Viel wird über die Leistung der Honigbiene diskutiert. Dabei sind ihre wilden Verwandten für die Fruchtbildung viel wichtiger.

Lüneburg. Honigbienen sind nicht nur als Honigproduzenten bekannt. Vielmehr gelten sie als die größten Bestäuber von Obstbäumen und Gemüsepflanzen. Und so gibt es nicht ohne Grund in den USA, mit ihren riesigen Plantagen, einen regelrechten Bienentourismus. Im Frühjahr, wenn die Mandeln blühen, laden Imker rund 1,5 Millionen Bienenvölker auf Lastwagen und fahren sie als mobile Bestäubungstruppe kilometerweit durch die Gegend. Ohne die Honigbienen, so die einhellige Meinung, müsste sich die Menschheit drastisch in ihren Ernährungsgewohnheiten umstellen: Denn Äpfel, Orangen und Nüsse würden ohne die fleißigen Bestäuber rar werden, ihre Preise in die Höhe schnellen.

Die Prognosen sind düster, denn Honigbienen leiden an Krankheiten, etwa an der Varroa-Milbe, am Stress, am Colonie Collaps Disorder - und an der übermäßigen Verwendung von Insektiziden und Pestiziden. Weltweit schrumpft die Zahl ihrer Völker. In Teilen Chinas und Japans sind Bienen bereits ausgestorben, und so müssen Obstbäume von Hand bestäubt werden, mit einem Pinsel, Blüte für Blüte. Entsprechend fieberhaft bemühen sich Forscher, Imker und Landwirte darum, die Honigbiene zu erhalten.

Nun zeigen aber zwei neue Studien im Fachmagazin "Science", dass der Schutz der Honigbiene - zumindest wenn es um ihre Bestäubungsleistung geht - nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg ist. Denn offenbar gibt es Insekten, die wesentlich mehr zur Fruchtbildung (und indirekt damit auch zur Ernte) beitragen, als bislang allgemein angenommen. Insgesamt werden rund 80 Prozent der Wild- und Nutzpflanzen von Insekten bestäubt - von Honigbienen, aber auch von Wildbienen, Schwebfliegen, Käfern und spezialisierten Schmetterlingen.

Forscher um Laura A. Burkle von der Washington University haben die Entwicklung der Blütenbestäubersysteme in Illinois in den vergangenen 120 Jahren untersucht. Dazu konnten sie auf Daten des Insektenforschers Charles Robertson zurückgreifen. Er hatte im späten 19. Jahrhundert in mühevoller Kleinarbeit die Bestäuber bestimmter Pflanzen in der Nähe von Carlinville kategorisiert. Die Gegend veränderte sich im Laufe der Jahrzehnte: Wälder wichen Äckern, und im Winter und Frühling stieg die Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius.

In den 1970er-Jahren gab es eine erste Überprüfung der Robertson-Daten. In den Jahren 2010/2011 studierten Burkle und ihr Team erneut das Gebiet. Das Ergebnis: Mittlerweile lebt hier nur noch die Hälfte der Bienenarten, die es vor 120 Jahren noch gab. Die Bestäubungsrate ist auf ein Viertel gesunken, und die Qualität der Bestäubung hat ebenfalls drastisch abgenommen. Vor allem stark spezialisierte, parasitär lebende und höhlenbauende Insektenarten kämpfen ums Überleben, oder sind in der Region bereits ausgestorben. Gab es früher noch viele Insektenarten, die bestimmte Blüten anflogen, so sind es heute oft nur noch wenige. Das Fazit der Forscher: Die Bestäubersysteme verarmen in Illinois - und nicht nur dort. Wegen der Umweltveränderungen gibt es diesen Trend weltweit, was sich unweigerlich auch auf die Obst- und Gemüseernten auswirken wird.

Wenn sich das Sterben der wilden Insekten nicht drastisch auf die Nahrungsmittelproduktion auswirken soll, müssen also Wege gefunden werden, die Bestäubungsleistung zu ersetzen - so wie es viele Imker bereits mit ihren Honigbienenvölkern versuchen.

Und an dieser Stelle kommt die zweite "Science"-Studie ins Spiel. Hier hat sich ein Team internationaler Forscher um Lucas A. Garibaldi von der argentinischen Universidad Nacional de Rio Negro und Alexandra-Maria Klein, die an der Leuphana Universität Lüneburg Ökosystemfunktionen untersucht, die Bestäubungsleistung der wilden Insekten weltweit angesehen und sie mit der von Honigbienen verglichen.

Die Forscher haben 41Anbausysteme auf 600 Feldern auf allen Kontinenten (außer in der Antarktis) untersucht. "Wir konnten zeigen, wie wichtig wild lebende Insekten für die Kulturpflanzenbestäubung sind", erklärt Klein. Denn bei der Bestäubung durch Honigbienen ist der Fruchtansatz geringer, als wenn Wildbienen und andere Insekten den Pollen von Blüte zu Blüte tragen.

"Die Bestäubung von Blütenpflanzen durch wilde Insekten ist eine gefährdete Dienstleistung, da die Vielfalt und Masse der Insekten in vielen Ökosystemen abnimmt", schreiben die Forscher um Klein. Auf vielen Feldern und in Plantagen werden Honigbienen als zusätzliche Bestäuber eingesetzt. "Es ist bislang unklar, welchen Effekt der Niedergang der wilden Bestäuber auf die Nutzpflanzen hat, und ob der zunehmende Einsatz von Honigbienen den Schwund der wilden Bestäuber auffangen kann, oder ob er nicht sogar deren Verschwinden verstärkt."

Wenn die Forscher viele Honigbienen an den Blüten fanden, dann stieg die Rate der Fruchtbildungen nur in 14 Prozent der untersuchten Systeme. Bestäubten Wildbienen, Schwebefliegen, Käfer und Schmetterlinge die Blüten, so wurden wesentlich mehr Blüten zu Früchten. Die wilden Bestäuber erledigten ihren Job unabhängig davon, ob Honigbienen anwesend waren oder nicht. "Die Honigbienen ergänzen die Bestäubung der wild lebenden Insekten - ersetzen können sie die Bestäubungsleistung der wild lebenden Insekten aber nicht", sagt Klein.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Auch wenn Honigbienen als Bestäuber etwa auf Obstplantagen für die Bestäubung gebraucht werden, können sie nur zusammen mit den Wildinsekten eine optimale Bestäubung gewährleisten. Wer also die Versorgung mit Obst, Nüssen und Gemüse aufrechterhalten oder sogar verbessern will, darf nicht alleine auf Honigbienen setzen.

"Bei Mandelbäumen und vielen Obstsorten brauchen die Pflanzen zur Fruchtbildung Pollen von anderen Sorten. Honigbienen sind aber sehr ortstreu. Das heißt, sie fliegen einen Mandelbaum an und fliegen an diesem einem Baum von Blüte zu Blüte", erklärt Klein. "Das bringt für die Fruchtbildung nicht viel. Sind aber Wildbienen anwesend, so werden die Honigbienen gestört. Sie bleiben nicht so lange an den Blüten des einen Baumes, sondern fliegen auch andere Bäume an - die Bestäubungsleistung im Hinblick auf die Fruchtbildung ist dadurch viel höher." Wildbienen und andere Insekten haben zudem auch andere Vorlieben als Honigbienen: Honigbienen fliegen am liebsten in Blüten, die in der Sonne blühen. Wild lebende Insekten besuchen auch Blüten im Schatten, oder sie bestäuben auch bei schlechtem Wetter und zu anderen Tageszeiten.

Dass wilde Insekten mehr Schutz benötigen, haben andere Studien bereits gezeigt. Im Rahmen des EU-Forschungsprojektes ALARM wurden in Großbritannien und den Niederlanden 2006 Hunderte Bestäubungssysteme von Wildinsekten und den von ihnen bestäubten Pflanzen untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Vielfalt innerhalb von 25 Jahren drastisch abgenommen hatte. In 80 Prozent der untersuchten Gebiete sank die Zahl der Arten deutlich. Grund dafür sei vor allem die Umweltzerstörung.

"Der ökonomische Wert der Bestäubung liegt pro Jahr bei über 150 Milliarden Euro", sagt Josef Settele, Ökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, der das ALARM-Projekt koordiniert hat und Bestäubungssysteme erforscht. "Das ist die reine Leistung, die die Insekten einfach so erbringen. Müssten wir die Tiere in der Bestäubung durch menschliche Handarbeit ersetzen, so wären die Kosten wesentlich höher."

Der Weg aus dem Dilemma ist nicht einfach. Ein Schwenk hin zur biologischen Anbauweise etwa ist nicht sofort so erfolgreich, wie viele es erhoffen. Denn häufig sind die Lebensräume der wilden Insekten schon zerstört. Um sie wieder anzusiedeln, müssen Trockenmauern, Blühstreifen, Hecken und Regionen mit Gestrüpp aufgebaut werden. Bis die Insekten diese Nisthilfen dauerhaft annehmen, dauert es lange Zeit.

Doch diese Zeit sollten sich Landwirte und Obstbauern wohl nehmen. Denn so wenig es ohne die Honigbiene geht, so wenig geht es ohne ihre wilden Verwandten. Kein einfaches Vorhaben: "Wildbienen und andere Bestäuber in der Landwirtschaft einzusetzen ist schwierig", sagt Settele. "Denn die meisten Arten leben solitär, also nicht wie Honigbienen im Stock. Man kann sie also nicht wie Honigbienen auf kleinstem Raum halten und, wie etwa auf den Mandelbaumplantagen in Kalifornien, von einem Standort zum nächsten transportieren."

Wilde Bestäuber zu züchten sei unrealistisch. Nur soziale Insekten, wie Honigbienen oder auch Hummeln, könnten gezielt zur Bestäubung in Plantagen oder Treibhäuser gebracht werden, so Josef Settele.