Vor zehn Jahren starben etwa 800 Menschen an der Atemwegsseuche. Seit einigen Monaten ist ein ähnlicher Erreger aufgetaucht.

Hamburg/Berlin. Im Februar 2003 reist ein Mediziner aus der südchinesischen Provinz Guangdong nach Hongkong und checkt dort in einem Hotel ein. Der Gast aus Zimmer 911 hat Fieber und hustet. Er wird zum Superverbreiter der ersten weltumspannenden Epidemie des neuen Jahrtausends: des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms, kurz Sars. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft das Virus am 12. März 2003 als weltweite Bedrohung ein.

"Ein großer Teil der internationalen Verbreitung geht auf diesen Mann zurück", sagt Christian Drosten, Direktor am Institut für Virologie der Uni Bonn. In seiner Zeit am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg hatte er gemeinsam mit seinem Kollegen Stephan Günther das Virus identifiziert und beschrieben, wofür die beiden Wissenschaftler 2003 mit dem Preis der Werner-Otto-Stiftung ausgezeichnet worden waren. "Hongkong war die Pforte für die internationale Epidemie", so Drosten.

Als der Patient seine tödliche Fracht verteilt, kursiert die Krankheit in Guangdong schon seit Monaten - auf die ersten Fälle waren chinesische Behörden Mitte November 2002 aufmerksam geworden. Der Besucher aus Zimmer 911 steckt vor seinem Tod Anfang März Hotelgäste und Pflegekräfte im Krankenhaus an - insgesamt etwa ein Dutzend Menschen. Sie tragen das Virus in die Welt. Die WHO errechnet später, dass etwa die Hälfte der rund 8000 weltweit registrierten Sars-Fälle auf ihn zurückgehen. Rund 800 Menschen sterben an der Atemwegsseuche - die Dunkelziffer könnte nach Einschätzung von Experten noch höher liegen.

Umso aufmerksamer reagiert die weltweite Forschergemeinschaft, als im vergangenen Jahr neue Infektionen mit einem ähnlichen Virus bekannt werden. Über ein Dutzend Fälle sind bei der WHO bislang registriert. Die Patienten stammen vor allem aus dem Nahen und Mittleren Osten; einige von ihnen überleben die Infektion nicht. Der Erreger gehört wie das Sars-Virus zu den Coronaviren. Das Virus müsse weiter analysiert werden, sagt eine Sprecherin des Robert Koch-Instituts (RKI). Infektionsquelle und Übertragungsweg sind noch nicht genau bekannt. Die Behörden aber sind vorgewarnt.

Nicht so bei Sars: Es habe anfangs schon große Verärgerung über die verzögerten Informationen aus China gegeben, sagt RKI-Präsident Prof. Reinhard Burger in Berlin. Ein Teil der Krankheits- und Todesfälle sei andernfalls vielleicht ebenso vermeidbar gewesen wie die immensen wirtschaftlichen Folgen. "Das ist wie bei einem Waldbrand: Je eher eingegriffen wird, desto besser." Glücklicherweise sei das Sars-Virus nicht so leicht übertragbar gewesen wie etwa die Grippe.

Die WHO gibt eine Reisewarnung für Hongkong und Guangdong heraus - und damit erstmals für eine Region, in der kein Krieg herrscht. In Deutschland landet der Erreger am Vormittag des 15. März 2003 - mit einem aus den USA kommenden Flugzeug. An Bord: ein Arzt aus Singapur mit seiner schwangeren Frau und seiner Schwiegermutter. "Der Mann hat an Bord gesagt, dass er vielleicht an dieser neuen Krankheit leidet", erinnert sich Prof. Hans-Reinhard Brodt, Leiter der Isolierstation am Uniklinikum Frankfurt. "Er ist dann hier von der Feuerwehr mit ihrem Isolationsfahrzeug empfangen worden." Neun Sars-Fälle in Deutschland meldet die WHO später; alle Patienten überleben.

Generell sehen die Forscher Europa auch für einen neuen Ernstfall gut gerüstet. "Es gab eine massive Verstärkung der europäischen Netzwerke", sagt Stephan Günther, Leiter der Abteilung Virologie am BNI. Reinhard Burger verweist auf viele neue Verfahren zum Schnellnachweis von Erregern. Wie wichtig Geld für diesen Bereich sei, zeigten allein schon die wirtschaftlichen Auswirkungen einer relativ kleinen Epidemie wie Sars: "Die Schäden lagen nach Schätzungen der Weltbank bei 40 bis 50 Milliarden Euro."

Das Sars-Virus war wahrscheinlich von Fledermäusen über verspeiste Wildtiere auf den Menschen übergegangen. "Aber das Virus, also genau dieses Virus, hat man gar nicht wiedergefunden in der Natur", sagt Drosten. "Es kann sein, dass es das gar nicht mehr gibt." Der Ausbruch 2003 war im Sommer beendet, nach einem kurzen Aufflammen einige Monate später gab es keine weiteren Fälle.

Aber es folgen weitere Keime: Im Schnitt habe es in den vergangenen drei Jahrzehnten jedes Jahr einen neuen Erreger gegeben, sagt Burger. Kritisch bleibe es vor allem dort, wo Mensch und Tier eng zusammenlebten. Prinzipiell sei der evolutionäre Wettlauf zwischen Mensch und Erreger von vornherein zu Ungunsten der Menschheit entschieden. "Bakterien etwa haben eine Generationszeit von 20 Minuten, Menschen eine von 30 Jahren", erläutert Burger.

Das große Glück für die Menschheit sei, dass es für Erreger keinen Sinn mache, möglichst viele Infizierte zu töten. "Wenn ein Virus alle seine Wirte umbringt, setzt es sich ja selbst ins Aus", so der Wissenschaftler.