Was schadet Babys im Mutterleib und wie sparen Schiffe Treibstoff - Wissenschaftler verraten, welche Fortschritte sie sich 2013 erhoffen.

Archäologie

In Europa lebten sie mindestens 5000 Jahre lang zusammen, und sie hatten wohl Sex miteinander, wie Genanalysen zeigten: moderne Menschen und Neandertaler. Beide Gattungen besiedelten einst von Afrika aus unseren Kontinent und Asien. Ob sich ihre Wege dabei in Jordanien kreuzten, erforschen Wissenschaftler der Universität Hamburg, der HafenCity Universität und des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Vor Kurzem entdeckten sie unweit der antiken Stadt Gadara ein Bergwerk für Feuersteine. Dort fanden sie bis zu 100.000 Jahre alte Faustkeile - Hinweise, dass zumindest eine der beiden Menschenarten in der Region lebte.

In der Nähe stießen die Wissenschaftler auf bisher unbekannte Höhlen. In ihnen könnten Überreste von Neandertalern oder modernen Menschen aus der Steinzeit begraben sein. "Wir brauchen Knochen, die wir genau datieren können, und wir haben gute Chancen, diese in den Höhlen zu finden. Deshalb müssen wir 2013 hier unbedingt weiterarbeiten", sagt Dr. Frank Andraschko von der Uni Hamburg.

Der Archäologe will im kommenden Jahr aber nicht nur Dinge erforschen, sondern auch erschaffen. "Wir werden anhand von mittelalterlichen Schriftquellen und Ausgrabungsbefunden ein 1:1-Modell einer ländlichen Siedlung mit 18 Gebäuden aus dem 9. Jahrhundert bauen", sagt Andraschko. Das sei einmalig in Deutschland. Die Siedlung soll auf dem Gelände des Klosters Lorsch in Hessen entstehen, einer Unesco-Weltkulturerbestätte. "Wir wollen Besuchern einen realistischen Eindruck vermitteln, wie ein Herrenhof im Frühmittelalter ausgesehen haben könnte", sagt Andraschko.

Astronomie

Sterne kontinuierlich zu beobachten ist in unseren Breiten schwierig. Schuld ist das hiesige Schmuddelwetter. Das neue Hamburg Robotic Telescope wird deshalb vom Observatorium La Luz in Mexiko aus ins Weltall spähen. Dort ist der Himmel an 300 Tagen im Jahr zumindest teilweise wolkenfrei. Das Gerät arbeitet autonom; per Internet sollen die Daten nach Hamburg gelangen und zu Prof. Jürgen Schmitt. Der Astrophysiker von der Sternwarte will durch die Analyse verschiedener Sterne den Sonnenzyklus besser verstehen. "Die magnetische Aktivität der Sonne könnte Auswirkungen auf das Klima haben, auch deshalb ist die Erforschung so wichtig", sagt Schmitt. Eigentlich könnte das Teleskop längst stehen, wenn es der mexikanische Zoll nicht konfisziert hätte. Nun wartet Schmitt - und hofft, dass ihm das Jahr 2013 Glück bringt.

Solche Probleme muss sein Kollege Prof. Markus Brüggen nicht befürchten. Unter der Leitung des Astrophysikers soll im nächsten Sommer auf einem Fußballfeldgroßen Areal in Norderstedt die Hamburger Station von LOFAR aufgebaut werden, einem Verbund aus 10.000 Antennen in fünf Ländern, die zusammen ein riesiges Radioteleskop bilden. Radiowellen sind elektromagnetische Wellen - wie sichtbares Licht, nur länger. Der Rundfunk sendet Daten in Form von Radiowellen, aber auch Sterne und Gashaufen im All strahlen Radiowellen aus, die von Teleskopen empfangen werden können. Auf einer noch wenig erforschten Frequenz will Brüggen Signale aufspüren, die aus dem frühen Universum stammen, das noch von neutralem Wasserstoff erfüllt war.

Biologie

Für Orchideen-Liebhaber gibt es gute Nachrichten: Forscher des Herbariums der Universität Hamburg, in dem 1,8 Millionen Pflanzen archiviert sind, werden im kommenden Jahr ein Register für die Sammlung der facettenreichen Blütenpflanze veröffentlichen. Künftig kann dann jeder Hamburger online nachsehen, welche Orchideen-Arten es in der Hansestadt gegeben hat. Dr. Hans-Helmut Poppendieck, Kustos am Herbarium, plant außerdem, den von ihm herausgegebenen Hamburger Pflanzenatlas zu ergänzen: "So wie wir in diesem Jahr über eine Orchidee berichtet haben, die früher auf dem Hamburger Berg zu finden war, möchte ich 2013 weitere Ein- und Auswanderungsgeschichten der Hamburger Pflanzen recherchieren und erzählen."

Chemie & Physik

Es ist ein Mammutprojekt: Etwa 40 Forschungsgruppen sollen im Hamburg Centre for Ultrafast Imaging zusammenarbeiten, dem neuen Exzellenzcluster, der in den kommenden fünf Jahren mit 30 Millionen Euro vom Bund gefördert wird. Beteiligt sind neben der Uni Hamburg unter anderem das Deutsche Elektronen-Synchrotron, das Center for Free-Electron Laser Science und das neue Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie. Von den geplanten 100 neuen Stellen (die meisten sind für Doktoranden und Postdocs gedacht, neun für Professuren) seien inzwischen 35 besetzt worden, davon "erfreulich viele mit Frauen", sagt Prof. Klaus Sengstock vom Institut für Laserphysik der Universität und Co-Sprecher des Clusters. Bis Ende 2013 soll das Team fast komplett sein.

Die Arbeiten beschäftigen sich mit Problemen aus verschiedenen Disziplinen der Chemie und der Physik, es gibt aber eine Klammer, die alle Studien verbindet: Immer geht es darum, mit Laserlicht die Bewegungen von Atomen und Molekülen nachzuvollziehen, zu "filmen", in lebendem Gewebe und anorganischen Verbindungen, in Flüssigkeiten, Gasen und Feststoffen. Es ist zwar bekannt, wie etwa unser Erbgut aufgebaut ist, wie sich Viren zusammensetzen, woraus das Blattgrün Chlorophyll besteht, welche Struktur Eis und Eisen haben. Es ist aber erst teilweise erforscht, wie sich die Welt der kleinsten Teilchen unter bestimmten Bedingungen verändert. Das ist zum Beispiel relevant für die Medizin. Proteine etwa, die "Arbeitspferde" unserer Zellen, erfüllen ihre Funktion nur optimal, wenn sie in eine spezifische dreidimensionale Form gefaltet sind. Fehlgefaltete Proteine können zu Krankheiten wie Krebs führen. Gelänge es, diese Prozesse zu beobachten, ließen sich damit womöglich Medikamente entwickeln.

Weil Bewegungen im Nanokosmos extrem schnell ablaufen, sind ultrakurze Lichtpulse nötig. Maschinen wie der 2005 gestartete Röntgenlaser Flash am Desy erzeugen Blitze, die nur millionstel von milliardstel Sekunden dauern. Gar kürzer als 100 billiardstel Sekunden dauern die Lichtblitze, die der neue neuen Röntgenlaser European XFEL erzeugen soll, der derzeit gebaut wird. Die 3,4 Kilometer lange unterirdische Anlage reicht vom Desy-Gelände in Bahrenfeld bis nach Schenefeld in Schleswig-Holstein. Ab dem Frühjahr sollen die ersten Module für den Teilchenbeschleuniger der Anlage in den Tunneln eingebaut werden.

Erneuerbare Energien

Bis zu 40 Prozent Kohlendioxid (CO2) könnten die Hamburger Behörden einsparen, wenn sie mit intelligenter Steuerungstechnik ausgestattet würden, etwa Lichtbewegungsmeldern und anderen Sensoren. Das hat Professor Werner Beba, Leiter Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) ausgerechnet. Die HAW ist seit zwei Monaten mit eben solcher Technik ausgestattet, sodass sich ab 2014 jedes Jahr rund 30 Prozent der Energie und 35 Prozent des CO2 einsparen lassen. Nun soll die grüne Hochschule zum Vorbild für Hamburg werden. Ein Konzept für die Finanzierung hat Beba auch schon erarbeitet. 2013 könnte es losgehen.

Flugzeugsystemtechnik

Premiere an der Technischen Universität Harburg: Ab 2013 werden Studenten und Doktoranden ihre selbst entwickelten Steuerungssysteme zum automatisierten Fliegen bei Wind und Wetter erproben - derartige Tests konnten bisher nur Unternehmen durchführen. Raus aus dem Labor, rein in die Realität, das sei das Besondere an dem Projekt, sagt Frank Thielecke, Professor für Flugzeugsystemtechnik. Er hat mit den Nachwuchsforschern den Motorsegler HK36R Super Dimona nachgebaut, im Maßstab 1:3, mit einer Spannweite von 5,4 Metern. 25 Kilo wiegt das Fluggerät, das GPS-Sensoren und zwei Computer an Bord hat. "Für unsere Studenten ist der Test ihrer Steuerungssysteme unter echten Bedingungen sehr spannend. Aber auch für Hobbyflieger könnten die Ergebnisse dieser Flugversuche interessant sein", sagt Thielecke. Etwa wenn daraus ein Flugassistent entwickelt werden könnte, der im Notfall übernehme.

Klima

Die zunehmende Trockenheit in Teilen der Welt infolge des Klimawandels birgt viele Konflikte, führt sie doch dazu, dass Menschen sich um Wasser und Lebensraum streiten müssen - und womöglich sogar Kriege deswegen führen werden. Wissenschaftler ergründen deshalb längst nicht mehr nur die Ursachen des Klimawandels, auch seine Folgen sind nun Gegenstand der Forschung. Im Hamburger Exzellenzcluster CliSAP forschen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam. "Wir wollen unsere Klimamodelle für Nordafrika mit den Erkenntnissen der Forschung zu Kriegen und Konflikten verknüpfen", sagt Martin Claußen, Professor an der Uni Hamburg und Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Er will 2013 mit seinem Kollegen Jürgen Scheffran vom Institut für Geografie der Universität die unterschiedlichen Forschungskonzepte der Sozial- und der Naturwissenschaften zusammenbringen.

Medizin

Interdisziplinarität wird auch bei den Medizinern vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) großgeschrieben. Ab Mitte 2013 wollen sie unter anderem zusammen mit Chemikern von der Uni Hamburg einen Prototyp für das sogenannte Magnetic Particle Imaging testen. Die neue Bildgebungsmethode soll einen schärferen Blick auf Tumoren und Gefäße ermöglichen.

Wie sich verschiedene Einflüsse, etwa Stress, während der Schwangerschaft auf die spätere Gesundheit des Kindes auswirken, untersucht am UKE ein Team aus Geburtsmedizinern, Kinderärzten, Immunologen und Psychologen in der Prince-Studie. Die Forscher haben bereits 111 Frauen aufgenommen, die sie vorerst bis zum dritten Lebensjahr des Kindes begleiten werden; 1000 Schwangerschaften wollen sie insgesamt dokumentieren (mehr: www.abendblatt.de/prince-studie).

Schifffahrt

Schiffe gucken. Der Klassiker in Hamburg. Schiffe zu testen, das ist eine Aufgabe mit Zukunft für die Ingenieure der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA). Seit Kurzem erproben die Forscher Schiffsmodelle im großen Schlepptank mit einem neuen seitlichen Wellenerzeuger. "Wir wollen herausfinden, wie ein Schiff bei typischem Seegang einen möglichst geringen Verbrauch hat", sagt Dr. Uwe Hollenbach, der Chef der HSVA-Abteilung Widerstand und Propulsion. "Vor wenigen Jahren war noch die Mannschaft der Hauptkostenfaktor. Heute ist es der Treibstoff", sagt Hollenbach. "Deshalb fordern die Reedereien Schiffe, die effizienter sind - auch bei Seegang."

Zukunft

Wo lebt es sich in Deutschland am besten? Wo gibt es die sichersten Arbeitsplätze? Und wie zukunftsfähig ist Hamburg? In Zusammenarbeit mit dem Ipsos-Institut will der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski den Wohlstandsindex NAWID weiterentwickeln, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Wohlstand hat für den Professor nicht nur mit Geld zu tun. "Jenseits von Geld und Gütern gibt es Lebensqualitäten im sogenannten 4-F-Umfeld von Familie und Freunden, Frieden und Freiheit, die nachhaltiger sind als bloße Steigerungen des Lebensstandards", sagt Opaschowski, der bis 2010 insgesamt 30 Jahre lang wissenschaftlicher Leiter der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen war.