Ablagerungen auf den Sehnen können zu starken Schmerzen führen. Welche Methoden Linderung versprechen

Berlin. Haare föhnen, Wäsche aufhängen oder den Pullover über den Kopf ziehen - wer schon einmal anhaltende Schulterschmerzen hatte, weiß, dass das Gelenk für viele Bewegungen unerlässlich ist. Für Patienten mit einer Kalkschulter kann der Alltag zur Qual werden. Bei dieser Erkrankung kommt es durch Kalkansammlungen in und auf den Schultersehnen zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen.

Die Schulter besteht nicht aus einem einzigen beweglichen Verbindungsstück zwischen zwei Knochen, sondern aus mehreren Teilgelenken. Es sind die beweglichsten Gelenke im Körper - und wahrscheinlich die kompliziertesten. Die Schulter ist so anfällig für Verletzungen und Verschleiß, weil sie nicht von Knochen, sondern von Bändern, Muskeln und Weichteilen gehalten wird. Verkalkungen kommen besonders häufig an der sogenannten Rotatorenmanschette vor. Dies ist ein Komplex aus vier Muskeln, die den Gelenkkopf in der Gelenkpfanne des Schulterblatts zentrieren.

"Diese Muskelgruppe verläuft eng zwischen zwei knöchernen Strukturen, dem Schulterdach und dem Oberarmknochenkopf, und wird dadurch bei vielen Bewegungen eingeklemmt", erklärt Markus Loew, Facharzt für Orthopädie an der Atos-Klinik in Heidelberg. "Die oberste Sehne, die Suprapinatussehne, ist besonders häufig von Verkalkungen betroffen", erklärt Ulrich Brunner, Präsident der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie. "Wodurch die Verkalkung entsteht, weiß man nicht ganz genau", sagt Loew. "Eine Vermutung ist, dass dies mit der schlechten Durchblutung dieser Region zusammenhängt."

Eine chronische Mangeldurchblutung des Sehnengewebes verursacht einen Sauerstoffmangel im Ansatzbereich der Rotatorensehnen. Deswegen wandeln sich die Sehnenzellen in Kalkzellen um. Davon merkt der Patient zunächst nichts, denn diese Minikalkkugeln machen bei Bewegungen noch keine Schwierigkeiten. Wenn diese Ablagerungen aber eine bestimmte Größe erreichen, treten Schmerzen auf. Bei Drehbewegungen des Arms über Schulter- oder Kopfhöhe können der Kalk und die Sehnen gegen das Schulterdach gepresst werden. Auch der Schleimbeutel, ein Puffer über der Sehne, wird dabei gequetscht. Die Betroffenen spüren dann je nach Lage des Kalks bei Überkopfarbeiten oder beim Tennisaufschlag einen stechenden Schmerz. "Patienten beschreiben die Schmerzen als dumpf, bohrend und vor allem bei Nacht störend", sagt Loew.

"Bei dieser Erkrankung kommen die Patienten wegen unerträglicher Schmerzen zu uns - es handelt sich also um ein hoch akutes Krankheitsbild", sagt Brunner. "Teilweise geht das so weit, dass die Patienten den Arm überhaupt nicht mehr bewegen können. Sie sind extrem geplagt und müssen manchmal sogar zur Schmerzbehandlung stationär aufgenommen werden." Wenn die Schmerzen zu stark werden, vermeiden die Patienten jede Bewegung, um die Schulter zu schonen - dann droht das Gelenk steif zu werden. Bewegungseinschränkungen in der Abspreizung und in der Drehbewegung der Schulter sind eine mögliche Folge. "Die Erkrankung ist insofern sehr besonders, dass sie nur an dieser einen Stelle des Körpers auftritt und eher selten bei alten Menschen vorkommt", erklärt Loew. Frauen im mittleren Lebensalter seien besonders oft betroffen.

Mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall, Röntgenuntersuchungen oder Kernspintomografie lässt sich die Kalkablagerung sichtbar machen. "Die beste Methode, um Kalk nachzuweisen, ist immer noch das normale Röntgenbild", sagt Brunner. "Hier können wir beispielsweise sehen, ob die Kugel zentriert ist. Wir können außerdem sehen, wie der Kalk aussieht: Ist er schollig oder diffus, scharf oder flau? Und wir können ihn genau lokalisieren." Für die Kalkschulter gilt derselbe Therapieweg wie bei anderen Schulterproblemen: Zunächst setzen Ärzte auf konservative Behandlungsmethoden. Die Symptome werden dann mit Schmerzmitteln behandelt. "Wenn die akuten Schmerzen im Vordergrund stehen, sind vor allem entzündungshemmende Medikamente sinnvoll", rät Loew. "Tabletten lassen sich deutlich einfach einnehmen, wirken jedoch auf den ganzen Körper", erklärt Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung der Apothekerverbände in Berlin. Sie verweist darauf, dass manche Wirkstoffe leicht den Magen reizen. Generell sollten Schmerzmittel nicht länger als drei Tage am Stück und nicht häufiger als zehnmal im Monat ohne ärztlichen Rat eingenommen werden.

Zudem wird versucht, die Durchblutung beispielsweise durch Physiotherapie anzuregen. Das soll den Abtransport des Kalkes fördern und die Beweglichkeit wiederherstellen. "Ich empfehle Patienten ergänzend Pendelübungen: Nehmen Sie eine volle Wasserflasche, lassen Sie den Arm hängen und pendeln ihn gleichmäßig nach vorne und nach hinten", erläutert Gerret Hochholz, Schulterexperte am Orthopaedicum in Frankfurt. Bewegungen, bei denen Druck auf den Oberarmkopf ausgeübt wird, etwa das Abstützen des Armes auf den Tisch, sollten hingegen vermieden werden.

Eine weitere Therapiemöglichkeit ist die Stoßwellentherapie. Sie wird oft eingesetzt, wenn die Beschwerden wiederkehren. "Dabei werden akustische Wellen unter hohem Druck als Stoßwellen ins Gewebe geschickt", erklärt Loew. Dort verbreiten sich die Wellen bis zur Schmerzzone. An der Grenzschicht zum kranken Gewebe sollen die Wellen wirken und die Ablagerungen zertrümmern. "Die Chancen auf einen Erfolg der Therapie liegen hier etwa bei 60 Prozent", sagt Loew. Etwa drei Wochen, jeweils einmal pro Woche, 15 Minuten lang, dauert die Schallwellenbehandlung. Ist die Therapie erfolgreich, tritt eine Besserung spätestens nach sechs bis acht Wochen ein. Das Verfahren eignet sich für Kalkansammlungen bis zu einem Zentimeter Größe. "Da die Behandlungsergebnisse hier aber nicht eindeutig sind, übernehmen viele Krankenkassen die Behandlungskosten nicht", gibt Brunner zu bedenken.

"Wenn man den Kalk wirklich ausräumen will, gibt es zwei Optionen", sagt Brunner. "Zum einen das Needling, zum anderen die Operation." Beim Needling schiebt der Arzt eine Nadel unter Ultraschallkontrolle in den Kalkherd vor. Flüssigkeit wird mit hohem Druck hineingespült. Dadurch lösen sich die Kalkansammlungen und können abgesaugt werden. Diese Technik wird allerdings nur selten angewandt, da sie für die Betroffenen sehr unangenehm ist.

Die Kalkdepotentfernung per Operation erfolgt als Arthroskopie, also mithilfe eines kleinen Schnittes und einer Gelenkspiegelung. Der Chirurg kerbt die Sehne dabei längs wie ein Knopfloch ein und saugt dann den Kalk mit operativen Instrumenten ab. Der Schnitt heilt danach von selbst. "Die Operation ist das Verfahren mit der höchsten Erfolgschance. Sie ist in etwa 95 Prozent der Fälle wirksam, aber sie bringt auch das höchste Komplikationsrisiko mit sich", urteilt Loew. Diese Entscheidung will deshalb wohl überlegt sein. "Die Operation ist nur dann sinnvoll, wenn Kalkdepots sehr groß sind oder aber, wenn die Schmerzen sehr heftig sind und es dem Patienten trotz Behandlung nicht besser geht", sagt Brunner. In etwa einem von 20 Fällen raten Ärzte zur Operation.

Hinzu kommt: "Der Kalk kann kommen und auch von selbst wieder gehen", sagt Brunner. Die Erkrankung kann in jedem Stadium zum Stillstand kommen oder abheilen. "Deshalb sollte nicht vorschnell operiert, sondern immer etwa drei Monate lang konservativ therapiert werden", rät Hochholz. Der Körper baue in manchen Fällen auch von selbst den Kalk ab, erklärt Loew. Dies sei aber oft auch ein sehr schmerzhafter Prozess. "In dieser Phase kann man die Schulter drei bis fünf Tage ruhigstellen und Schmerzmittel verabreichen." Den Patienten helfe es meist zu wissen, dass die Schulter nach diesem akuten Prozess wieder völlig in Ordnung sein wird.