Hamburger Forscher legen mit finanzmathematischem Modell den optimalen Zeitpunkt fest, um gegen den Treibhauseffekt vorzugehen

Hamburg. Jahr für Jahr macht sich rund um den Globus Enttäuschung breit: Wieder ist eine Klimakonferenz der Vereinten Nationen verstrichen, ohne dass die Regierungen ein schlagkräftiges Abkommen treffen. Warum werden so wichtige Entscheidungen hinausgeschoben? Handeln Politiker nicht kurzsichtig, wenn sie weiter abwarten? Am KlimaCampus habe ich mit meinen Kollegen Yu-Fu Chen und Nicole Glanemann das Verhalten der Akteure unter wirtschaftlichen Aspekten analysiert und Erstaunliches entdeckt: Für Regierungen kann Abwarten eine durchaus rationale Entscheidung sein.

Wie kommt es dazu? Sollte nicht gerade ökonomisch gesehen schon heute den mutmaßlichen Folgekosten des Klimawandels vorgebeugt werden? Ein Staat hat, vereinfacht gesagt, zwei Optionen: Er kann heute in den Klimaschutz investieren - oder eben nichts tun. Eine Investition reduziert dabei schädliche Treibhausgase, sodass mögliche Folgekosten abgemildert werden. Nichts zu tun ist aber auf kurze Sicht attraktiver: Die Ausgaben fallen heute an, rentieren sich aber erst später - wie sehr, ist ungewiss. Weil keiner die Zukunft kennt, ergibt sich daraus ein sogenannter Optionswert des Wartens: Das Abwarten bekommt einen ökonomischen Wert. Je länger ich warte, desto mehr wertvolle Informationen erhalte ich über die Situation, ich lerne dazu.

Erst ab einem bestimmten Schwellenwert wird das Zögern aufgegeben. Genau wie ein Unternehmen bei kurzfristig erhöhter Nachfrage nicht sofort neue Mitarbeiter einstellt oder eine weitere Fabrik baut, beobachten auch viele Staaten erst einmal die Entwicklung. Je größer die Unsicherheit, desto höher die Schwelle. Denn die meisten Investitionen können kaum ohne Verluste rückgängig gemacht werden.

Dies spielt auch bei der Abwägung von Klimaschutzausgaben eine Rolle. Welche Schäden treten tatsächlich ein? Steigt die Temperatur wirklich so hoch? Die Forschungslage zeigt: Der Klimawandel wird durch den Ausstoß von Treibhausgasen vom Menschen mit verursacht. Trotzdem können Wissenschaftler die konkreten Folgen stets nur in Spannbreiten angeben. So wird zum Beispiel die globale Temperatur in den nächsten 100 Jahren zwischen zwei und sechs Grad Celsius ansteigen - ein enormer Unterschied. Und vielleicht wird es in 20 Jahren eine günstige und effiziente Methode geben, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen? Gleichzeitig suggeriert der bisher nur langsam einsetzende Klimawandel, dass noch ausreichend Zeit bleibt.

Das Zusammenspiel all dieser Faktoren bilden wir in sogenannten Realoptionsmodellen mit einem finanzmathematischen Verfahren ab. So können wir den optimalen Zeitpunkt zum Handeln bestimmen. Eindeutiges Ergebnis: Weiteres Abwarten ist durchaus rational. Doch um die globale Erwärmung auf durchschnittlich zwei Grad Celsius zu begrenzen, bleibt nur ein kurzes Zeitfenster. Deshalb haben wir zusätzlich einen Faktor eingebaut, der diese "limited time to act" abbildet. Und dennoch: Am Ende dominiert selbst unter Zeitdruck die starke Unsicherheit das Handeln.

Alle bisher veröffentlichten Folgen aus der Rubrik "Neues vom KlimaCampus" zum Nachlesen: www.abendblatt.de/klimacampus