In einem umgebauten Truck werden Blut- und Urinproben analysiert. Er könnte auch bei Epidemien zum Einsatz kommen. Forscher des Fraunhofer-Instituts haben das Innenleben des Trucks entwickelt.

Sankt Ingbert. In dieser Woche rollt ein ungewöhnliches Fahrzeug durch Deutschland: Der 18 Meter lange weiß-blaue Sattelschlepper mit der Aufschrift „labor-der-zukunft.org“ kommt aus dem Saarland. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT in Sankt Ingbert bei Saarbrücken haben das hochgerüstete Innenleben des Trucks entwickelt. Aktuelles Fahrziel ist Greifswald, wo am Wochenende Freiwillige Blut- und Urinproben abgeben können.

Die Wissenschaftler aus Sankt Ingbert haben Labortechnik verbessert, vereinfacht und automatisiert. Das „Labor der Zukunft“ ist ein komplett ausgestattetes, aber kompaktes Biolabor. Es verfügt über modernstes Equipment und ist sogar für den Umgang mit potenziell infektiösen Proben zugelassen. Das versetzt die Forscher in die Lage, auch in Regionen aktiv zu werden, in denen eine gefährliche, ansteckende Krankheit grassiert. „Für ein hohes Maß an Sicherheit beim Umgang mit biologischen Substanzen sorgt unter anderem eine dichte Laborhülle mit gesicherten Personal- und Materialschleusen“, erklärt Daniel Schmitt, Leiter der Abteilung Labortechnologie am IBMT. „Ein leichter Unterdruck hält gefährliche Stoffe im Inneren des Labortrakts.“

Das Labor könnte als rollendes epidemiologisches Zentrum in Deutschland unterwegs sein. Es soll Wissenschaftlern die Möglichkeit bieten zu untersuchen, wie sich ansteckende Krankheiten verbreiten. Das schafft die Grundlage, um beispielsweise besser gegen den Ausbruch einer Grippeepidemie gewappnet zu sein. Auch bei der Bekämpfung anderer Epidemien könnten Bio-Trucks im Ernstfall womöglich helfen.

Wenn irgendwo in Deutschland eine ansteckende Krankheit ausbrechen und sich verbreiten würde, soll sich der Truck als mobiler Untersuchungs- und Behandlungsraum nutzen lassen. „Unser Fahrzeug ist das weltweit einzige mobile und rasch einsetzbare Labor, das diese Möglichkeit bietet“, sagt Fraunhofer-Forscher Daniel Schmitt. Mit einer kleinen Flotte solcher Fahrzeuge ließen sich zu Beginn einer Grippewelle Impfstoffe schnell und zuverlässig überall im Land verteilen. Die IBMT-Forscher wollen Schritt für Schritt eine solche Flotte aufbauen.

Doch zunächst ist der Bio-Truck im Auftrag des Umweltbundesamts unterwegs. Er tourt für die Umweltprobenbank des Bundes durch die Republik – eine umfangreiche Probenkollektion, die es seit den 1980er-Jahren gibt und die seitdem stetig erweitert wird. Es gilt, Schadstoffbelastungen zu erfassen und zu archivieren. Wissenschaftler testen dafür regelmäßig Pflanzen, Tiere und Gewässer in verschiedenen Regionen auf ihre Belastung durch Substanzen wie Farbstoffe, Medikamentenreste oder Pflanzenschutzmittel.

Besonders wichtig sind menschliche Proben, die einmal pro Jahr in einigen deutschen Städten bei Studierenden genommen werden. Seit Anfang der 1990er-Jahre sind das Ulm, Greifswald, Münster und Halle. Urin, Blut und Blutplasma der Probanden können jetzt gleich an Bord des Trucks analysiert und anschließend eingefroren und eingelagert werden. So lassen sie sich auch Jahrzehnte später noch wissenschaftlich auswerten. In Münster und Halle hat der Truck bereits Station gemacht. Nun ist Greifswald an der Reihe.

Mehr als 25 Jahre lang war die Universitätsklinik Münster für die Lagerung dieser Proben verantwortlich. Rund 260. 000 Röhrchen mit Blut oder Urin haben sich dort angesammelt. Sie werden in einer riesigen Kühlkammer bei minus 80 Grad Celsius aufbewahrt. Seit 2012 sammeln und konservieren die Fraunhofer-Forscher aus dem Saarland die Proben. Und sie haben bereits eine Innovation umgesetzt: Das deutsche Schadstoffgedächtnis soll nun in riesigen Stahltanks, gekühlt mit flüssigem Stickstoff, jahrzehntelang erhalten bleiben. Dafür wurde ein ehemaliger Sanitätsbunker der Bundeswehr südöstlich von Münster zu einem hochmodernen Probenlager umgebaut.

Jährlich soll ein Stahltank mit neuen Humanproben hinzukommen, gesammelt mit dem Truck. Das Kernstück des 40-Tonners ist ein 40 Quadratmeter großer Bereich im Laderaum. Um diesen Platz zu schaffen, lässt sich der Auflieger des Sattelschleppers seitlich ausfahren. Dadurch verdoppelt sich die Ladefläche. Das Labor nimmt die eine Hälfte des Raums ein, die andere Hälfte bietet Platz für drei Labormitarbeiter.

Die Testpersonen, die sich dort freiwillig gemeldet haben, erwartet ein straffes Prozedere: Ein Zahnarzt nimmt das Gebiss der Testpersonen unter die Lupe. Er hält fest, ob es Zahnfüllungen gibt. So lässt sich später ermitteln, ob Quecksilberbelastungen im Urin mit amalgamhaltigen Zahnfüllungen korrelieren – oder möglicherweise auf einen erhöhten Fischkonsum zurückzuführen sind.

Danach geht es zum Blutabnehmen. Die Urinproben bringen die Probanden selbst mit und geben diese im Truck ab – zusammen mit einem ausgefüllten Fragebogen über ihre Lebensumstände. Dieser hilft, die Quelle von Umweltbelastungen zuzuordnen. „Der Truck verändert die Qualität der medizinischen Probenahmen entscheidend“, sagt Schmitt. „Denn er stellt erstmals ein identisches Labor an allen Standorten bereit.“ Überall ließen sich nun Proben auf dieselbe Weise und unter den gleichen Bedingungen sammeln und verarbeiten.

„Unterschiedliche Voraussetzungen an den Probenahmestandorten führen zu verschiedenen Prozessen, was eine übergreifende Standardisierung der Arbeitsabläufe in allen Labors sehr schwierig macht“, beschreibt Dominik Lermen, der am IBMT die Arbeitsgruppe Umweltprobenbank-Humanproben leitet, die bisherige Situation. Den größten Teil der mobil gewonnenen Proben frieren Mitarbeiter unmittelbar nach der Portionierung in kleinen Mengen ein. Blutplasma und Urinproben werden aber zuvor eingehend charakterisiert.

Dazu verfügt das rollende Labor über ein automatisches Analysegerät. Nach wenigen Minuten spuckt es die Resultate der Blutuntersuchung aus. Die Messdaten werden der Probe zugeordnet, die mit einem Barcode versehen ist und sich dadurch jederzeit leicht wieder auffinden und identifizieren lässt. Auch die Urinproben prüfen Mitarbeiter an Ort und Stelle auf verschiedene Eigenschaften, etwa Dichte und elektrische Leitfähigkeit. Am Ende kommt jede Teilprobe in ein Röhrchen, das in einem Probenhalter landet und damit in einen Flüssigstickstofftank getaucht wird. Nach der Probenahme wird der 40-Tonner in Richtung Münster fahren und die umgebaute Bunkeranlage ansteuern.

„Bis 2040 ist genug Platz im Bunker“, sagt Dominik Lermen. Zu diesem Zeitpunkt wird das deutsche Schadstoffgedächtnis fast 60 Jahre in die Vergangenheit zurückreichen. Doch dann wird das Projekt nicht beendet sein. Ein zweiter Bunker, der sich direkt gegenüber der jetzt genutzten Anlage befindet, ist bereits langfristig angemietet worden.