Eine neue Studie stützt eine Datierung, die zuletzt infrage gestellt wurde. Unterschiede liegen in der berechneten Mutationsrate

Tübingen/Leipzig. Ab wann wanderten moderne Menschen aus Afrika aus? Vor 60.000 bis 80.000 Jahren, befanden Forscher einhellig in archäologischen und genetischen Studien - bis 2012 ein Team um die Briten Aylwyn Scally und Richard Durbin im Fachblatt "Nature Reviews Genetics" die These aufstellte, die Auswanderung habe schon vor 130.000 Jahren begonnen. Zu diesem Schluss sei die Gruppe durch ein "sehr fragwürdiges Verfahren" gekommen, kritisiert Johannes Krause von der Universität Tübingen. Er gehört zu den Autoren einer neuen Studie, die nun im Fachjournal "Current Biology" veröffentlicht wird. Ihr Fazit: Der letzte gemeinsame Vorfahr von Afrikanern und ausgewanderten Menschen lebte vor 62.000 bis 95.000 Jahren. Frühestens in diesem Zeitraum könnte demnach die Auswanderung erfolgt sein.

Um Meilensteine in der Evolution des Menschen zu datieren, analysieren Anthropologen und Archäologen, zu wie vielen Veränderungen des Erbguts (Mutationen) es in einem bestimmten Zeitraum kommt. Dazu vergleichen sie Erbgut aus Knochen, die viele Tausend Jahre alt sind, mit der DNA heute lebender Menschen. Anhand dieser errechneten Mutationsrate können sie dann für noch weiter zurückliegene Zeiträume berechnen, ab wann etwa das Erbgut von Nicht-Afrikanern Veränderungen gegenüber der DNA von Afrikanern aufweist.

Das Team um Scally und Durbin wählte einen anderen Weg: Die Forscher untersuchten nur anhand des Erbguts aus den Zellkernen von heute lebenden Menschen, wie viele Veränderungen in der DNA von Kindern im Vergleich zu deren Eltern auftreten. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Zeitabstände zwischen Mutationen wohl erheblich länger seien als bis dahin angenommen worden war.

Dem stellt die Gruppe um Johannes Krause aus Tübingen und Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig ihre Erkenntnisse entgegen. Sie entnahmen Proben aus einigen der ältesten bekannten Skelette von modernen Menschen außerhalb Afrikas. Dann rekonstruierten und sequenzierten sie die DNA der Mitochondrien, der Kraftwerke der Zelle. Diese DNA besteht aus nur 17.000 Basen, wodurch sie schneller und günstiger auszulesen ist als die DNA im Zellkern, die aus etwa 3,2 Milliarden Basen besteht. Anschließend errechneten sie im Vergleich mit der DNA von heutigen menschlichen Populationen die Mutationsrate. Demnach lebte der letzte gemeinsame Vorfahr von Afrikanern und Nicht-Afrikanern vor 62.000 bis 95.000 Jahren; frühestens in diesem Zeitraum hätte eine Auswanderung beginnen können, so die Forscher.

Die Diskrepanz zwischen ihrer Arbeit mit alter DNA und der Studie an modernen Familien ergebe sich womöglich daraus, dass Scally und Durbin Mutationen übersehen hätten, sagt Kraus. "Zudem ist es möglich, dass sich die Mutationsrate in einer Generation im 21. Jahrhundert von der von uns berechneten Mutationsrate über 2000 Generationen in den vergangenen 40.000 Jahren unterscheidet."