In einer Studie mit 200.000 Teilnehmern wurden neue Risikofaktoren für bösartige Tumoren der Brust, der Eierstöcke und der Prostata gefunden.

Hamburg. Die Fortschritte in der Analyse des menschlichen Erbguts ermöglichen immer genauere Einblicke in die Entstehung von bösartigen Tumoren. Jetzt wurden in einer großen internationalen Studie, an der weltweit mehr als 160 Forschergruppen beteiligt waren, neue genetische Risikofaktoren für drei Tumorarten entdeckt: 49 für Brustkrebs, den häufigsten Tumor bei Frauen, acht für Eierstockkrebs und 23 für Prostatakrebs, die häufigste Tumorerkrankung bei Männern. Die Ergebnisse sind in Artikeln der Fachzeitschriften "Nature" und "Nature Genetics" veröffentlicht.

Das Ergebnis: Die genetischen Veränderungen sind über das gesamte Erbgut verteilt und in der Bevölkerung weit verbreitet. Sie sind sozusagen genetische Ablesefehler, die zu Änderungen in der Kombination der Nukleinsäuren führen, aus denen der DNA-Strang zusammengesetzt ist. Diese sogenannten Single Nucleotide Polymorphisms, kurz SNPs, können das Risiko für die beiden gynäkologischen Tumorerkrankungen zwischen drei und 30 Prozent verändern. Und die Zahl der bekannten erblichen Faktoren hat sich mit dieser neuen Studie für Brust- und Eierstockkrebs mehr als verdoppelt.

Die neuen Erkenntnisse eröffnen möglicherweise neue Wege der Früherkennung und Prävention bei diesen bösartigen Tumoren. "Bisher ging man davon aus, dass nur fünf bis zehn Prozent aller Brustkrebserkrankungen vererblich, also genetisch bedingt seien. Es deutet sich nun sehr klar an, dass eine erbliche Veranlagung und damit eine gewisse Vorhersagemöglichkeit bei einer deutlich höheren Zahl von Frauen anzunehmen ist", sagt Prof. Christoph Lindner, Leiter des Brust- und Gynäkologischen Krebszentrums im Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg.

"Diese neuen Erkenntnisse könnten zum Beispiel von großem Nutzen für das in Deutschland etablierte Mammografie-Screening zur Früherkennung des Brustkrebses sein", sagt Lindner. Diese wichtige Vorsorgemethode hat den Nachteil, dass nur die Altersgruppe zwischen 50 und 70 Jahren untersucht wird, was bedeutet, dass etwa 40 Prozent aller Brustkrebsfälle auf diese Weise nicht entdeckt werden können, da sie bei jüngeren oder älteren Frauen auftreten. Andererseits hätte eine ungezielte Ausweitung der Mammografie auch Nachteile hinsichtlich der Strahlenbelastung. "Wenn nun das persönliche Brustkrebsrisiko einer Frau durch diese neuen Forschungsansätze genauer eingestuft werden kann, wäre eine individuelle, angepasste Krebsvorsorge möglich. Diese könnte viel effizienter ablaufen, nämlich Frauen mit niedrigem Risiko durch weniger Untersuchungen weniger belasten und Frauen mit erhöhtem Risiko durch eine intensivere Früherkennungsuntersuchung besser helfen", sagt Lindner.

Darüber hinaus wären diese neuen Informationen über eine erbliche Krebsveranlagung von Bedeutung in der ärztlichen Beratung zur Lebensführung und Prävention der Patienten. Dies könnte beispielsweise beim Brustkrebs die Hormonersatztherapie nach den Wechseljahren, aber auch die Einnahme bestimmter schützender Medikamente betreffen, wie zum Beispiel des Antiöstrogens Tamoxifen bei einem sehr hohen Brustkrebsrisiko.

Prof. Lindner ist davon überzeugt, dass das Erkennen von Krankheitsrisiken, die sich im genetischen Code jedes einzelnen Menschen verbergen, in naher Zukunft ein elementarer Bestandteil des Gesundheitschecks und der ärztlichen Betreuung werden dürfte. Auch Prof. Dieter Flesch-Janys von der Abteilung Krebsepidemiologie des Universitären Cancer Centers des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), die an den internationalen Studien beteiligt war, sieht in den neuen Erkenntnissen weitere Möglichkeiten für die Zukunft: "Die große internationale Kooperation bietet nun die Möglichkeit, das Zusammenspiel der genetischen Faktoren mit den Umwelt- und Lebensstilfaktoren genauer zu bestimmen."

Auch für die Früherkennung des Prostatakrebses ergeben sich aus den Ergebnissen der Studien neue Perspektiven: "Sie bringen uns einen Schritt weiter auf dem Weg zu effektiven Früherkennungsprogrammen für Prostatakrebs", sagt Prof. Doug Easton von der britischen Universität of Cambridge, der mehrere der jetzt präsentierten Studien geleitet hat.

"In Zukunft könnte vielleicht jeder Mann im Alter von 40 Jahren auf diese genetischen Veränderungen getestet werden", sagt Prof. Thorsten Schlomm, einer der leitenden Ärzte der Martiniklinik am UKE, die auf die Behandlung des Prostatakrebses spezialisiert ist. Bei Männern mit hohem Risiko würde dann regelmäßig ein PSA-Test durchgeführt. Diese Untersuchung des Blutes zeigt bei Prostatakrebs erhöhte Werte des Prostataspezifischen Antigens an, das in der Prostata produziert wird und als Tumormarker gilt. Männer, bei denen eine genetische Untersuchung kein erhöhtes Risiko ergebe, bräuchten dann in Zukunft vielleicht erst später wieder zur Vorsorgeuntersuchung kommen, sagte Schlomm.

Aber in ihrer Studie fanden die Wissenschaftler noch mehr heraus. "Einige dieser Veränderungen zeigten sogar einen Zusammenhang mit aggressiven Krankheitsverläufen", erläutert Schlomm. Er betont auch, dass nur fünf bis zehn Prozent aller Prostatakrebse vererbt sind. Die Zahl der bisher entdeckten genetischen Risikofaktoren liegt zusammen mit den neuen Erkenntnissen jetzt bei mehr als 70. Zudem zeigte sich in der Untersuchung, dass Männer, bei denen eine Kombination von vielen genetischen Veränderungen nachgewiesen wurde, im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung ein fünffach erhöhtes Risiko hatten, an Prostatakrebs zu erkranken. Dies war allerdings äußerst selten und traf nur auf ein Prozent der untersuchten Männer zu.