In Reitbrook entsteht eine Anlage, die aus überschüssigem Strom Wasserstoff erzeugt und anschließend ins Hamburger Gasnetz einspeist.

Hamburg. Wenn in Norddeutschland kräftig der Wind weht, entsteht oft mehr Ökostrom, als nachgefragt wird oder abtransportiert werden kann. Dann werden Windrotoren abgeschaltet, um das Netz zu entlasten. Fieberhaft entwickeln Forscher technische Lösungen, um den wertvollen Strom komplett nutzen zu können. Ein Lösungsansatz mit bundesweiter Bedeutung soll jetzt in Hamburg-Reitbrook erprobt werden: Dort will der Energieversorger E.on eine sogenannte Power-to-Gas-Anlage bauen; noch in diesem Quartal soll dazu der Startschuss fallen. Sie wird mit überschüssigem Windstrom per Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Der Wasserstoff wird ins Hamburger Gasnetz eingespeist.

Im vergangenen Jahr hatten die erneuerbaren Energien bereits 22,9 Prozent der deutschen Stromproduktion übernommen. Schon heute stellen die unstetig anfallenden Solar- und Windenergien eine Herausforderung an das Stromnetzmanagement dar, und ihr Anteil wird weiter steigen - bis zur Mitte dieses Jahrhunderts sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen, lautet das Ziel der Bundesregierung. Gefragt sind deshalb technische Systeme, die es mit möglichst geringen Umwandlungsverlusten erlauben, überschüssige erneuerbare Energien zu speichern und bei erhöhter Nachfrage wieder nutzbar zu machen. Ein allgemein als vielversprechend angesehener Ansatz ist Power-to-Gas.

Matthias Boxberger, Vorstandsvorsitzender von E.on Hanse, nennt die Technik ein "Park-and-Ride-System für Energie: Wenn es im Stromnetz nicht weitergeht, kann man ins Gasnetz umsteigen." Herzstück des Umsteigebahnhofs ist der Elektrolyseur. Hier soll eine Technik zum Zuge kommen, die einer umgekehrten Brennstoffzelle entspricht: Mithilfe von Strom wird Wasser zerlegt und die positiv geladenen Protonen (Wasserstoff-Ionen) durch eine Membran geleitet. Jenseits der Trennwand verbinden sie sich zu Wasserstoffgas (H2), das anschließend ins Hamburger Erdgasnetz eingespeist und damit zum Heizen und Kochen, als Treibstoff von Erdgasfahrzeugen oder auch als Brennstoff in Kraftwerken eingesetzt wird.

Dieser PEM-Elektrolyseur erhielt seinen Namen nach der Hochleistungsmembran: PEM steht für Proton Exchange Membrane (Protonenaustauschmembran). Bislang wurde Wasser mit sogenannten alkalischen Elektrolyseuren gespaltet. Dabei entstehen etwas höhere Umwandlungsverluste (rund 30 Prozent) als bei PEM-Anlagen (rund 20 Prozent). Doch der größte Vorteil der neuen Technik ist ihre Kompaktheit: Sie hat etwa die Größe eines Rednerpults und nimmt nur ein Dreißigstel des Raumes des herkömmlichen Elektrolyseverfahrens ein. Dadurch können in der späteren kommerziellen Anwendung je nach Bedarf mehrere Elektrolyseure modular für unterschiedliche Leistungsbereiche zusammengeschaltet werden.

Bislang wurden PEM-Anlagen nur für Leistungsaufnahmen von höchstens 100 Kilowatt (kW) Strom erprobt. Das Hamburger Projekt soll nun der Einstieg in die Megawatt-(1000 kW)-Klasse und damit nach Angaben der Umweltbehörde die "weltweit modernste Power-to-Gas-Anlage" werden. 2014 soll der erste Wasserstoff ins Gasnetz fließen. E.on-Chef Boxberger: "Die Technik muss sich dann im Alltag bewähren. Da liegen noch große Herausforderungen vor uns."

Insgesamt 13,5 Millionen Euro wird das auf drei Jahre angelegte Projekt kosten, an dem neben E.on Hanse das Forschungszentrum Jülich, das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme, das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum sowie die Technologiefirmen Hydrogenics und SolviCore beteiligt sind. Das Konsortium übernimmt 52 Prozent der Projektkosten. 48 Prozent steuert das Nationale Innovationsprogramm für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) des Bundesverkehrsministeriums bei.

"Wir schlagen mit dem Projekt zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen schaffen wir einen Speicher für erneuerbare Energien, zum anderen überbrücken wir Engpässe im Stromnetz", sagte Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) am Montag bei der Präsentation des Projektes in der Handwerkskammer. Power-to-Gas sei eines der ehrgeizigsten Projekte der Hamburger Energiewende, betonte die Senatorin. Das Reitbrooker Projekt passe zum Energiedrehkreuz Hamburg - die Stadt verbinde den windenergiereichen Norden mit den Energieleitungen zu den industriellen Verbrauchszentren der Republik.

Die Hamburger Anlage ist eines von einem halben Dutzend Pilotprojekten, die in Deutschland Maßstäbe für die Speicherung von erneuerbaren Energien in Gasform setzen wollen. So betreibt die E.on Storage GmbH bereits in Falkenhagen (Brandenburg) ein Zwei-Megawatt-Projekt zur Wasserstoffproduktion aus Windstrom, allerdings mit einem Alkali-Elektrolyseur. In Stuttgart wird bei der Firma SolarFuel Sonnenstrom zunächst zu Wasserstoff und dann in einem zweiten Schritt durch Zugabe von Kohlendioxid zu Methan - und damit zu Kraftstoff für Erdgasfahrzeuge. Denselben Weg geht Audi. Der Fahrzeughersteller will vom Sommer dieses Jahres an täglich 3900 Kubikmeter "e-Gas" (synthetisches Gas aus erneuerbaren Energien) produzieren.

Ein Markt für den Hamburger Weg, also für mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff angereichertes Erdgas, sei derzeit noch nicht erkennbar, räumte E.on-Hanse-Chef Boxberger bei der Projektpräsentation ein. Dass die Energiebranche hier dennoch einen Zukunftsmarkt sieht, zeigt sich derzeit auf der Hannover Messe: 15 Aussteller zeigen Techniken, die Solar- und Windstrom in Wasserstoff umwandeln.

Die Technologie im Internet: www.powertogas.info