Die exotischen harmlosen Fischgiganten verirren sich immer wieder an unsere Küste. Könnten sie in unseren Gewässern heimisch werden?

Sassnitz/Hamburg. Riesige Augen, ein Körper wie eine gigantische helle Scheibe und statt der Zähne ein Schnabel: Der Meeresbewohner kommt unseren Vorstellungen von einem "Wesen von einem anderen Stern" schon recht nah. Da ist es beinahe unwesentlich, ob er nun im deutschen Sprachgebrauch Mondfisch oder englischsprachig Sunfish ("Sonnenfisch") genannt wird. Nach drei Exemplaren im Jahr 2009 haben Fischer jetzt erneut ein Jungtier der eigentlich tropischen bis subtropischen Art in der Ostsee entdeckt. Könnten die harmlosen Giganten bei uns heimisch werden?

3,30 Meter Länge und 2,3 Tonnen Gewicht, das sind die Maße des bisher größten vermessenen Mola mola, wie Wissenschaftler die Art nennen. "Unser Exemplar hat eine Länge von 46 Zentimetern", sagt Dr. Timo Moritz, Kurator für Fische des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund. Dorthin hatten die Sassnitzer Fischer das an Bord gestorbene Tier am Dienstag gebracht.

Für eine mögliche Ausbreitung des schwersten Knochenfisches der Welt in der Ostsee könnten zwei Kriterien sprechen: Die Erwärmung des Binnenmeeres und die Vermehrung von Quallen, eine der Nahrungsquellen der Mondfische. "Durch eine stete Überdüngung der Meere gibt es mehr Plankton, und da in vielen Bereichen immer mehr Jungfische als Nahrungskonkurrenten der Quallen weggefangen werden, können mehr Quallenlarven groß werden", sagt Dr. Gerhard Jarms, Quallenforscher am Zoologischen Institut der Universität Hamburg. Zudem führe der Temperaturanstieg des Meereswassers zu einer schnelleren Strobilation der Quallen. Bei diesem asexuellen Vermehrungsschritt schnüren sich Körpersegmente des am Meeresboden festsitzenden Polypenstadiums einer Quallenart ab; diese Scheiben entwickeln sich freischwebend zu dem, was man langläufig als Qualle bezeichnet. Normalerweise findet dieser Prozess (wie etwa bei der bei uns häufigen Ohrenqualle) einmal im Jahr statt. Doch der Temperaturanstieg hätte bei einigen Arten schon zu einer zweiten Strobilation geführt, so Jarms. "Quallenfresser sind derzeit auf der Sonnenseite."

Ob der Quallen-Boom ausreichen würde, eine Mondfisch-Population in der Ostsee zu ernähren, sei dahingestellt - zumal im Winter kaum freischwebende Quallen überleben. Eine viel größere Hürde für die Ausbreitung der großen Fische sieht Dr. Cornelius Hammer, Leiter des Instituts für Ostseefischerei in Rostock, im Salzgehalt: "Die Ostsee ist ein Brackwassermeer. In dem Bereich, wo der Mondfisch gefangen wurde, liegt der Salzgehalt der Ostsee bei neun. Typische Mondfischareale wie etwa vor Portugal, um Madeira herum oder im Mittelmeer haben einen fast viermal so hohen Salzgehalt von etwa 34." Die Folge: Die Fische geraten bei dem niedrigen Salzgehalt der Ostsee in physiologischen Stress; ihr Ionenhaushalt ist nicht auf die Wasserzusammensetzung eingestellt. Zu viel Wasser strömt in den Fisch, es kommt schließlich zu einem Nierenversagen bei den Tieren, erläutert Hammer. "Die Temperaturen der Ostsee würden die Mondfische nicht umbringen, und auch nicht das Nahrungsangebot. Das mangelnde Salz ist das Problem."

Doch was treibt die ungewöhnlich geformten Tiere, die von der Seite mehr oder minder rund wirken, statt einer Schwanzflosse einen Hautsaum haben und sich durch das Schlagen ihrer gleich langen Rücken- und Afterflossen vorwärtsbewegen, immer wieder in die für sie unwirtliche Ostsee? "Der Nordatlantikstrom", sagt Hammer. Als Ausläufer des Golfstroms reiche dieser bis nach Norwegen. Ein Ableger davon ziehe in die nördliche Nordsee. Mit diesem warmen Wasserstrom würden die Mondfische, aber auch andere nicht heimische Fischarten wie etwa Meeräschen, Seehechte oder Thunfische durch die Sunde in die Ostsee gedrückt. Und auch wenn Mondfische keine kraftvollen, aktiven Schwimmer seien, hätten sie gute Chancen, die Ostsee wieder verlassen zu können, sagt Hammer: "Die Oberflächenströmung führt überwiegend aus der Ostsee raus."

So wird es wohl selbst dann, wenn sich die Tiefenbecken der Ostsee weiterhin mit 0,1 Grad pro Jahr erwärmen (der höchste Temperaturanstieg in den Meeren weltweit) und die Quallenbestände zunehmen, nur zu kurzen Besuchen von Mondfischen kommen. Eine betrübliche Nachricht für alle Taucher und Ostseeurlauber, die Quallen weniger zu schätzen wissen als Gerhard Jarms.

Am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund wird der exotische Fund vielleicht einmal Wissenschaftlern dabei helfen, mehr über die bisher noch wenig erforschten Fische zu erfahren. "Wir haben das Exemplar archiviert, das heißt, wir haben es in eine vierprozentige Formaldehydlösung gelegt und damit dauerhaft gesichert", sagt Timo Moritz. Vorher hätten sie aus der Muskulatur des Fisches Gewebeproben entnommen. "Diese könnten später einmal für DNA-Analysen genutzt werden, um etwa festzustellen, aus welcher Population der Mondfisch stammt", sagt Moritz.

Ob das Tier, so wie einer der 2009 in der Ostsee gefangenen Mondfische in der Ausstellung des Museums gezeigt werde, sei noch nicht klar. Wer einen lebenden Mondfisch bewundern möchte, hat im Nordseeaquarium im dänischen Hirtshals, dem größten Meerwasser-Aquarium Europas, die Gelegenheit dazu. Dort zieht Mola mola eindrucksvoll seine Bahnen.