Zum Austausch mit Kollegen, zum Jammern über Frust im Labor oder zum Anpreisen von Ergebnissen – viele Forscher nutzen inzwischen soziale Netzwerke. Doch der Trend hat auch seine Tücken.

New York. Im Haar von Christie Wilcox wippt eine weiße Blume. Wild mit den Händen gestikulierend steht die 27-jährige Biologin im bunten Kleid vor einem bis auf den letzten Platz besetzten Saal voller Wissen-schaftler und redet über ihr Lieblingsthema: Social Media. „Wie viele von euch twittern?“ Einige Hände gehen zaghaft in die Höhe. „Das sind zu wenige. Kommt, ich zeige euch jetzt sofort, wie man ein Twitter-Profil einrichtet. Wie wäre es mit dir im weißen Kleid?“

Die angesprochene junge Frau geht nach vorne zu Christie Wilcox, die sofort per Laptop, Beamer und Leinwand zu erklären beginnt, wie der Kurznachrichtendienst funktioniert. „So, das hier ist dein neues Profil, wie sollen wir dich nennen?” Unschlüssig zuckt die junge Wissenschaftlerin im weißen Kleid mit den Schultern. „Was machst du denn?“, fragt Wilcox. „Nuklearforschung? Dann versuche es doch mal mit dem Twitter-Namen ‚@nukegirl‘.“ Gelächter im Saal.

Aber Wilcox meint es ernst. „Es kann nicht sein, dass die Welt sich Wissenschaftler immer noch als weißhaarige ältere Männer mit Brille, Bart und Hemd in irgendeinem Elfenbeinturm vorstellt. Wir müssen unser Image ändern“, sagt sie mit Nachdruck.

Plötzlich regt sich Unmut unter den Zuhörern. „Hey, das will ich aber entschieden zurückweisen“, grummelt ein Mann, der in der letzten Reihe sitzt – und der das gerade von Wilcox beschriebene Klischee voll bestätigt: weißes Haar, weißer Bart, Brille, Hemd, in der Hand ein schon recht veraltet wirkendes Mobiltelefon.

„Auf solche Menschen treffe ich häufig“, erzählt Wilcox kurz darauf, als das Seminar vorbei ist. „Ich bin schon gegen Dutzende Wände gelaufen mit diesem Thema. Das ist auch ein Zusammenprall der Generationen. Gerade viele ältere Wissenschaftler halten Social Media für Quatsch und sagen, für so etwas hätten sie doch keine Zeit.“ Aber Wilcox hält dagegen: „‚Nehmt euch die Zeit‘, sage ich dann. Oder lasst es eure Studenten machen. Jedes Labor sollte twittern, schließlich bekommen die meisten öffentliche Forschungsgelder und forschen über Themen, die die Menschen etwas angehen.“

Wilcox, die an der University of Hawaii in Manoa giftige Feuerfische erforscht, hat bei Twitter schon fast 9000 Follower – also Leute, die ihren Kurznachrichten folgen. Soziale Medien betrachtet sie auch als notwendige Eigenwerbung für jeden jungen Wissenschaftler. „Vor ein paar Jahren, bevor ich mit all dem angefangen habe, habe ich mal nachgeschaut und alles, was man bei Google über mich finden konnte, war ein Text, den ich mal über einen Klassenausflug in der Schule geschrieben habe“, erzählt die Biologin. „Da habe ich mir gedacht, ich will mein Bild im Internet ab jetzt selbst bestimmen – schließlich sehen das ja dann auch potenzielle Arbeitgeber, wenn sie mich googeln.“

Wilcox legte eine Website an, begann zu twittern und zu bloggen. Mit einer online veröffentlichten Zusammenstellung von Links namens „Social Networking for Scientists“ will sie junge Wissenschaftler an soziale Netzwerke heranführen. „Wir müssen uns klarmachen, dass wir nicht alle Professoren werden. Eine Statistik besagt, dass 86 Prozent der Doktoranden in den USA niemals Uni-Professor werden, also müssen wir andere Jobs finden. Mit dem Bloggen bilden wir uns weiter: Man lernt dadurch, besser zu schreiben und Netzwerke zu bilden.“

Die schlagfertige und selbstironische Wilcox – ihr Twitter-Name lautet „nerdychristie“, auf Deutsch etwa „Streber-Christie“ –, die für Social-Media-Seminare durch die gesamten USA reist, ist der Star der Szene. Um sie herum hat sich eine ganze Schar von twitternden und bloggenden jungen Wissenschaftlern gebildet, die sich aufmachen, das Image von Forschung und Forschern zu verändern und den Menschen näher zu bringen.

Etwa die Meeresbiologin Allie Wilkinson, die mit ihrem Blog „This Is What a Scientist Looks Like“ (So sieht ein Wissenschaftler aus) ihre Kollegen auffordert, das angestaubte Forscher-Image zu korrigieren. Dutzende Wissenschaftler sind ihrem Aufruf schon gefolgt und zeigen Fotos von sich in Biker-Kluft, beim Joggen und Tanzen. Die Botschaft wird schnell deutlich: Wir sind zwar Wissenschaftler, arbeiten aber nicht im Elfenbeinturm.

Oder eine junge Forscherin, die sich selbst „Dr. Leigh“ nennt. Anfang des Jahres pendelte sie erschöpft zwischen einem schreienden Baby zu Hause und Bergen von Arbeit im Labor hin und her und twitterte darüber: „Das ist meine dritte Nacht in Folge mit weniger als drei Stunden Schlaf. So kann ich nicht funktionieren.“

Später witzelte sie genervt über ihren Forschungsalltag im Labor: „Wir haben Experiment 2 gemacht, weil wir keine Ahnung hatten, was zum Teufel wir aus Experiment 1 schließen sollten. #overlyhonestmethods.“ Diese harsche Kritik am Wissenschaftsbetrieb stieß auf große Resonanz. Unter dem Stichwort #overlyhonestmethods (übertrieben ehrliche Methoden) wurde die Kritik sofort von Forscherkollegen aufgegriffen und bei Twitter zum Renner. „Die Hälfte der Fachartikel, die wir zitiert haben, haben wir nicht gelesen, weil man im Netz dafür hätte bezahlen müssen“, twitterte ein weiterer Wissenschaftler. „Das Experiment haben wir genau so lange stehen lassen, wie es gedauert hat, uns eine Tasse Tee zu holen“, verriet ein anderer.

Das Thema traf offenbar bei vielen Forschern einen Nerv. Endlich, so schien es, gab es einen Kanal, den Frust über Fehler und Probleme bei der alltäglichen wissenschaftlichen Arbeit abzulassen – und einen Weg, den Leuten da draußen mitzuteilen, dass Forscher auch nur Menschen sind. Rasch berichteten auch renommierte Zeitungen über das Twitter-Phänomen. „So etwas steht nie in Fachzeitschriften, aber vielleicht sollte es?“, kommentierte etwa der britische „Guardian“.

Trotzdem: Noch nutzt bei Weitem nicht jeder Wissenschaftler in den USA Social Media, und in Deutschland verbreitet sich der Trend nur sehr langsam. „Aber nach und nach verändert sich etwas, und meine Kollegen sehen das positiver“, glaubt Wissenschaftlerin Wilcox. Das bestätigte sich im Februar in Chicago bei der Jahrestagung der AAAS (American Association for the Advancement of Science), der größten wissenschaftlichen Gesellschaft. Dort gab es gleich drei Seminare zum Thema Social Media – mehr als zum Mars-Rover „Curiosity“ und vielen anderen großen Wissenschaftsthemen.

Außerdem unterstützen immer mehr Websites Wissenschaftler direkt bei der Arbeit. „Mendeley“ und „ResearchGate“ beispielsweise wollen sich als soziale Netzwerke für Forscher profilieren. Und die US-Neugründung „ImpactStory“ misst, wo und wie oft wissenschaftliche Arbeiten zitiert werden – natürlich unter Einbeziehung digitaler und sozialer Medien. Viele Studien hätten inzwischen ergeben, dass Fachartikel, über die getwittert und gebloggt werde, auch häufiger in anderen Fachartikeln zitiert würden, sagt Wilcox.

„Twitter ist das neue Diskussionsmedium der Szene“, sagt Carl Zimmer, der unter anderem für die „New York Times“ schreibt, für die „National Geographic“-Society bloggt und mit 47 Jahren so etwas wie der Opa der Szene ist. „Erst neulich habe ich mitverfolgt, wie Forscher aus Princeton und British Columbia auf Twitter eine Diskussion über Bakterien starteten, die schließlich zu einer gemeinsamen Studie führte.“ Zimmer bloggt schon seit 1993. „Der Anfang war schrecklich, die iBlog-Software auf meinem Mac stürzte ständig ab, ich musste HTML lernen und Teile selbst programmieren.“ Vom Nutzen des Bloggens für die Wissenschaft ist er aber weiter überzeugt. „Wissenschaft kennt kein Ende. Sie geht immer weiter. Deshalb passt sie gut zu Blogs. Man kann auf den Inhalten aufbauen.“

Aber, sagt Zimmer, die Nutzung von Social Media bedeute nicht, dass traditionelle Regeln der Wissenschaft einfach wegfielen. Auch beim Twittern und Bloggen müsse darauf geachtet werden, dass Sperrfristen eingehalten würden, dass Zitate richtig platziert und Inhalte korrekt wiedergegeben würden. Das sei manchmal nicht leicht, sagt seine Kollegin Wilcox. „In 140 Zeichen bei Twitter passt manchmal kein komplexer Zusammenhang. Aber dann benutze ich eben mehrere Tweets.“

Zudem müsse man vorsichtig sein, sagt Wilcox. Aufpassen müssten vor allem Wissenschaftler, die an Tieren forschten. „Tierschützer können ziemlich verrückt sein, und wenn du deinen Wohnort über Twitter verrätst, brennen sie dein Auto ab oder stehen vor deiner Haustür.“ Trotzdem will die Forscherin vom Twittern und Bloggen nicht mehr lassen. „Das hat mein Leben extrem bereichert. Ohne mein Handy gehe ich jetzt auf keinen Fall mehr aus dem Haus – und wenn ich es mal vergesse, fühle ich mich nackt.“