Auch Erwachsene können plötzlich überempfindlich auf Pollen reagieren. Die Ursachen liegen wohl in den Genen und der Umwelt

Hamburg. Narzissen und Tulpen blühen, die Bäume tragen zarte Blätter – nach dem ungewöhnlich langen Winter ist endlich der Frühling eingekehrt. Doch viele Menschen können sich an der grünen Pracht nur bedingt erfreuen, denn es kribbelt ihnen in der Nase und im Rachen, sie niesen, husten und reiben sich die tränenden Augen.

Schuld ist der Blütenstaub, der gerade die Luft durchsetzt. Zu einer „Pollenexplosion“, einer außerordentlich hohen Belastung, wie sie ein Leipziger HNO-Arzt vor Kurzem vorhergesagt hatte, ist es zumindest in Norddeutschland bisher zwar nicht gekommen; dem Deutschen Wetterdienst zufolge liegen die Pollenwerte teilweise sogar unter denen des Vorjahres. Sofern es um Birkenpollen geht, die derzeit grassieren, attestiert der Polleninformationsdienst (PID) dem ganzen Norden aber immerhin eine hohe Belastung von mehr als 50 Pollen pro Kubikmeter Luft pro Tag.

Etliche Menschen dürften in diesen Tag zum ersten Mal unter Beschwerden leiden, obwohl sie womöglich jahrzehntelang nie Probleme mit Blütenstaub hatten. „Auch 60-Jährige können noch eine Pollenallergie bekommen“, sagt Prof. Martin Metz, HNO-Arzt an der Berliner Charité und Vorstand des PID. Häufiger treffe es zwar Jüngere, doch Überempfindlichkeiten nähmen in der ganzen Bevölkerung zu. Fast 30 Prozent aller Menschen in Deutschland entwickelten im Laufe ihres Lebens eine Allergie; etwa 20 Prozent davon reagierten überempfindlich auf Pollen.

Was dabei im Körper schiefläuft, ist relativ klar. Das Immunsystem will ihn eigentlich vor Krankheitserregern und gefährlichen Fremdstoffen schützen. Bei einer Allergie hält es jedoch auch harmlose Teilchen wie Pollen, Hausstaub und Tierhaare für eine Bedrohung und schießt mit seinen Abwehrreaktionen über das Ziel hinaus. Dadurch kommt es zu unangenehmen Symptomen wie Entzündungen der Haut, Atemproblemen und Schnupfen.

Unklar ist, welche Ursachen die Zunahme von Allergien hat. Zwar führt eine hohe Pollenbelastung zu stärkeren Beschwerden. Und wegen des Klimawandels werden Allergiker künftig womöglich noch stärker leiden. „Sie werden mit neuen Pollenarten kämpfen und mit einer insgesamt verlängerten Pollensaison leben müssen“, sagt Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes. So werde die Birkenblüte Prognosen zufolge bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 13 Tage früher einsetzen. Zudem sei es denkbar, dass sich die Pollensaison der Birke um einige Tage verlängern werde. Auch der Start für die Gräserblüte könnte sich um acht Tage nach vorne verschieben. Auch würden durch den Klimawandel Pflanzen in Deutschland heimisch, die es bislang hier nicht gab und deren Pollen Allergikern zu schaffen machen könnten.

Doch eine etwaige Zunahme der harmlosen Pollen kann nicht die körperliche Reaktion erklären. Vielmehr spielten wohl sowohl die Gene als auch die Umwelt eine Rolle, sagt Prof. Carsten Schmidt-Weber, Leiter des Zentrums für Allergie&Umwelt an der Technischen Universität München. Wenn Mutter und Vater an Allergien litten, hätten deren Kinder ein erhöhtes Risiko, ebenfalls an einer Allergie zu erkranken. Menschen, die bereits unter einer Allergie litten, hätten ein höheres Risiko, auch noch an einer Pollenallergie zu erkranken.

Daneben gibt es diejenigen, die keine Veranlagung haben, aber trotzdem irgendwann allergisch auf Blütenstaub reagieren. Der Auslöser könnte zum Beispiel eine Erkältung während der Pollensaison sein, sagt Schmidt-Weber. Dabei geschehe womöglich Folgendes: Der Körper wehre sich gegen ein Virus und werde gleichzeitig mit Pollen konfrontiert, die er dann auch als gefährliche Eindringlinge einstufe.

Ein weiterer Risikofaktor sei das Rauchen. Auch Autoabgase und Feinstaub aus Kohlekraftwerken begünstigten womöglich die Entstehung einer Pollenallergie. Feinstaub führe unter Umständen zu winzigen Schäden in der Lunge – und wenn gleichzeitig Pollen dorthin gelangten, könnte der Körper diese mit den Schäden in Verbindung bringen. Studien zeigten, dass Pollen auch deshalb allergen wirken könnten, weil sich Feinstaub auf ihnen abgelagert habe. Auffällig sei, dass Allergien in Westdeutschland seit den 1950er-Jahren rapide zugenommen hätten, zeitgleich mit dem zunehmenden Schadstoffausstoß durch Verkehr und Industrie, sagt Schmidt-Weber.

Da sei sicher etwas dran, sagt sein Kollege Martin Metz von der Charité, allerdings hätten Studien mit Kindern aus Ostdeutschland kurz nach der Wende gezeigt, dass diese seltener unter Allergien litten als Kinder in Westdeutschland, obwohl die Belastung durch Luftschadstoffe in der DDR sicher nicht geringer gewesen sei als im Westen. Zehn Jahre später hätten Kinder in dem untersuchten Alter in Ostdeutschland genauso häufig unter Allergien gelitten.

Dies spreche dafür, dass auch der Lebensstil ein wichtiger Faktor sei. Metz spielt auf die sogenannte Hygiene- oder auch Dreckhypothese an, die davon ausgeht, dass durch übertriebene Hygienemaßnahmen in der frühen Kindheit das Immunsystem nicht genügend beschäftigt ist und deshalb später überschießend auf harmlose Umweltbestandteile reagiert. Zugespitzt hieße das: In der DDR ließen Eltern ihre Kinder womöglich häufiger auf dem Boden – im „Dreck“ – spielen.

Was hilft gegen Beschwerden durch Pollen? Stark gereizte Nasen ließen sich am Besten mit Cortisonsprays ruhigstellen, eventuell ergänzt durch Tropfen für die Augen, sagt Martin Metz. Helfen könnten auch Antihistaminika, Tabletten, die den Botenstoff Histamin hemmen. Mittel der zweiten Generation machten nur selten müde. Antiallergische Nasentropfen linderten nur leichte Beschwerden.

Am besten lasse sich die Überempfindlichkeit allerdings außerhalb der Pollensaison bekämpfen, durch eine Desensibilisierung. Dabei wird Patienten über drei Jahre hinweg jeweils acht Wochen lang das Allergen in den Oberarm gespritzt. Die allmählich gesteigerte Dosis bewirkt, dass das Immunsystem die Allergene mit der Zeit toleriert. Patienten, die auf Gräserpollen reagieren, können die Allergene auch in Tablettenform einnehmen, in geringeren Dosen, dafür täglich. Studien hätten gezeigt, dass diese Therapie nahezu genauso wirksam sei, sagt Martin Metz.