Eine besondere Behandlung von Rückenleiden darf nur noch nach Überweisung von Schmerztherapeuten erfolgen

Hamburg. Viele Patienten, die unter Erkrankungen der Wirbelsäule wie Bandscheibenvorfällen oder Wirbelkanalverengungen leiden, versprechen sich Linderung durch eine sogenannte periradikuläre Therapie, kurz PRT. Dabei werden Schmerzmittel und Cortison gezielt an die Nervenwurzeln neben der Wirbelsäule gespritzt, um Schmerzen und Entzündungen zu bekämpfen. Dieser Eingriff wird mithilfe eines Computertomogramms durchgeführt, um die Injektionsnadel millimetergenau in die richtige Position zu bringen. Doch jetzt hat der sogenannte Bewertungsausschuss, ein Gremium, in dem Vertreter von Ärzten und gesetzlichen Krankenkassen sitzen, einen Beschluss gefasst, der drastische Folgen für diese Patienten hat: Die PRT darf ab diesem Quartal bei gesetzlich Versicherten nur noch dann als Kassenleistung abgerechnet werden, wenn vor der Durchführung ein Schmerztherapeut zu Rate gezogen wurde, der diese Therapie für sinnvoll erachtet, sie selbst durchführt oder eine entsprechende Überweisung ausstellt.

Bisher konnten Ärzte, in der Regel Orthopäden, Hausärzte, HNO-Ärzte und Onkologen, zusammen mit Radiologen diese Therapien durchführen. „Es handelt sich bei der PRT um eine sehr schonende, höchst effektive Behandlungsmethode, die zum Beispiel 80 Prozent aller Bandscheibenpatienten mit wenigen Behandlungen schmerzfrei machen, einen langen Leidensweg entscheidend verkürzen und Operationen wie keine andere Methode verhindern kann“, sagt Dr. Gerold Schwartz, Orthopäde in Hamburg.

„Bisher gibt es keine ausreichende wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit von PRT-Behandlungen“, sagt hingegen Jochen Kriens, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg. Nach der Neuregelung solle die PRT als hoch spezialisierte Leistung nur noch im Rahmen eines sogenannten multimodalen Behandlungskonzepts durchgeführt werden. Dieses Konzept sieht vor, dass zunächst eine umfangreiche Untersuchung durch den behandelnden Arzt stattfindet und die PRT eine Behandlungsoption ist, die dann zum Einsatz kommen kann, wenn andere Therapiemaßnahmen ohne Erfolg geblieben sind. „Das bedeutet, dass zunächst weniger invasive Maßnahmen wie zum Beispiel Medikamente, Krankengymnastik, Wärmetherapie, Muskeltraining oder eine psychosomatische Behandlung eingesetzt werden sollen. Erst wenn diese Behandlungen erfolglos bleiben, kann eine PRT angezeigt sein. Als letzte Möglichkeit bleiben operative Eingriffe. Die PRT soll keine Therapie für Beschwerden sein, deren Ursachen oft auch durch weniger invasive Behandlungen zu beheben sind“, sagt Kriens. Vorgesehen sei das Behandlungskonzept außerdem nur für ausgewählte Patienten, die unter bestimmten Formen von Rückenschmerzen leiden.

Aber auch für solche Schmerzpatienten in Hamburg wird es schwieriger, eine PRT zu bekommen. „Es gibt in der Stadt 35 Schmerztherapeuten, die eine entsprechende Überweisung ausstellen können. Sie stoßen aber bereits an ihre Kapazitätsgrenzen“, sagt der KV-Sprecher. Und die Nachfrage unter den Patienten ist groß: Pro Quartal wurden in Hamburg bisher rund 18.000 PRT durchgeführt, das bedeutet, bei einer Therapie mit durchschnittlich zwei Spritzen werden pro Quartal 8000 bis 10.000 Patienten behandelt. Jetzt müssen diejenigen, die diese Therapie haben wollen, wahrscheinlich lange auf einen Termin beim Schmerztherapeuten warten oder die Behandlung aus eigener Tasche bezahlen. Die Kosten liegen zwischen 100 bis 250 Euro pro Spritze, je nach Schwierigkeit und Aufwand.

Für Schwartz nimmt dieser Beschluss den Ärzten die Möglichkeit, Menschen mit akuten Bandscheibenvorfällen so zu behandeln, dass eine Operation vermieden werden kann. „Patienten mit akuten Beschwerden sind praktisch von der Therapie ausgeschlossen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als sie an ihre Krankenkassen zu verweisen, die sie dann ans Krankenhaus oder zu uns zurückschicken. Die Patienten bleiben dabei auf der Strecke“, sagt der Orthopäde.

Die Betroffenen hätten aber die Möglichkeit, gegenüber ihren Krankenkassen eine Versorgungslücke nachzuweisen und geltend zu machen. Schwartz sind einige Fälle bekannt, in denen dann die Kassen die Kosten vollständig übernommen haben, bei anderen Patienten hingegen wurde die Kostenübernahme trotzdem abgelehnt, sodass von einer einheitlichen Regelung keine Rede sein kann.

Nach Ansicht von Schwartz geht es dem Bewertungsausschuss vor allem darum, die Zahl der PRT, die in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen hat, einzudämmen und damit Kosten einzusparen. „Ich glaube aber, dass es weitaus teurer wird, wenn in den kommenden Jahren nur jeder zehnte Bandscheibenpatient, der bisher ambulant mit einer PRT behandelt wird, ins Krankenhaus aufgenommen und operiert wird.“

Einen kritischen Blick auf die PRT hat Dr. Maja Falckenberg, Schmerztherapeutin an der Schmerzambulanz Alten Eichen: „Ich glaube, dass es bei den 18.000 PRT pro Quartal in Hamburg einen Bruchteil von Patienten gibt, für die diese Therapie sinnvoll ist. Man muss aber auch bedenken, dass in keinem anderen Bundesland so viele PRT durchgeführt werden wie in der Hansestadt. Es ist eben auch eine Behandlung, mit der viel Geld zu verdienen ist.“

Die Neuregelung bekommen sie und ihre Kollegen jetzt täglich in den Praxen zu spüren. Jeden Tag rufen verzweifelte Patienten an, die einen Termin für diese Therapie haben wollen. Die Schmerztherapeuten können zwar den einen oder anderen PRT-Patienten behandeln, insgesamt aber nur einen Bruchteil. „Denn die Patienten müssen einen mehrseitigen Fragebogen ausfüllen, und wir sind verpflichtet, mit jedem ein 70-minütiges Erstgespräch führen. Die Wartezeit für den ersten Termin liegt bei etwa sechs bis acht Wochen für chronische Schmerzbeschwerden. Eine schnelle Versorgung der PRT-Patienten ist zeitlich nicht ansatzweise zu schaffen“, sagt Maja Falckenberg.

Es sei aber auch die Frage, ob die PRT für jeden Patienten mit akuten Beschwerden wirklich nötig sei. Bei Patienten mit chronischen Beschwerden sollte das Verfahren nur in einem multimodalen Ansatz angewandt werden. Insgesamt findet Falckenberg es sinnvoll, die PRT-Behandlungen zu reduzieren: „Wir haben auch schon Patienten gehabt, denen die PRT nicht geholfen hat, entweder, weil die Injektionsnadeln nicht an der richtigen Stelle lagen oder weil die Therapie bei ihrer Form der Rückenschmerzen gar nichts nützte. Es fehlt an sorgfältigen Indikationen und Durchführungen.“

Um die gegenwärtige Situation zu entschärfen, bräuchte man nach Ansicht von Maja Falckenberg für eine kleine Zahl von Patienten eine Art Notsystem, aber das könnten die Schmerztherapeuten nicht leisten.

Um die drastischen Folgen für die Patienten abzumildern, hatten sich die Kassenärztlichen Vereinigungen dafür eingesetzt, eine Übergangsregelung zu finden, nach der für einen bestimmten Zeitraum auch andere Ärzte diese Überweisungen ausstellen dürfen. „Aber dieser Vorschlag wurde von den Krankenkassen abgelehnt. Und für eine Übergangsregelung in eigener Regie fehlt der KV Hamburg die rechtliche Grundlage. Eine kurzfristige Lösung des Problems ist also nicht in Sicht“, sagt KV-Sprecher Kriens. Allerdings soll der Bewertungsausschuss innerhalb von sechs Monaten einen Bericht über die Auswirkungen der Neuregelung an das Bundesgesundheitsministerium abgeben.

Ein Krankenkassenexperte, der nicht genannt werden möchte, bezeichnete die Neuregelung als ein großes Dilemma, welches kaum zu lösen sei. Hinter dieser Entscheidung würden keine bösen Absichten stecken, sondern der Wunsch, die Qualität der Therapie zu verbessern. Auf der anderen Seite gebe es den Engpass bei den Schmerztherapeuten. Es sei durchaus nicht auszuschließen, dass dieser Beschluss noch einmal auf den Prüfstand gestellt werde, aber das sei im Moment nur schwer abzuschätzen.