger mit der Einstellung, sondern vielmehr mit dem Job zu tun: Ein höherer Bildungsabschluss führt häufiger zum Schreibtischjob. Und ein Rentner hat mehr Zeit für Bewegung als ein Berufstätiger.

Während Befragte im Seniorenalter nur etwa 6,2 Stunden am Tag sitzen, kommen 18- bis 35-Jährige auf etwa 7,5 Stunden. Besonders hart trifft es solche, die ihren Job am Schreibtisch erledigen. Diese Bevölkerungsgruppe sitzt durchschnittlich 9,6 Stunden am Tag.

Interessant ist allerdings, dass der Süden Deutschlands anders als der Norden sitzt. Hier gibt es ein deutliches Süd-Nord-Gefälle: Während man in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen im Schnitt 6,5 Stunden pro Tag sitzt, kommt der Bayer auf etwa 7,4 Stunden Sitzzeit pro Tag. Zumindest ein bisschen, aber nicht maßgeblich weniger sitzen die Baden-Württemberger pro Tag – durchschnittlich 7,2 Stunden.

Das ist halb so wild, möchte man meinen – schließlich kann man die verbleibenden Stunden des Tages ja noch für Sport nutzen. So lautet zumindest die Theorie. Tatsächlich treibt aber nicht einmal jeder zweite Bundesbürger regelmäßig Sport. Jeder Fünfte bezeichnet sich selbst gar als einen „Antisportler“ und macht überhaupt keinen Sport. Doch während die Zahl der Antisportler zumindest gleich hoch geblieben ist, steigt die der Sportmuffel sogar noch weiter. Im Jahr 2007, bei einer vorherigen Befragung der Techniker, hatten sich noch 24 Prozent als Sportmuffel geoutet – sie machen nicht einmal eine Stunde Sport pro Woche. Jetzt sind es schon 32 Prozent.

Während die Sportvermeider (also Antisportler und Sportmuffel) 2007 also noch knapp in der Minderheit waren, bilden sie mit 52 Prozent nun die Mehrheit. „Bewegung wird für zunehmend mehr Menschen zum Fremdwort“, sagt der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas. Ebenso wie bei der Sitzdauer gibt es allerdings auch hier Unterschiede innerhalb der Bevölkerung. Besonders bewegungsmüde zeigen sich die 36- bis 45-Jährigen, die von der TK als Sandwich-Generation bezeichnet werden. Eingeklemmt zwischen Job und Familie bleibt dieser Altersklasse kaum Zeit für sportliche Aktivitäten.

Bei ihnen gibt es deshalb besonders viele Sportvermeider. Im Schnitt kommen die 36- bis 45-Jährigen damit auf genauso viel Sport wie die Mitte 60-Jährigen – und das ist viel zu wenig. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rät zu 150 Minuten moderatem Training pro Woche oder alternativ zu 75 Minuten intensivem Training plus Kräftigungsübungen. Von der Erfüllung dieser Empfehlung ist die Sandwich-Generation meist weit entfernt. Dem Stress im Job allein kann man hier jedoch nicht die Schuld zuweisen. Denn erstaunlicherweise machen diejenigen Berufstätigen, die mehr verdienen, durchschnittlich mehr Sport als die Geringverdiener. Die TK-Studie konnte zeigen: Je höher der Verdienst, umso seltener neigt der Arbeitnehmer zum Antisportler. Ab einem Nettoeinkommen von 4000 Euro betreibt sogar fast jeder Vierte mindestens drei Stunden Sport pro Woche.

Erstaunlich ist ebenso, dass sich die Sportbegeisterung nach Ost und West aufteilt: Im Osten Deutschlands leben mehr Sportmuffel als im Westen. Besonders in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kann man sich kaum zur körperlichen Ertüchtigung aufraffen. 64 Prozent der Einwohner betreiben nie oder nur selten Sport. Vorbildlicher verhalten sich dagegen die Baden-Württemberger: Nur 39 Prozent verweigern sich regelmäßigem Sport. Damit ist ihr Bundesland das sportfreudigste.

Auch Profisportlerin Magdalena Neuner hat „einen inneren Schweinehund“

Warum das so ist, könne noch keiner sagen, sagt Baas. „Bisher können wir nur die Verteilung von Sportvermeidern in Deutschland beschreiben. Daraus können aber noch keine kausalen Schlüsse gezogen werden“, sagt Baas.

Dem Sport gänzlich abgeneigt ist allerdings kaum jemand, weder in Ost- noch Westdeutschland. Denn sogar erklärte Antisportler treibt das Gewissen um: Die Hälfte von ihnen glaubt, dass Sport förderlich für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden wäre. Nur 15 Prozent meinen, dass ihnen die Sportvermeidung guttäte. „Diejenigen, die sich zu wenig bewegen, sind sich meist bewusst, dass sie sich zu wenig bewegen“, sagt Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner.

Was aber bringt so viele Sportvermeider dazu, wider besseres Wissen zu handeln? Ganz oben auf der Liste der Ausreden steht die Motivation. Knapp die Hälfte gibt an, sich nicht zum Sport aufraffen zu können. Körperliche Beschwerden und Zeitmangel kommen direkt danach. Immerhin noch mehr als ein Fünftel der Sportvermeider schiebt alles auf das schlechte Wetter. Und sogar Olympiasiegerin Magdalena Neuner gibt zu: „Sogar eine Profisportlerin hat einen inneren Schweinehund.“

Bezahlt werden diese Ausreden von den Sportflüchtigen selbst, denn: Wer weniger Sport betreibt, ist meist ungesünder. Nur 40 Prozent der Sportvermeider bezeichnen ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut. Demgegenüber fühlen sich neun von zehn Intensivsportlern gut oder sehr gut. Beachtenswert ist jedoch auch hier ein bundesweites Gefälle: Die Süddeutschen fühlen sich gesünder als die Norddeutschen. Während knapp 90 Prozent der Bayern mit ihrer Gesundheit zufrieden sind, sagt in Norddeutschland nur jeder Zweite, dass es ihm gut oder besser gehe.

Unterschiede gibt es auch zwischen Ost und West: Während in Westdeutschland nur jeder Zehnte über eine schlechte gesundheitliche Verfassung klagt, ist es im Osten jeder Fünfte. „Wir müssen noch klären, was Henne und was Ei ist: Sind die Menschen zufriedener, weil sie sich mehr bewegen? Oder bewegen sie sich mehr, weil sie zufriedener sind?“, sagt Baas.

Auch wenn diese Fragen zunächst unbeantwortet bleiben, bestünde jetzt Handlungsbedarf. Seiner Meinung nach müsste nicht nur in Betrieben und Kommunen, sondern auch in Schulen und in Kindergärten Maßnahmen dagegen ergriffen werden.