Durch Studien an Halbaffen wollen Forscher herausfinden, warum wir schlafen. Dabei untersuchen sie auch die Ruhephasen der Primaten.

Hamburg. Zu Beginn seines Vortrags zeigt Andrew Krystal zwei Portraitfotos von sich. Eines ist unterschrieben mit "Andrew Krystal, hellwach", das andere mit "Andrew Krystal, im tiefen Schlaf". Es ist dieselbe Aufnahme eines freundlich in die Kamera guckenden Brillenträgers. "Glauben Sie mir", sagt der Professor der US-amerikanischen Duke University, "ich weiß, wie man schlafen kann, während man über Stunden mit einem netten Gesichtsausdruck auf einem Stuhl sitzt und 'Aha' sagt. Ich bin Psychologe." Großes Gelächter bei den Teilnehmern der 13. Konferenz der Gesellschaft für Primatologie am Donnerstag in Hamburg. Was so lustig beginnt, ist die Frage nach einem der großen Rätsel unserer körperlichen Funktionsweise, nach einem Vorgang, der ein Drittel unseres Lebens einnimmt: Andrew Krystal will klären, warum wir schlafen.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Zoologischen Instituts der Universität Hamburg untersucht er deshalb unter anderem Lemuren auf Madagaskar. Diese Halbaffen zählen als Primaten zu unserer Verwandtschaft, wenn auch zu einer entfernteren als die großen Menschaffen Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Bonobos. Dafür zeigen viele der Lemuren, unter anderem verschiedene Arten von Mausmakis und Fettschwanzmakis, verschiedene inaktive Zustände, die man auf den ersten Blick als Schlaf ansehen könnte.

"Unser deutscher Begriff Winterschlaf ist diesbezüglich auch sehr verwirrend", sagt Kathrin Dausmann. Die Hamburger Juniorprofessorin bereitet sich gerade auf ihre nächsten Untersuchungen auf Madagaskar im Sommer vor. "Wir müssen aber generell zwischen Schlaf, Winterschlaf und dem sogenannten Tagestorpor unterscheiden", sagt die Zoologin. Als Tagestorpor bezeichnet man eine tägliche, nur wenige Stunden anhaltende Ruhephase von der man noch nicht sagen kann, ob sie Schlafphasen enthält.

Was ist Schlaf? Andrew Krystal beschreibt ihn als zyklischen, leicht zu ändernden Zustand mit reduziertem Reaktionsvermögen auf Ereignisse in der Umgebung. Säugetiere und Vögel zeigen das so definierte Schlafverhalten mit verschiedenen, über ein EEG zu messende Schlafphasen. "Auch Amphibien, Reptilien, Insekten und einige Fische haben gewisse Ruhephasen, aber da hier andere Hirnstrukturen vorliegen, kommen wir an unsere Definitionsgrenzen, ob dieses Verhalten dem Schlaf von Säugetieren und Vögeln entspricht", sagt Krystal.

Was die Wissenschaftler bisher herausgefunden haben: Während des Winterschlafs zeigen die untersuchten Lemuren keine der typischen Schlafphasen. "Die Aktivität des Gehirns kommt fast einem Hirntod gleich", sagt Krystal. Der Sinn dieser speziellen Ruhephase: Durch das Herunterfahren der Stoffwechselaktivität und der Körpertemperatur sparen die Tiere, meistens in Zeiten mit schlechtem Futterangebot, viel Energie ein. "Arten von Fettschwanzmakis in Wäldern entlang der Küste Madagaskars überwintern dabei in Baumhöhlen, und andere Arten im Hochland, wo es viel kälter werden kann, graben sich für diese Zeit bis zu 30 Zentimeter tief in den Boden ein", sagt Kathrin Dausmann.

Das Überraschende: Die Tiere werden in regelmäßigen Abständen wach, wobei Körpertemperatur und Stoffwechsel hochfahren, ohne dass die Halbaffen aber herumlaufen würden. "Diese Phasen verbrauchen 90 Prozent der durch den Winterschlaf eingesparten Energie - und wir wissen noch nicht, warum die Lemuren das tun", sagt Dausmann. Eine Theorie, sagt Krystal, ist die, dass die Tiere in dieser Zeit aus dem Winterschlaf aufwachen, um zu schlafen. "Es gibt viele Theorien, wozu wir Schlaf brauchen. Etwa um Gifte im Körper abzubauen, Gelerntes im Gedächtnis zu verankern oder das Immunsystem zu stärken. Wenn also die Tiere im Winterschlaf nicht wirklich schlafen, könnte ihnen hier ein wie auch immer gearteter Mangel entstehen", sagt Krystal.

Nachweisen konnten die Forscher diese Theorie bisher jedoch noch nicht. Versuche zum Schlafentzug bei Ratten hätten jedoch ergeben, dass Tiere, die dauerhaft wach gehalten wurden, ansonsten aber normalen Zugang zu Nahrung und Wasser hatten, nach elf bis 22 Tagen starben - ohne erkennbare körperliche Ursache. Die Tiere hätten trotz gesteigerter Nahrungsaufnahme Gewicht verloren und eine Hypothermie entwickelt, also eine Absenkung der Körpertemperatur.

Elektroden unter der Kopfhaut zeichnen die Hirnaktivitäten auf

Genauere Erkenntnisse erhoffen sich die Wissenschaftler daher von ihren kommenden Versuchen auf Madagaskar, wo sie Makis im Winterschlaf mit Elektroden versehen werden, die die Hirnaktivitäten aufzeichnen. "Bisher haben wir dazu winzige Drähte unter die Kopfhaut der Tiere geschoben, die sich die Lemuren nach dem Aufwachen einfach herausgezogen haben, ohne weitere Beeinflussung. Jetzt warten wir gerade auf einen Prototyp von Elektroden, die wir ohne Kabel einfach unter die Haut spritzen könnten", sagt Kathrin Dausmann.

Mit den Messreihen wollen die Hamburger Zoologen versuchen zu ergründen "was für eine Art der Winterschlaf wirklich ist", wie Kathrin Dausmann sagt. Und vielleicht käme man dann auch dem Geheimnis näher, warum wir Schlaf brauchen.