Deutliche Unterschiede zu SARS: Die meisten Erreger finden sich in den Atemwegen. Forscher beschreiben erstmals ausführlich den Krankheitsverlauf eines in Deutschland behandelten und verstorbenen Mannes.

Bonn. Das neue, vor allem im Nahen Osten verbreitete Coronavirus scheint sich vor allem über die Atemwege zu verbreiten. Im Gegensatz zum SARS-Erreger, der ebenfalls zu den Coronaviren zählt, finden sich im Stuhl von Patienten nur wenige Viren, wie vorwiegend deutsche Mediziner im Fachblatt „The Lancet“ berichten. Die Forscher beschreiben dabei erstmals ausführlich den Krankheitsverlauf eines in Deutschland behandelten und verstorbenen Mannes.

Bis zum 15. Juni wurden weltweit nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 61 Erkrankungen durch MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus) bestätigt, 34 Patienten starben daran. Nun berichten die Forscher um den Virologen Prof. Christian Drosten vom Krankheitsverlauf bei einem 73 Jahre alten Patienten aus Abu Dhabi, der im April in München starb.

„Bislang lagen nur wenige Informationen über den Verlauf der Infektion vor“, sagt Prof. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. „Außerdem konnten wir bisher wegen Datenmangel keine Einschätzungen zur Entstehung und Verbreitung der Infektion wagen.“ Anhand des in München verstorbenen Patienten machten die Bonner Forscher diesbezüglich große Fortschritte.

Der Mann hatte zunächst grippeartige Symptome und wurde zwei Tage später in ein Krankenhaus in Abu Dhabi gebracht. Die Ärzte dort diagnostizierten eine Lungenentzündung und verordneten dem Patienten Antibiotika und künstliche Beatmung. Am 19. März, dem zwölften Tag der Erkrankung, wurde der Patient nach München verlegt. Die Atemprobleme verschlimmerten sich, zudem erlitt der Mann ein Nierenversagen. Er starb am 18. Tag der Erkrankung an einer Blutvergiftung (Sepsis) und multiplem Organversagen.

„Wir konnten an diesem Fall erstmals die Verteilung der MERS-CoV-Viruslast auf die verschiedenen Organe beschreiben“, sagt Prof. Drosten. Wie die Mediziner berichten, war die Virenlast in den unteren Atemwegen am größten. Dies bestätigt die WHO-Empfehlung, bei Patienten Virenproben aus diesem Areal zu entnehmen. Die hohe Erregerlast in den unteren Atemwegen deutet den Forschern zufolge darauf hin, dass das Virus hauptsächlich über die Atemwege ausgeschieden wird. Geringe Erregermengen fanden die Mediziner in Urin und Stuhl des Patienten, aber nicht im Blut. Die Erreger im Harn könnten darauf hindeuten, dass sich das Virus in den Nieren vermehren kann, vermuten die Virologen. Dies könnte erklären, warum der Mann – wie auch einige andere Patienten – ein Nierenversagen erlitt.

Die niedrigen Virenmengen im Stuhl unterscheiden sich deutlich vom Krankheitsbild von mit dem SARS-Erreger (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) infizierten Patienten. Diese Erkenntnis ist für die Praxis wichtig, denn bislang orientierten sich Ärzte bei der Behandlung überwiegend am SARS-Verlauf. Bei der SARS-Epidemie vor zehn Jahren waren fast 1000 Menschen weltweit gestorben.

Anhand des Münchner Patienten konnten die Wissenschaftler zudem zwei neue Genomsequenzen von MERS-Coronaviren vollständig entschlüsseln und durch Vergleich mit weiteren Fällen auf die Evolution des Erregers schließen. „Nach dieser Abschätzung muss der MERS-CoV-Erreger erstmals 2011 aufgetreten sein“, sagt Christian Drosten. Nach seiner Einschätzung ist das Virus seither im Wesentlichen von Mensch zu Mensch übertragbar.

In seiner Zeit am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg hatte der Virologe mit seinem Kollegen Stephan Günther bereits das SARS-Virus identifiziert und beschrieben, wofür die beiden Wissenschaftler mit dem Preis der Werner-Otto-Stiftung ausgezeichnet worden waren.

In einem Kommentar zu der jetzigen Veröffentlichung schreiben Benoit Guery und Sylvie van der Werf vom Hopital Huriez in Lille (Frankreich), dass der MERS-CoV-Ausbruch – gemessen am Verlauf von SARS 2003 – noch in der Frühphase sein könne. Daher müsse die internationale Forschergemeinschaft dringend wirksame Therapien finden und bewerten. Erst vor drei Wochen hatte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan gewarnt, dass das neue Coronavirus „eine Gefahr für die ganze Welt“ sei.