Zur Wassergewinnung in der Wüste schauen Ingenieure auf den Nebeltrinker. Weltweit haben derzeit eine Milliarde Menschen kein Wasser.

Denkendorf/Gobabeb. Viele Gebiete, in denen die Bewohner noch vor wenigen Jahren Ackerbau und Viehzucht betreiben konnten, versteppen im Zuge der Klimaveränderung zunehmend. Es wird dadurch wichtig, diesen Menschen eine Alternative zur Abwanderung aus ihrer Region zu bieten. Und dazu brauchen sie vor allem eines: Wasser. Etwa eine Milliarde Menschen haben derzeit keinen Zugang zu dem lebensnotwendigen Nass.

Die Ingenieure Dr. Jamal Sarsour und Dr. Thomas Stegmaier vom Institut für Textil- und Faserforschung (ITV) im schwäbischen Denkendorf haben sich schon länger mit dem Problem des Wassermangels in vielen Regionen der Erde beschäftigt und sind auf eine verblüffende Lösung gekommen: den dreidimensionalen Nebelfänger. Als Vorbild für ihre Erfindung diente ein Käfer: der Nebeltrinker-Käfer Onymacris unguicularis aus der Namibwüste in Namibia. Der Käfer stellt sich in den Morgenstunden mit seinen Hinterfüßen gegen den in der Namibwüste oft vom Meer kommenden Nebelstrom und fängt mit seinem Rücken die Aerosoltröpfchen aus dem Morgennebel auf. Die durch die Anhaftung am Rücken immer größer werdenden Tröpfchen fließen dann irgendwann der Schwerkraft folgend seinen Rücken herunter bis in den Mund des Käfers.

Besonders interessiert hat die beiden Forscher dabei die Struktur des Rückenpanzers. Durch seine dreidimensionale hügelige Mikrostruktur bleiben die Nebeltropfen an dem Rücken gut haften und rollen dann, wenn sie größer geworden sind, über die Senken einfach ab. "Irgendwann sind wir darauf gekommen, dass man den Stoff für einen Nebelfänger dreidimensional konstruieren müsste. Das hat auch den großen Vorteil, das das Material dicker wird und so eine größere Oberfläche bekommt, was natürlich wieder dazu führt, dass mehr Wasser in dem Stoff hängenbleibt", sagt Stegmaier. Also entwickelten die Ingenieure unter der Verwendung von sogenannten Abstandstextilien eine Polyesterstruktur zur Ausnutzung der dritten Dimension. Diese musste die notwendige hohe Luftdurchlässigkeit für die in der Wüste oft vorkommenden Stürme, eine hohe UV-Beständigkeit für extreme Sonneneinstrahlung und natürlich eine hohe Nebelaerosolabscheidung miteinander vereinen.

"Unsere Versuche im Labor haben ergeben, dass gerade Kunstfasern aus Polyester am besten dazu geeignet sind, schlaufenartige Maschen so miteinander zu verbinden, das man diese zu räumlichen Textilgebilden verknüpfen kann. Und damit können wir dann die dritte Dimension ausnutzen, die sowohl viel höhere Abscheidungsmengen als auch eine bessere Windbeständigkeit garantiert", sagt Sarsour. Denn es gab auch vorher schon verschiedene Versuche, den Nacht- oder Morgennebel in ariden Gebieten aus der Luft abzuscheiden. "Dabei wurden aber nur zweidimensionale Stoffe wie etwa Polypropylen eingesetzt, die lange nicht so viel Wasser abscheiden konnten und zudem durch ihre dichtere Struktur auch einen höheren Luftwiderstand hatten", ergänzt Sarsour. Das hätte gerade in der Wüste mit ihren starken Stürmen oft dazu geführt, dass die Stoffe einfach zerfetzt wurden.

Aufgestellt wird der dreidimensionale Nebelfänger genauso wie seine zweidimensionalen Vorgänger: Ähnlich wie ein Volleyballnetz wird der Stoff etwa zwischen zwei Masten straff gezogen. "Den meisten Nebel gibt es erfahrungsgemäß in den nacht- oder frühen Morgenstunden", weiß Stegmaier. Aufgefangen wird das "geerntete" Wasser in einer Rinne, die über einen Schlauch in einen Tank geleitet werden kann und nur noch gefiltert werden muss, um als Trinkwasser von der Bevölkerung genutzt zu werden.

Zwei Feldversuche haben die Denkendorfer Textilentwickler schon mit den neuen Nebelfängern durchgeführt. Bei diesen Praxistests in der Namibwüste und den extrem trockenen Bergregionen Eritreas hat sich herausgestellt, dass die dreidimensionalen Materialien zwei- bis dreimal so viel Wasser aus den Nachtnebeln abscheiden konnten, wie die zweidimensionalen Vergleichsmaterialien. Insgesamt ist die Ausbeute der Nebelkollektoren standortabhängig. Sie kann zwischen drei Liter Wasser in der extrem trockenen Namibwüste und zehn Litern in den Bergen Eritreas, pro Quadratmeter Gewebe und Tag, schwanken - Nebelereignisse vorausgesetzt.

Deshalb sieht der Geschäftsführer des Verbandes Forschungskuratorium Textil (FKT), Dr. Klaus Jansen, auch ein enormes Potenzial in der neuen Erfindung: " Da die dreidimensionalen Nebelfänger leicht zu handhaben sind und zudem für ihre Aufstellung keinerlei zusätzliche Energie verwendet werden muss, denke ich, dass sie gerade in Entwicklungsländern schon bald zum Einsatz kommen könnten. Und das nicht nur für die Trinkwasserbereitstellung, sondern auch für Gewinnung von Wasser für Ackerbau und Viehzucht."

Bisher gibt es nur Prototypen der neuen Nebelfänger, aber das könnte sich bald ändern. Vergangene Woche haben sich zwei Textilfirmen gemeldet, die die Nebelfänger im großen Maßstab herstellen wollen. Schon nächstes Jahr sollen die Kollektoren dann in Afrika zum Einsatz kommen.