Für bessere Therapie: Hamburger Forscher finden weiteren Marker für Hodentumoren. Häufigkeit der Erkrankung nimmt bundesweit zu.

Hamburg. Es ist insbesondere ein Leiden von jungen Männern, doch die wenigsten von ihnen wissen überhaupt, dass es so etwas gibt. Die Rede ist von Hodenkrebs, einem bösartigen Tumor, der besonders in der Altergruppe zwischen 20 und 40 Jahren auftritt. Zur Beurteilung, ob der Tumor erfolgreich behandelt wurde oder ob es möglicherweise zu einem Rückfall gekommen ist, messen Ärzte sogenannte Tumormarker im Blut, bei denen die Höhe der Werte die Aggressivität und die Schwere der Erkrankung anzeigt. Jetzt haben Spezialisten des Hamburger Albertinen-Krankenhauses zusammen mit Wissenschaftlern des Zentrums für Humangenetik der Universität Bremen einen weiteren Tumormarker entdeckt und berichten darüber im Fachjournal "British Journal of Cancer".

"Es gibt schon drei Tumormarker. Sie sind aber leider nicht bei allen Patienten mit Hodenkrebs zu finden, vor allem nicht bei der größten Gruppe der Tumoren, den Seminomen", sagt Prof. Klaus-Peter Dieckmann, Chefarzt der Urologie am Albertinen-Krankenhaus.

Auf der Suche nach einem Tumormarker, der für möglichst viele Hodenkrebse anwendbar ist, stießen die Forscher auf sogenannte Micro-RNAs, kleine Ribonucleinsäuremoleküle, die aus dem Zellkern stammen und von den Krebszellen in die Blutbahn abgegeben werden. "Wir haben herausgefunden, dass bei Hodenkrebspatienten die Micro-RNA Nummer 371 im Blut erhöht ist", berichtet Dieckmann.

Die Arbeitsgruppe aus Hamburg und Bremen untersuchte Blut von 24 Patienten vor Beginn und nach dem Ende der Therapie. "Es zeigte sich, dass bei Hodenkrebspatienten im Vergleich zu Gesunden der Wert erhöht war, und dass er nach erfolgreicher Behandlung in den Normalbereich absank", sagt Dieckmann. Er und seine Kollegen hoffen nun, dass sie nach weiteren Studien diese Tumormarker zur Verlaufskontrolle in der Nachsorge einsetzen können. "Vielleicht kann man dann auch auf Untersuchungen verzichten, die mit einer erhöhten Strahlenbelastung verbunden sind, wie zum Beispiel ein Computertomogramm", sagt der Urologe.

Der Tumor gehört mit etwa 5000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland zwar zu den seltenen Krebserkrankungen. Aber die Häufigkeit nimmt zu - und es ist die häufigste Krebserkrankung bei jungen Männern zwischen 20 und 40 Jahren, einem Alter, in dem das Sexualleben und die Familiengründung eine wichtige Rolle spielen.

Warum der Krebs entsteht, ist unklar. "Man weiß aber, dass Hodenkrebs vor allem in Europa und Amerika auftritt, selten in Afrika und noch seltener in Asien. Daran sieht man, dass die Gene eine gewisse Rolle spielen", sagt Dieckmann. Man weiß auch, dass dieser Krebs bereits beim Ungeborenen im Mutterleib entsteht. In dem sich entwickelnden Hoden laufen Vorgänge ab, die zu Krebsvorstufen führen. "Diese schlummern bis zur Pubertät oder bis ins Erwachsenenalter, und dann kommen weitere Faktoren hinzu, die zum Ausbruch der Krebserkrankung führen", erklärt Dieckmann.

Bekannt sind mehrere Risikofaktoren: Der wichtigste ist der Hodenhochstand, das heißt, wenn sich der Hoden nach der Geburt nicht im Hodensack befindet, sondern in der Leiste oder noch tiefer im Bauchraum. "Auch wenn das durch eine Operation korrigiert wird, ist das Hodenkrebsrisiko um das Fünffache erhöht", sagt Dieckmann. Dann gibt es den familiären Hodenkrebs: Wenn in der Familie ein junger Mann Hodenkrebs hat, haben seine jungen, männlichen Verwandten ein fünf- bis achtfach höheres Risiko. Und Patienten, die schon einmal einen Hodenkrebs hatten, haben ein 20- bis 25-fach erhöhtes Risiko, an dem anderen Hoden ebenfalls zu erkranken. "Das können wir aber sehr genau untersuchen, indem wir bei den Patienten auch vom gesunden Hoden Gewebeproben entnehmen und auf Krebsvorstufen untersuchen", sagt der Urologe.

Auch die Körpergröße des Mannes ist ein Risikofaktor. Männer über 1,90 Meter haben ein dreifach erhöhtes Risiko. Als Ursache dafür wird eine kalorienreiche frühkindliche Ernährung vermutet.

Der Tumor wird meistens entdeckt, indem die Männer oder ihre Partnerinnen am Hoden schmerzlose Verhärtungen oder Knoten tasten. "Bei einem Verdacht führen wir eine Ultraschalluntersuchung durch. Damit wird in 90 bis 95 Prozent eine eindeutige Diagnose gestellt", erklärt Klaus-Peter Dieckmann.

Unterschieden werden zwei Typen von Hodenkrebsen: Die weniger aggressiven Seminome (60 Prozent) und die sehr aggressiven Nicht-Seminome (40 Prozent), die sehr schnell streuen. Zuerst breitet sich der Tumor in die Lymphknoten im Bauchraum aus, von da aus in die Lunge und von dort in weitere Organe.

Bei der Behandlung wird zuerst der erkrankte Hoden operativ entfernt und eventuell eine Prothese aus Silikon eingesetzt. Wenn bereits Metastasen vorhanden sind, muss man in der Regel eine Chemotherapie durchführen. Dann untersucht man, ob die Metastasen sich zurückbilden. "Manchmal bleiben nach einer Chemotherapie im Bauchraum noch Resttumoren übrig, die dann operativ entfernt werden. Patienten, bei denen wir keine Metastasen feststellen, können oft durch Beobachtungsstrategien weiterbehandelt werden. Man kann heute die Hodentumoren so gut behandeln, dass es möglich ist, abzuwarten und den Verlauf zu beobachten. Wenn es doch zu Metastasen kommt, ist dann eine Chemotherapie immer noch rechtzeitig", sagt Dieckmann und betont, dass eine Chemotherapie nur eingesetzt werde, wenn sie unbedingt nötig sei. "Denn sie ist giftig und kann allerlei Schäden anrichten. Es hat sich im Langzeitverlauf gezeigt, dass es zehn bis 20 Jahre danach zu vermehrten Herzinfarkten, Schlaganfällen und chronischen Erkrankungen kommt."

Nach Abschluss der Behandlung müssen die Patienten die ersten zwei Jahre regelmäßig alle drei Monate zu Kontrolluntersuchungen kommen. Dabei werden dann die Tumormarker im Blut untersucht und eventuell weitere Untersuchungen durchgeführt, wie zum Beispiel ein Computertomogramm. "Die Rückfallgefahr liegt zwischen fünf und 20 Prozent, aber 95 Prozent aller Patienten können geheilt werden. Denn der Hodenkrebs gehört zu den Krebserkrankungen, die man am erfolgreichsten behandeln kann.

Da es aber seltene Tumoren sind, sollte man sich in Zentren behandeln lassen, weil die Experten dort über ausreichend Erfahrung verfügen, empfiehlt Dieckmann. In Hamburg gibt es solche auf die Behandlung von Hodenkrebs spezialisierte Zentren im Albertinen-Krankenhaus, im Bundeswehrkrankenhaus und im Universitätsklinikum Eppendorf.