Immer mehr Menschen haben Probleme mit dem Kreuz. Langes Sitzen und psychische Belastungen sind häufige Ursachen für die Schmerzen.

Köln. Die Wirbelsäule ist einer der am meisten strapazierten Körperteile des Menschen. So ist es auch kein Wunder, dass Rückenschmerzen zu den häufigsten Krankheiten in Deutschland gehören. Bis zu 85 Prozent der Bundesbürger haben laut dem Berliner Robert-Koch-Institut mindestens einmal im Leben Schmerzen im Kreuz. Nach Angaben der Krankenkassen sind Bandscheibenvorfälle, Hexenschuss und Schmerzattacken im Rücken die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Und die Probleme nehmen zu: Seit Jahren steigt die Zahl der Rückenschmerzgeplagten.

Das liegt nicht nur am Alter mit seinen unvermeidlichen Verschleißerscheinungen. „Die Ursachen sind bei fast allen Betroffenen gleich: zu wenig Bewegung, untrainierte Muskeln, Stress und andere psychische Belastungen“, sagt Ingo Froböse vom Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln. Das gilt auch schon für Jugendliche und junge Berufsanfänger – und sogar Kinder haben immer mehr Probleme mit dem Rücken, stellen Kinder- und Hausärzte fest. Kein Wunder, glaubt Froböse: Wenn Kinder im Schnitt nur noch 900 Meter am Tag zu Fuß gehen und vier Stunden vor Computer und Fernseher sitzen, sind Schmerzen im Kreuz programmiert.

Der moderne Lebensstil trägt dazu bei, dass der Rücken für viele Menschen zur Problemzone Nummer eins geworden ist. Wer das Arbeitsleben vor allem auf dem Bürostuhl verbringt, keinen Sport treibt und überzählige Kilos auf den Hüften hat, mutet dem eigenen Körper viel zu. Der Rücken mit seinen Muskeln, Sehnen, Bändern, Bandscheiben und 24 beweglichen Wirbelknochen ist ein stabiles Gerüst und ein flexibler Stoßdämpfer zugleich. Er braucht aber vielfältige Bewegung und Belastung. Wird er unterfordert, verkümmern wesentliche Teile des Halteapparats – und das hat schmerzhafte Folgen für die Betroffenen.

Daher gilt: Bewegung hilft. Gehen, laufen, bücken, drehen, recken, dehnen tun dem Körper gut, in allen Altersklassen. „Turne bis zur Urne“, rät der Rückenexperte und Autor Dietrich Grönemeyer von der Universität Witten-Herdecke. Er empfiehlt, jede Gelegenheit zur Bewegung zu nutzen: lieber Treppen steigen, als den Aufzug nehmen. Öfter das Auto stehen lassen und Fahrrad fahren. Und in der Freizeit die müden Knochen mit Sport wieder in Schwung bringen. Auf diese Weise lassen sich viele Schmerzattacken verhindern.

Rückenschmerzen sind ein Warnsignal des Körpers. Das Problem kann zum Beispiel rein körperliche Ursachen haben, wie zum Beispiel Verschleißerscheinungen der Bandscheiben, Knochenschwächen oder auch zu schwache Muskeln. Die Ursachen können aber auch psychosomatisch sein: So schlagen sich Stress und Kummer in Verspannungen nieder. Und die bringen das Zusammenspiel von Wirbelsäule und stützenden Muskeln aus dem Lot.

Für die Ärzte sind Rückenschmerzen ein Problem mit vielen Unbekannten. Röntgenbilder helfen bei der Diagnostik meist nicht weiter, wenn die Psyche eine Rolle spielt. Nur bei zehn bis 20 Prozent der Rückenschmerzpatienten lasse sich eine strukturelle körperliche Ursache feststellen, schätzt Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel. Er rät dazu, alle Faktoren zu prüfen, die zu den Rückenschmerzen führen können. Dazu gehören häufig auch emotionale, soziale und verhaltensbedingte Aspekte wie zum Beispiel Stress, Depressionen, Belastungen am Arbeitsplatz und Beziehungsprobleme.

Im akuten Fall können einfache Mittel wie eine Wärmflasche und Schmerzmittel helfen. In den meisten, unkomplizierten Fällen lassen die Schmerzen ohnehin nach ein paar Tagen wieder nach. Bis zu 90 Prozent aller Rückenschmerzen klingen nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga innerhalb von sechs Wochen ab – unabhängig von der Art der Behandlung.

Früher hielt man Ruhe und Schonung bei Rückenschmerzen für richtig. Doch mittlerweile setzen die Mediziner darauf, dass die Wirbelsäule mit den Muskeln, Bändern und Gelenken Bewegung braucht. Oft verschreiben die Ärzte Massagen und Spritzen oder Medikamente. Stark zugenommen hat nach Angaben der Krankenkassen die Verschreibung von Krankengymnastik. Bewährt hat sich auch Akupunktur. Die chinesische Nadeltherapie ist Studien zufolge sogar erfolgreicher als herkömmliche Behandlungsmethoden.

Rückenpatienten sollten verschiedene Therapieangebote nutzen – „von der Massage über Akupunktur, Yoga, Tai-Chi und Qigong bis hin zu Selbstbewusstseinsschulungen, Feldenkrais und guten Fitnessstudios“, rät Grönemeyer. „Der Patient muss auch eigenverantwortlich seine Möglichkeiten nutzen, um muskuläre Verspannungen zu lösen. Also nicht zur Ruhe kommen, sondern sich wirklich bewegen, sich dehnen und Körperwahrnehmung schaffen.“

90 Prozent aller Bandscheibenvorfälle heilen mit der Zeit von selbst

Nach Bandscheiben-Operationen kehrten die Probleme bei vielen Patienten wieder zurück, sagt der Münchner Rückenspezialist Martin Marianowicz. Er hat 12.000 Patienten mit Bandscheibenschäden behandelt und festgestellt, dass 80 Prozent der Operationen überflüssig sind. Nicht wenige Patienten hatten eine Odyssee bei Ärzten hinter sich und dennoch wurde die wahre Ursache für ihre Rückenschmerzen nicht gefunden. Marianowicz zufolge sind die wichtigsten Verbündeten bei der Behandlung die Zeit und die Natur, denn 90 Prozent aller Bandscheibenvorfälle heilten folgenlos ab. „Wir raten Patienten deshalb grundsätzlich zum Einholen einer zweiten Meinung von einem Spezialisten, um unnötige Operationen zu vermeiden.“