Geflügelhalter verpflichten sich freiwillig zu Regeln, die bessere Kontrollen und strukturreichere Ställe vorsehen. Die Haltung von Truthähnen ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt.

Berlin. Mastputen, die auf dem Stallboden hocken, weil die Füße ihre schweren Körper nicht mehr tragen können. Tiere, die in drangvoller Enge von Artgenossen tot gepickt wurden oder auf entzündeten Fußballen herumhumpeln – solche Bilder aus Putenställen haben in den vergangenen Jahren viele Verbraucher erschreckt. Die Geflügelwirtschaft hat auf die Verunsicherung reagiert und sich neue, strengere Haltungsregeln auferlegt, die am 1. Oktober 2013 in Kraft treten sollen. Vertreter des Tierschutzes waren daran beteiligt, sehen aber weiteren Verbesserungsbedarf.

Die Haltung von Truthähnen ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Deshalb haben die sogenannten Eckwerte für Putenhaltung „rechtsähnlichen Charakter“, betont der im Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) organisierte Verband Deutscher Putenerzeuger, der die freiwillige Selbstverpflichtung einführt. Sie ersetzt ältere Eckwerte aus dem Jahr 1999, an denen sich fast alle deutschen Putenbetriebe orientieren. „Es ist de facto nicht möglich, Geflügel in Deutschland zu vermarkten, das nicht unter diesen Vorgaben gehalten wurde“, sagt Christiane von Alemann, Sprecherin des ZDG. Und auch Dr. Jörg Styrie, der für den Bundesverband Tierschutz an den Beratungen teilgenommen hatte, schätzt den Anteil der Betriebe, die nach den Eckwerten arbeiten, auf „mehr als 90 Prozent“.

Dennoch gab es in der Vergangenheit Berichte über kranke, tote oder verkrüppelte Tiere. Zum Teil sei dies auf die einseitige Zucht auf möglichst viel Muskelfleisch zurückzuführen, sagt Agraringenieur Styrie, zum anderen aber eben auch auf die Haltungsbedingungen. Der Tierschützer sieht in beiden Bereichen Trends zum Positiven. Nach Angaben der Züchter fließe die Gesundheit der Tiere wieder stärker in das Zuchtziel ein. Und das in den neuen Eckwerten vorgesehene Gesundheitskontrollprogramm erhebe in den Schlachthöfen systematisch den Zustand der angelieferten Puten und biete damit erstmals umfassende Anhaltspunkte zu den Haltungsbedingungen.

Das Kontrollprogramm, das etwas verzögert am 1. Januar 2014 starten soll, gilt als Kernstück der Selbstverpflichtung. Um es den Haltern schmackhaft zu machen, gilt folgende Regel: Nur Betriebe, die den Zustand ihrer Tiere an den Schlachthöfen kontrollieren lassen, dürfen nach wie vor umgerechnet vier bis fünf Puten pro Quadratmeter (m2) Stallfläche halten, ausgedrückt in Kilo Lebendgewicht pro m2. Für Hennen liegt die Gewichtsgrenze bei 52 kg/m2, bei Hähnen sind es 58 kg/m2. Für Betriebe, die am Kontrollprogramm nicht teilnehmen, sinken die Limits auf 45 und 50 Kilo pro m2. Und wer bei der Kontrolle negativ auffällt, muss zusammen mit seinem betreuenden Tierarzt ein Gesundheitsplan erarbeiten, um die Haltung zu verbessern.

Auch Stefan Johnigk vom Kieler Verein ProVieh hält die Gesundheitskontrolle für den größten Fortschritt zugunsten der Puten. Es sei „unerlässlich, am Ergebnis einer Tierhaltung, also am Tier selbst zu beurteilen, inwieweit Tierquälerei vermieden werden konnte. Die Häufigkeit von Entzündungen der Fußballen, der Einsatz von Antibiotika oder die Zahl der während der Mast verendeten Tiere sind unmissverständliche Maßzahlen dafür. Dass solche Indikatoren in Zukunft verbindlich im Rahmen eines Gesundheitskontrollprogramms erfasst und mit Konsequenzen für die Halter verbunden sein werden, ist ein Fortschritt für den Tierschutz.“ Dennoch sieht Johnigk in den neuen Eckwerten „bestenfalls kleine Verbesserungen“.

Neben dem Kontrollprogramm verlangen die neuen Regeln einen Sachkundenachweis von den Haltern, eine trockene Einstreu zur Fußpflege, sowie Beschäftigungs- und Rückzugsmöglichkeiten für die Puten. Bislang lebt das Geflügel überwiegend in strukturlosen großen Hallen. Nun soll es Strohballen, erhöhte Sitzgelegenheiten und Unterschlupfmöglichkeiten erhalten. Auch Wintergärten werden empfohlen, sie dürfen zusätzlich mit der Hälfte der üblichen Besatzdichte bestückt werden. Untersuchungen des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tierhaltung in Celle hatten gezeigt, dass die Puten solche umzäunten und überdachten Außenflächen gern annehmen, diese böten „den Tieren zusätzliche Möglichkeiten, arteigene Verhaltensweisen auszuüben“, urteilten die Forscher in einem 2012 erschienenen Bericht. Auch zusätzliche Strukturelemente seien im Praxistest bei den Puten gut angekommen.

Wie wirksam die neuen Eckwerte die heutige Praxis verändern werden, wird auch davon bestimmt, wie konsequent sie in der Branche angewendet werden. Eine Pilotarbeitsgruppe befasse sich derzeit mit der Umsetzung der Regeln, sagt von Alemann – „geplant ist eine Verpflichtungserklärung, die die Halter unterschreiben“.

Zu möglichen Sanktionsmaßnahmen für Betriebe, die mehrfach negativ aufgefallen sind, könne sie noch nichts sagen, so die ZDG-Sprecherein. Zudem sei wünschenswert, dass sich die Amtstierärzte in möglichst vielen Bundesländern an den neuen Eckwerten orientieren, so wie es bereits bei den Vorgaben von 1999 geschah.