Das Hamburg Robotic Telescope späht von Guanajuato in Mexiko aus in die Sterne. Das Hamburger Gerät arbeitet dabei völlig autonom - eine spezielle Software macht es möglich.

Hamburg. Wenn Jürgen Schmitt morgens das Gelände der Hamburger Sternwarte auf dem Gojenberg in Bergedorf betritt, hat sein wichtigstes Instrument schon mit der Arbeit begonnen – etwa 9500 Kilometer entfernt. In Guanajuato in Mexiko ist es kurz zuvor Nacht geworden; Dunkelheit liegt über der Stadt und ihrem Observatorium, von wo aus nun ein stählernes, blau lackiertes Gerät in die Weiten des Alls späht: das Hamburg Robotic Telescope (HRT). Es soll die magnetische Aktivität sonnenähnlicher Sterne beobachten und so unter anderem dabei helfen, den magnetischen Zyklus unserer Sonne besser zu verstehen.

Das HRT ist 4,6 Meter hoch und wiegt 15 Tonnen. Dennoch ist es mit seinem 1,2-Meter-Hauptspiegel ein Zwerg gemessen an Riesen wie dem Very Large Telescope (VLT) in Chile, das aus vier Hauptteleskopen mit je 8,2 Meter Spiegeldurchmesser und vier 1,8-Meter-Hilfsteleskopen besteht. Solche Großgeräte werden von Forschern aus aller Welt genutzt; die Nachfrage übersteigt bei Weitem die Beobachtungszeit, die Betreiber wie die Europäische Südsternwarte gewähren. Und wer nach Bewerbung und monatelangem Warten loslegen darf, muss sich meist mit kurzen Beobachtungen begnügen. Langzeitmessreihen, die nötig sind, um das zeitliche Verhalten eines Himmelskörpers zu studieren, sind nicht möglich.

Einige Forscher setzen deshalb auf kleinere Teleskope, die sie als Ergänzung nutzen – so auch die Hamburger um Jürgen Schmitt. Aus Berufungsgeldern und Drittmitteln schafften sie das HRT an, das 800.000 Euro kostete, weniger als ein Fünfhundertstel dessen, was das VLT verschlang.

Bereits 2002 wollte der Astronomieprofessor das Teleskop in Hamburg testen, doch beim Probebetrieb gab es etliche technische Probleme; das Fernrohr musste zurück ins Werk der Firma Halfmann in Bayern. Erst 2005 wurde es an der Sternwarte installiert. Weil in unseren Breiten oft Schmuddelwetter herrscht, hatte Schmitt aber von vornherein geplant, das HRT später an einem besser geeigneten Platz aufzustellen. Diesen fand er an der Sternwarte der Universidad de Guanajuato, wo der Astronom Klaus Peter Schröder lehrt, mit dem Schmitt schon früher forschte. Dort ist der Himmel an 300 Tagen im Jahr zumindest teilweise wolkenfrei.

2012 sollte das HRT endlich in Mexiko aufgebaut werden – doch das Projekt drohte zu scheitern, weil der mexikanische Zoll das Gerät zunächst nicht freigab. „Wir waren in einem Zustand höchster Verzweiflung“, erzählt Jürgen Schmitt. Inzwischen kann er darüber lachen, denn die Beamten übergaben das HRT schließlich doch.

Am 17. April 2013 blickte das Teleskop erstmals von Mexiko aus zu den Sternen – selbstständig. Denn im Gegensatz zu Großteleskopen wie dem VLT arbeitet das Hamburger Gerät völlig autonom; vor Ort ist keine Mannschaft nötig, die es bedienen müsste. Auch das spart Kosten. „Dazu mussten wir dem System Intelligenz beibringen“, erzählt Jürgen Schmitt. „Es kann ja nicht bei uns anrufen und sagen: ‚Hey, ich komme hier gerade nicht weiter, was soll ich tun?‘“ Deshalb schrieb sein Hamburger Kollege José Nicolás Gonzáles-Pérez eine spezielle Software.

Diese wird nun in Mexiko aktiv, sobald sie via Internet von den Hamburgern eine Liste mit Aufgaben erhält: Koordinaten von Sternen und Vorgaben, wie lange deren Licht empfangen werden soll. Wann die Beobachtungen beginnen, entscheidet das System anhand von Wetterdaten und Aufnahmen einer Wolkenkamera. Ist die Sicht klar genug und kein Regen zu befürchten, öffnet es die Kuppel und richtet das Teleskop aus. Vorrang haben Sterne, die zu festen Zeiten beobachtet werden müssen. Ist dies nicht nötig, arbeitet das Teleskop die Liste dahingehend ab, welche Sterne gerade am besten zu sehen sind.

Die Ergebnisse schickt es online nach Hamburg. Wie die Messreihen dort dargestellt werden, zeigt Projektmanager Alexander Hempelmann auf zwei Monitoren: Dort sind Kurven und Zacken zu sehen, die Börsenkursen ähneln. Es sind Spektrallinien, genauer: sogenannte Kalziumlinien aus dem Licht sonnenähnlicher Sterne.

Um zu verstehen, was diese mit dem magnetischen Zyklus unserer Sonne zu tun haben, muss man ein wenig ausholen. Die Sonne erzeugt in ihrem Kern durch die Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium Energie, die sie ins Weltall abstrahlt. Eigentlich sollte ihre Strahlung immer gleich sein, tatsächlich variiert sie um etwa 0,15 Prozent. An der Oberfläche der Sonne ist es etwa 6000 Grad heiß – aber nicht überall: In den äußeren Schichten ihrer Atmosphäre zeigen sich etwa sogenannte Flecken, dunklere Zonen, deren Temperatur etwa 1000 Grad geringer ist. Dort wird weniger Energie abgestrahlt. In ihrer Nähe treten aber immer auch hellere Zonen auf, die erheblich heißer sind, sogenannte Fackeln – dort gelangt mehr Strahlung ins All.

Verantwortlich für die Flecken sei das Magnetfeld der Sonne, erläutert Schmitt: „In ihren äußeren Schichten geschieht der Wärmetransport durch Konvektion, Strömungen also. Diese werden durch Magnetfelder unterdrückt, es gelangt weniger Energie nach außen.“ Das lässt sich an der Kalziumlinie ablesen. Denn in der Sonnenatmosphäre befinden sich Kalziumatome, die einen kleinen Teil der abgestrahlten Lichtteilchen „schlucken“. Das führt dazu, dass in dem von Kalzium beeinflussten Spektralbereich des Lichts weniger Energie auf der Erde ankommt.

Eigentlich sollte die Temperatur in der Sonne von innen nach außen stetig abnehmen, tatsächlich kommt es aber aus noch nicht genau geklärten Gründen in den äußeren Schichten stellenweise zu einer Aufheizung. Sehr wahrscheinlich hat auch dies mit Magnetfeldern zu tun. Durch die Hitze werden die Kalziumatome angeregt zu strahlen – es entstehen Fackeln. In dem betroffenen Spektralbereich des Sonnenlichts kommt deshalb mehr Energie auf der Erde an. Die Astronomen erkennen dies anhand von Ausschlägen in der Kalziumlinie. „Die Größe des Ausschlags sagt etwas über die Stärke der Fackel – und das gibt uns Informationen über die magnetische Aktivität des Sterns“, erläutert Schmitt.

Fackeln und Flecken treten bei der Sonne in unterschiedlichen Stärken in einem Elfjahreszyklus auf; das Gleiche geschieht auch bei etlichen anderen sonnenähnlichen Sternen. Bei der Sonne kam es jedoch zu Phasen, in denen sie nahezu frei von Fackeln und Flecken war, etwa von 1645 bis 1715 (Maunder-Minimum, benannt nach Edward W. Maunder). Womöglich beeinflusste die geringere Sonnenstrahlung damals das Klima, fiel sie doch in eine relativ kühle Periode, die als „Kleine Eiszeit“ bezeichnet wird. Zuletzt ereignete sich ein Minimum 2009, als fast 250 Tage lang keine Fackeln und Flecken auftraten. Zwar gehen Klimaforscher davon aus, dass eine schwankende Sonnenstrahlung das Klima auf der Erde wenn überhaupt nur in sehr geringem Maße beeinflusst – sicher ist das aber nicht.

Jürgen Schmitt will anhand der Fackeln ergründen, ob Pausen bei der Sonne häufiger auftreten können. Doch mit ihr kann er nicht „experimentieren“. Bei sonnenähnlichen Sternen hingegen hat er eine unerschöpfliche Auswahl von Objekten mit unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher Größe. „Wenn wir eine Stichprobe von hundert sonnenähnlichen Sternen beobachten und darunter ist kein Maunder-Minimum-Stern – dann ist das wohl ein sehr seltenes Ereignis“, sagt Schmitt. Die Messungen, die der Astronom und sein Team planen, werden sich über viele Jahre erstrecken. Aber einen langen Atem haben die Hamburger ja schon beim Aufbau ihres Teleskops bewiesen.