Ob „frisch“ oder „ohne Zuckerzusatz“: Die Verbraucherzentrale hat Tricks bei der Bezeichnung zusammengestellt. Bekannte Beispiele wie Fruchtsaftgetränke aus Konzentrat, die mit Zucker und Wasser gestreckt wurden.

Hamburg. 72 Prozent der Verbraucher stimmen der Aussage zu „bei den Angaben auf Lebensmitteln wird viel getrickst“. Dies zeigte eine im Mai veröffentlichte Umfrage der Göttinger Agrifood Consulting im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv). Die Verbraucherzentrale Hamburg (VZ HH) hat die „häufigsten Tricks der Branche“ ins Internet gestellt und fordert einmal mehr klare Bezeichnungen statt „Sprachpolitik aus Profitinteresse“, die die Konsumenten in die Irre führe. Aufgelistet sind bekannte Beispiele wie Fruchtsaftgetränke aus Konzentrat, die mit Zucker und Wasser gestreckt wurden und sich Nektar nennen dürfen, aber auch neuere Bezeichnungen wie „frische Backwaren“ aus dem Aufbackofen im Supermarkt.

„Frische Backwaren“ können aus China importierte Teiglinge sein

„Die Brötchen aus den Backshops haben mit Backen, dem Prozess der Herstellung und Lockerung des Teiges bis zum Garen im Ofen, nicht mehr viel gemein“, urteilt Silke Schwartau, Ernährungsberaterin der VZ HH. „Vorgefertigte Teiglinge aus der Fabrik, oft aus Polen, Tschechien oder China importiert, werden an den Verkaufsstellen in Aufwärmautomaten nur noch erhitzt und gebräunt. Sie sind weder frisch noch echte Backwaren. Zum Teil heißt das Ganze dann auch noch Landbäckerei. “ Resultat seien immer mehr Brötchen mit Einheitsgeschmack, sagt Silke Schwartau. Zudem gehe der Trend auf Kosten des Bäckerhandwerks: „Jeden Tag stirbt in Deutschland eine Bäckerei“, so die Expertin.

Seit 32 Jahren macht Verbraucherschützerin Schwartau Ernährungsberatung. In dieser Zeit habe sich vieles verbessert. So müssen heute Zutatenverzeichnisse Inhaltsangaben der Produkte liefern, und die Lebensmittelinformationsverordnung, die von 2014 an schrittweise eingeführt wird, schreibe unter anderem Herkunftsnachweise für Hauptzutaten und Warnhinweise bei umstrittenen Zusatzstoffen vor.

Starke Verbesserungen habe es bei den Schadstoffgehalten gegeben, sagt Schwartau. So sei die Pestizidbelastung von Obst und Gemüse deutlich gesunken, nicht zuletzt durch den öffentlichen Druck, den zum Beispiel Greenpeace-Analysen erzeugt haben. Ein großer Nachholbedarf bestehe aber bei den Bezeichnungen.

Weidemilch heißt nicht unbedingt, dass die Kühe auf der Weide stehen

Beispiel Weidemilch. Der gesunde Menschenverstand sagt: Diese Milch stammt von Kühen, die tagsüber auf einer Weide grasen. Das muss aber nicht stimmen, denn der Begriff ist gesetzlich nicht geschützt. Die Hersteller verwenden den Begriff oft schon, wenn die Kühe Gras- oder Grassilage zu fressen bekommen. So heißt es bei Hansano: „Unsere Weidemilch liefern Kühe, denen in der Vegetationsperiode zwischen Frühjahr und Herbst frisches Weidegras zur Verfügung steht.“ Wo jedoch die Kühe stehen, bleibt unerwähnt. „Damit ist vielleicht das Kriterium für eine Wiesenmilch erfüllt, aber sicher nicht für eine Weidemilch. Denn Weideland wird (…) von den Tieren abgefressen“, schreibt ein verärgerter Verbraucher im Internet-Portal www.lebensmittelklarheit.de, einem elektronischen Kummerkasten des vzbv, dem Konsumenten irritierende Lebensmittelaufmachungen melden können.

Immerhin schreibt Hansano auf Nachfrage der Verbraucherschützer, dass „die Kühe in der Regel auf der Weide stehen“. Silke Schwartau hält das Angebot von Weidemilch generell für gut, fordert aber verbindliche Kriterien, etwa Vorgaben, dass die Kühe acht Monate im Jahr und eine bestimmte Anzahl von Stunden pro Tag auf der Weide verbringen dürfen. Ideal wäre ein Kennzeichnungssystem wie bei den Eiern, sagt sie: „Vier Ziffern stehen für bestimmte Haltungsbedingungen. Sie machen es den Verbrauchern leicht, sich zwischen Käfig-, Boden-, Freiland- und Bio-Eiern zu entscheiden.“

Dass nicht immer drin ist, was auf den Verpackungen draufsteht, hat sich spätestens seit Erscheinen des Buches „Die Suppe lügt“ anno 1997 herumgesprochen. Dort schrieb Hans-Ulrich Grimm von Hühnersuppen mit zwei Gramm Trockenhuhn und von Erdbeerjoghurts, die fast ohne Erdbeeren auskommen, weil der fehlende Geschmack durch „natürliches Aroma“ aus aufgekochten Sägespänen ersetzt wurde. Die Auslobung „natürlich“ ist heute noch erlaubt, weil Holz ein natürlicher Rohstoff ist. „Auch sonst ist das Buch nach wie vor aktuell“, sagt Silke Schwartau.

Die Ernährungsexpertin rät, beim Einkauf einen Blick auf die Rückseiten der Verpackungen zu werfen. Dort steht die Zutatenliste – sie muss nach der neuen Informationsverordnung demnächst in einer Schrift gedruckt sein, die mindestens 1,2 Millimeter groß ist. Das klingt winzig (die Standardschrift des Abendblattes ist 3,5 mm groß), aber derzeit seien die Buchstaben oftmals kleiner, sagt Silke Schwartau. Außerdem steht auf der Rückseite die sogenannte Verkehrsbezeichnung des Lebensmittels. Aus einem „Erdbeertrunk“ wird dort ein „Milchmixgetränk mit Aroma und Farbstoff“. Und bei lebensmittelklarheit.de findet sich ein „Hähnchenbrustfilet, Qualität frisch vom Stück“, dessen rückseitige Ergänzung verrät: „zerlegt, zusammengefügt und gegart“.

Heißt „ohne Zuckerzusatz“ zuckerfrei und „alkoholfrei“ ohne Alkohol?

Häufige Ärgernisse sind die Hinweise „ohne Zuckerzusatz“ und „alkoholfrei“. Beim ersten dürfe nur kein Haushaltszucker zugefügt worden sein, so Schwartau, andere Zuckerverbindungen wie Fructose oder Zuckeralkohole (u.a. Maltit, Sorbit, Isomalt) seien erlaubt. Dass sogenannte alkoholfreie Biere bis zu 0,5 Prozent Restalkohol enthalten dürfen, sei „sehr umstritten“, so Schwartau, und liege an der „starken Brauereilobby“. Ganz alkoholfrei seien zum Beispiel Bitburger alkoholfrei 0,0 % und Warsteiner Premium alkoholfrei.

Gut 35 Prozent aller Konsumenten sind „kritische Qualitätskäufer“, die Wert auf hochwertige Ware legten, aber gleichzeitig den Lebensmittelbezeichnungen und Aufmachungen nicht trauten, ergab die Göttinger Umfrage unter mehr als 1000 Konsumenten. Gerade diese Käufergruppe reagiere auf kritische Medienberichte über „Produktaufmachungen, die Falschassoziationen“ auslösen. Fazit: „Die Verbraucherbefragung zeigt, dass viele der untersuchten Fallbeispiele ein Irreführungspotenzial aufweisen, das auch aus juristischer Sicht relevant erscheint“, also womöglich den Tatbestand der Irreführung erfülle.

Was wäre das logische Pendant zum Landei? Stadtei?

„Im Lebensmittelmarkt ist eine Misstrauensspirale in Gang gekommen, die für die Anbieter Anlass für eine besonders verlässliche und verständliche Kommunikation mit den Verbrauchern sein sollte“, empfehlen die Göttinger Meinungsforscher. Bis es so weit ist, helfen oft Aufmerksamkeit plus gesunder Menschenverstand. Die sehr überschaubare Aussagekraft von Begriffen wie „Landeier“ oder „Landjoghurt“ ist nach kurzem Nachdenken schnell zu erfassen: Wo soll die Ware denn sonst herkommen, wenn nicht vom Land? Wer isst schon „Stadteier“...