260 Experten aus Norddeutschland tauschen sich in Hamburg über Forschungsprojekte, Nutzungskonflikte und Schutzkonzepte aus.

Hamburg. Tourismus, Schifffahrt, Fischerei, Energiegewinnung, Naturschutz, Hochwasser- und Sturmflutschutz: In wenigen Lebensräumen prallen so viele Interessen aneinander wie an Küsten. Von Montag bis Mittwoch diskutieren rund 260 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft in der Hamburger Handelskammer über die Zukunft des deutschen Meeressaumes auf der Tagung "Küstenforschung, Küstennutzung, Küstenschutz".

Eingeladen hatte das Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. "Obwohl die einzelnen Akteure an den Küsten unterschiedliche Vorstellungen und Werte haben, ist es wichtig, gemeinsam am Thema zu arbeiten", betonte der Institutsleiter Prof. Hans von Storch. Neben den traditionellen Konflikten zwischen der Nutzung der Meere und dem Naturschutz sei die Erderwärmung zu einer weiteren Herausforderung geworden. Von Storch drückt es so aus: "Das Klimathema steht mitten im Wohnzimmer." Die Nordsee werde wärmer, der Küstenschutz müsse auf den Meeresspiegelanstieg reagieren. Und die Energiewende fordere den Ausbau der Offshore-Windkraft - "Nord- und Ostsee werden derzeit massiv umgestaltet".

Zu den traditionellen Konflikten gehört der Umgang mit der Tideelbe. Hier schaffen die Elbvertiefungen wiederkehrendes Konfliktpotenzial. Heinz Glindemann, der bei der Hamburger Hafenverwaltung HPA den Bereich Tideelbe und Hydrologie leitete, nahm (nunmehr als Pensionär) kein Blatt vor den Mund: "Wir müssen heute in Hamburg die Deiche erhöhen, weil wir in der Vergangenheit falsch gehandelt haben", sagte der "Hafenmann" mit Blick auf die Dynamik der Natur.

Schon während seiner Amtszeit warnte Glindemann vor negativen Folgen der Strombaumaßnahmen, speziell vor dem sogenannten Tidalpumping: Die Eingriffe ins Flusssystem haben den Wasserstand bei Niedrigwasser abgesenkt. Dadurch läuft die Flut deutlich kraftvoller auf und transportiert Sedimente aus dem Wattenmeer bis vor die Tore Hamburgs. Dort lagern sich die Mitbringsel in der Fahrrinne ab. Jährlich muss HPA zusammen mit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes zehn bis 20 Millionen Kubikmeter Sedimente umlagern, damit große Schiffe den Hafen erreichen können.

Das Problem werde sich durch den Klimawandel weiter verschärfen, warnte Glindemann: Die Klimamodelle errechneten für das Elbeinzugsgebiet deutlich trockenere Sommer. Gerade in der Jahreszeit, die heute schon für die Schifffahrt problematisch ist, werde dann "massiv weniger Wasser" die Elbe hinunterfließen. Das reduziere die Spülwirkung des Flusses, mit der er einen Teil der mit dem Flutstrom herangeschafften Sedimente wieder flussabwärts transportiert.

Um ein Infarkt der "Lebensader der Region" abzuwenden, wirbt Glindemann dafür, im Mündungsgebiet Sandbänke wachsen zu lassen. "Früher wurde in den Wattflächen nördlich der Fahrrinne viel Sand entnommen, etwa um Hafenflächen zu bauen. Dieser fehlt jetzt in der natürlichen Dynamik." Sandbänke entlang der Fahrrinne würden bei Flut das aus den Wattflächen einströmende Wasser abbremsen. Dadurch würden die feinen Sedimente, die heute flussaufwärts mitgerissen werden, bleiben, wo sie hingehören: im Watt.

Glindemann: "Schon 2006 gab es ein Sandbankkonzept. Aber es sah vor, die Sandbänke festzulegen. Besser ist es, natürliche Umlagerungen zuzulassen und einfach nur flexibel Sand zuzugeben. Die Natur baut dann selbst und spielt uns damit in die Hände." Dem Wasserbauingenieur schwebt eine Liefermenge von insgesamt 300 Millionen Kubikmeter Sand vor, die die Strömung dann an den rechten Ort transportieren würde. Geeigneter Sand liege direkt in der Nachbarschaft, so Glindemann: an der Ostemündung zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel. Dort ließen sich alljährlich tiefe Gräben ausheben, die dann im Laufe des Jahres von der Elbe wieder aufgefüllt würden.

Das Konzept eigne sich auch als Anpassungsmaßnahme an den drohenden Klimawandel, betont Glindemann. Bei der Tagung warb er für ein vorausschauendes Handeln: "Die holländischen Küstenschützer rechnen mit einem Meeresspiegelanstieg von vier Metern in 200 Jahren. Niemand weiß heute, ob es tatsächlich so kommen wird. Aber eine langfristige Strategie zum Umgang mit einer solchen potenziellen Gefahr bewahrt uns vor einem kurzfristigen reaktiven Hauruckhandeln, bei dem heftige Eingriffe erforderlich wären."

Dass der Wandel an der Küste auch positive Entwicklungen bringt, wird unter anderem Klaus Günther von der Schutzstation Wattenmeer am letzten Tag des Treffens darstellen. Der Löffler, auch Löffelreiher genannt, feiert derzeit ein Comeback. Der Vogel mit dem löffelartigen Schnabel war über Jahrzehnte als Brutvogel im deutschen Wattenmeer verschwunden. 1995 siedelten erste Exemplare aus dem niederländischen Wattenmeer nach Deutschland über - im Jahr 2012 brüteten 421 Löfflerpaare in zwölf Kolonien an der deutschen Küste, Tendenz steigend.