UKE-Forscher haben mit Kollegen aus anderen Einrichtungen Verschmelzungen im Erbgut gefunden, die die Tumoren bei jungen Männern erklären.

Hamburg. Prostatakrebs ist mit mehr als 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland die häufigste Tumorerkrankung bei Männern. Je älter die Männer werden, umso höher ist dabei das Risiko, daran zu erkranken. Doch zwei Prozent der Betroffenen sind zum Zeitpunkt der Diagnose noch keine 50 Jahre alt. Einen besonderen genetischen Mechanismus für die frühe Entstehung des Prostatakrebses konnten jetzt Forscher des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) zusammen mit Kollegen des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg und des Max-Planck-Instituts in Berlin aufdecken. Die Erkenntnisse, die in der Fachzeitschrift "Cancer Cell" veröffentlicht werden, könnten die Diagnostik und Therapie verbessern und erstmals eine Prävention ermöglichen.

Die Untersuchung ist Teil des größten Krebsforschungsprojekts der Welt, des Internationalen Krebs-Genom-Konsortiums (ICGC). Ziel ist es, die Gesamtheit der Gene der 50 wichtigsten Krebserkrankungen zu entschlüsseln und so einen Katalog mit allen krebsspezifischen genetischen Veränderungen zu erstellen.

In dem Projekt analysieren unter anderem vier internationale Forschergruppen Untertypen des Prostatakrebses. "Wir untersuchen gezielt Prostatakarzinome von sehr jungen Patienten", sagt Prof. Thorsten Schlomm, leitender Arzt der Martini-Klinik, des Prostatazentrums am UKE.

Die Forscher gehen davon aus, dass nur wenige genetische Veränderungen direkt für die Entstehung und das Wachstum eines Tumors verantwortlich sind. Je älter und aggressiver der Tumor wird, desto mehr zufällige Veränderungen entstehen durch genetische Instabilität. Im Frühstadium, in dem der Krebs gerade erst entsteht, ist die Zahl der Mutationen noch ziemlich gering. "Anders als bei fortgeschrittenen Tumoren, in denen man teilweise Tausende Mutationen findet, sind es bei dem frühen Prostatakrebs im Durchschnitt lediglich etwa 40 genetische Veränderungen. Eine davon muss die sein, die zum Krebs geführt hat", sagt Schlomm.

Zusätzlich gucken sich die Forscher auch strukturelle Veränderungen der DNA an. Schlomm beschreibt das Genom von Prostatakarzinomen als ein Buch, aus dem viele Seiten herausgerissen und falsch wieder eingeordnet wurden: "Die DNA ist zwar vollständig, aber komplett durcheinandergewürfelt. Dadurch entstehen Brüche und Ablesefehler." Einer dieser speziellen Brüche liegt auf dem Chromosom 21. Dort liegt das Gen TMPRSS2, das durch das männliche Geschlechtshormon Testosteron aktiviert wird, und ein Stück weiter das Gen ERG, das normalerweise nur bei Embryonen angeschaltet ist und die Organentwicklung steuert.

"Wenn jetzt das Stück dazwischen wegbricht, kommt das testosteronabhängige Gen mit dem embryonalen Gen zusammen, das Tumoren verursachen kann. Das heißt, immer wenn Testosteron auf die Zelle einwirkt, wird durch die Verschweißung der beiden Gene auch das embryonale Gen abgelesen. Solche Genfusionen können immer dann entstehen, wenn die Zelle versucht, Defekte in ihrem Erbgut zu reparieren", erklärt Dr. Joachim Weischenfeldt vom EMBL, neben Schlomm Hauptautor der heute veröffentlichten Studie.

Zwar seien solche Genfusionen beim Prostatakrebs schon seit 2005 bekannt. "Aber wir haben entdeckt, wie Genfusionen von Genen, die von männlichen Geschlechtshormonen, den Androgenen, abhängig sind, ganz speziell bei jungen Männern die Krebsentstehung fördern, und wir haben auch neue Genfusionen entdeckt. Sie führen letztendlich dazu, dass die Zelle einen Schaden hat und anfälliger wird für weitere Mutationen, die dann zum Tumor führen", sagt Schlomm

Als die Forscher das Erbgut von Tumoren bei besonders jungen Patienten mit dem von älteren Patienten verglichen, fanden sie bei 90 Prozent der jungen Patienten hormonabhängige Genfusionen, aber nur bei 30 Prozent der älteren. "Die Tumoren bei älteren Patienten entstehen im Gegensatz zu den Krebserkrankungen bei den Jüngeren durch eine Anhäufung von genetischen Fehlern im Laufe der Zeit", so Weischenfeld.

Jetzt hoffen die Forscher, eine Methode zur Früherkennung des Prostatakrebses bei jungen Männern entwickeln zu können. Es sei schon jetzt möglich, die Genveränderungen im Blut nachzuweisen. Aber es gebe noch keinen Standardtest. Der sei derzeit in Vorbereitung und könnte frühestens in drei bis fünf Jahren zur Verfügung stehen. "Und wenn wir verstanden haben, warum Prostatakrebs entsteht, haben wir auch die Hoffnung, dass wir präventive Methoden entwickeln können, die verhindern, dass sich der Tumor entwickelt", sagt Schlomm. Denkbar sei, Patienten mit einem hohen Risiko für diesen Krebs mit Medikamenten zu behandeln, die die Wirkung des Testosterons in den Zellen drosselt.

Als Risikopatienten gelten Männer, bei denen der Prostatakrebs vererbt wird. Das heißt, dass bereits Familienmitglieder von zwei vorausgegangenen Generationen erkrankt sind oder zum Beispiel in einer Linie zwei weitere Brüder. "Männer aus diesen Familien haben ein 17-mal höheres Risiko für Prostatakrebs als die Normalbevölkerung. Männer, bei denen Vater, Großvater oder ein Bruder erkrankt sind, haben ein zwei- bis vierfach erhöhtes Risiko", sagt Schlomm.