Viele Millionen Kubikmeter Wasser werden jährlich über Weltmeere transportiert, um Schiffsladungen auszutarieren. Im Ballastwasser gelangen Tiere in fremde Gewässer. Neue Techniken sollen Schäden vorbeugen.

Hamburg. Die Nordsee ist ein Einwanderungsmeer. Mindestens 230 fremde Tier- und Pflanzenarten haben sich nach Untersuchungen des Hamburger Biologen Dr. Stephan Gollasch in dem Randmeer angesiedelt. Schätzungsweise ein Viertel bis ein Drittel dieser oft mikroskopisch kleinen Organismen reisten im Ballastwasser großer Seeschiffe ein, bevor sie, etwa vor der Elbmündung, aus den Tanks ins Freie gespült wurden. Die meisten Neuankömmlinge sind harmlos. Doch manche können großen Schaden anrichten. Deshalb will das Ballastwasser-Übereinkommen der Seeschifffahrtsorganisation IMO die Freisetzung der blinden Passagiere reduzieren. Deutschland will im Mai dem Abkommen beitreten.

Viele Millionen Kubikmeter Wasser werden jährlich über die Weltmeere transportiert, um Schiffsladungen auszutarieren. Beim Be- und Entladen wird Ballastwasser abgegeben oder aufgenommen. Mit ihm fließen unzählige Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere in die Tanks oder umgekehrt in die Hafengewässer. Gollasch fand bei der Untersuchung von 132 Ballastwasserproben vor allem mikroskopisch kleine Kieselalgen (95 Arten), Ruderfußkrebse (52 Arten) und Grünalgen (37 Arten). Eine andere Untersuchung an 500 Schiffen ergab, dass von einzelligen Algen bis zu 15 Zentimeter langen Fischen fast alle marine Lebensformen in den lichtlosen Tanks zu finden sind. Weiteres Leben fand sich in den Sedimenten am Tankboden, den zum Beispiel Krebse und Schnecken besiedelten.

Die Wollhandkrabbe hat bereits Schäden von rund 80 Millionen Euro angerichtet

Beim Abpumpen des Wassers gelangen die fremden Pflanzen und Tiere ins Freie. Dass sie ihrer neuen Heimat arg zusetzen können, zeigt das Beispiel der chinesischen Wollhandkrabbe. Sie reiste bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ballastwassertanks in Deutschland ein, verbreitete sich von der Unterelbe an der deutschen Küste, in Flüssen und Kanälen. Dort wirkt sie als Nahrungskonkurrentin von Fischen, gräbt Wohnhöhlen in Uferböschungen und Deiche. Die Krabbe hat in deutschen Gewässern bereits wirtschaftliche Schäden von 74 bis 85 Millionen Euro angerichtet.

Vor gut fünf Jahren gelangte die Rippenqualle auf gleichem Wege in die Ostsee. Im Schwarzen Meer führte die Art mit Ursprung Amerika zum Zusammenbruch der Fischbestände. Für die Ostsee gaben Forscher inzwischen Entwarnung. Ebenfalls in der Ostsee treibt der Schiffsbohrwurm (eine Muschel) sein Unwesen, zerstört Pfähle und Steganlagen. Nach BSH-Angaben verursachte er seit 1993 geschätzte Schäden von rund 25 Millionen Euro.

Um dem Fernverkehr von Meeresbewohnern zu bremsen, verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Weltschifffahrtsorganisation IMO (International Maritime Organization) im Jahr 2004 ein Übereinkommen „zur Kontrolle und Behandlung von Ballastwasser und Sedimenten von Schiffen“. Es sieht vor, dass das in den Häfen/Küstengewässern aufgenommene Ballastwasser während der Fahrt auf Hoher See ausgetauscht werden muss. Denn es ist unwahrscheinlich, dass Küstenorganismen auf Hoher See überleben und umgekehrt. Auch ist es verboten, Ballastwasser in Gebieten zu bunkern, in denen bekanntermaßen giftige Algenblüten oder Krankheitserreger auftreten.

Noch viel weiter gehen die Grenzwerte für die Dichte fremder Organismen im Ballastwasser: In einem Kubikmeter dürfen nicht mehr als zehn lebende Organismen sein, die größer als 0,05 Millimeter sind. Und in einem Milliliter dürfen nur neun Winzlinge der Größenordnung 0,01 bis 0,05 Millimeter leben. „Diese Werte sollen gestaffelt nach Baujahr und Größe bis spätestens 2019 für alle Schiffe eingeführt werden und sind nur mit Behandlungssystemen zu erreichen“, sagt Dr. Kai Trümpler, der beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) für die Zulassung solcher Anlagen zuständig ist.

Sechs Anlagen hat das Amt bereits geprüft und für gut befunden, rund 20 weitere wurden in anderen Ländern zugelassen. Sie arbeiten meist in zwei Stufen: Zunächst wird das Wasser mechanisch gefiltert. Das geschieht am besten schon bei der Aufnahme. Was im Filter hängen bleibt, kann dann sofort wieder über Bord gespült werden. Die zweite Stufe ist die Desinfektion. Hier wird alles, was lebt, spätestens dann abgetötet, wenn es das Schiff wieder verlässt. Dies kann mit UV-Strahlung, mit Ozon oder durch Zugabe von Chemikalien geschehen. Letzteres sei allerdings kritisch, so Trümpler: „Die Chemie darf die Umwelt nicht belasten, wenn das Ballastwasser abgelassen wird.“

Zu den Kosten mag Trümpler sich nicht gern äußern, sie variierten stark mit der Schiffsgröße beziehungsweise der Durchflussrate des Wassers und der Frage, ob die Anlage in einen Neubau oder als Nachrüstung installiert wird. Zudem entwickele sich der Markt erst noch. „Das BSH geht nach dem jetzigen Kenntnisstand davon aus, dass ein großer Teil der Behandlungsanlagen für 500.000 bis zwei Millionen Euro angeschafft und eingebaut werden kann“, so Trümpler.

Im Rahmen des Programms „North Sea Ballast Water“ fördert die EU Forschungs- und Entwicklungsarbeiten rund ums Ballastwasserproblem. Dazu gehört auch, dass an Bord der Schiffe relativ leicht zu kontrollieren sein muss, ob die Regeln des IMO-Übereinkommens eingehalten werden. Hier hat sich in den vergangenen Monaten einiges getan: „Das BSH hat 2011 einen Wettbewerb ,Effektive Technologien zur Hafenstaatkontrolle im Rahmen des Ballastwasserübereinkommens‘ initiiert und gefördert. Teilnehmer des Wettbewerbs haben belastbare, schnell und einfach anzuwendende Technologien zur Entnahme, Beprobung und Analyse von Ballastwasser entwickelt, die innerhalb von Minuten die Ergebnisse der Analyse bereitstellen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die jeweiligen Hafenstaaten die Einhaltung des Ballastwasser-Standards weltweit einheitlich kontrollieren können“, erklärt Monika Breuch-Moritz, Präsidentin des BSH. „Deswegen freuen wir uns auch über die guten Ergebnisse aus diesem Wettbewerb.“

Die technischen Voraussetzungen zur Umsetzung des IMO-Abkommens sind jetzt also vorhanden. Dennoch bleibt es zunächst noch wirkungslos. Denn die Mitgliedsstaaten vereinbarten seinerzeit, dass es in Kraft treten soll, wenn mindestens 30 Flaggenstaaten unterschrieben haben, die zusammen mindestens 35 Prozent der Welttonnage vereinen. Die Staatenzahl ist längst erreicht, doch bislang fallen nur 29,07 Prozent der Tonnage unter das Abkommen. Die größten Schritte zur Ratifizierung liegen Jahre zurück: der Beitritt Liberias im Dezember 2008 (11,66 Prozent der Welttonnage) und der Marshall-Inseln im November 2009 (7,87 Prozent der Welttonnage).

Die Schifffahrtskrise mag zur zögerlichen Umsetzung in jüngster Zeit beigetragen haben, ebenso die bisher fehlenden Möglichkeiten zur sicheren und schnellen Überprüfung des Ballastwassers. Zumindest die zweite Hürde ist nun genommen.

Als eines der nächsten Länder wird Deutschland dem Übereinkommen beitreten. Das nationale Gesetz ist im Februar in Kraft getreten, voraussichtlich im Mai soll die Ratifizierungsurkunde bei der IMO offiziell eingereicht werden – ein weiterer Schritt, um dem Abkommen Leben einzuhauchen. Allerdings eher ein kleiner Schritt: Der deutsche Beitritt erhöht die erfasste Tonnage um 1,26 Prozent.