Die Hochkultur in Mittelamerika durchlitt infolge eines Klimawandels mehrere Trockenphasen - bis sie kollabierte, bestätigt eine neuartige Analyse

Uxbenka. "Stalaktiten hängen runter, Stalagmiten stehen munter." Wer je eine Höhlenführung mitgemacht hat, dürfte diesen Satz schon einmal gehört haben, dient er doch als Merkhilfe, um die vom Boden emporwachsenden Tropfsteine von ihren Pendants an der Decke zu unterscheiden. Vom Untergang der Maya-Hochkultur war bei solchen Exkursionen bisher wohl nicht die Rede. Das könnte sich allerdings bald ändern, denn die teils meterlangen Kalkgebilde zeugen vom Klima vergangener Jahrtausende - und damit womöglich auch vom Schicksal jener Königreiche, die sich einst in Mittelamerika erstreckten.

Neue, im Fachjournal "Science" veröffentlichte Erkenntnisse bekräftigen vorangegangene Forschungsergebnisse, wonach die Maya-Hochkultur wohl an Dürren zugrunde ging. Für ihre Studie rekonstruierten Forscher um Douglas Kennett von der Pennsylvania State University anhand von 2000 Jahre alten Stalagmiten in einer Höhle im Süden von Belize die Niederschläge im ersten Jahrtausend und zu Beginn des zweiten Jahrtausends nach Christus. Diese Daten verglichen sie mit Erkenntnissen über die Bevölkerungszahl und den Wohlstand der Maya in dieser Zeit. Ergebnis: In regenreichen Phasen erlebte die Hochkultur einen rasanten Aufschwung; mit dem Wandel des Klimas vollzog sich ihr Niedergang.

Der Kollaps der Maya-Reiche zählt zu den großen Rätseln der Archäologie. In ihrer Blütezeit von 250 bis 900 nach Christus beherrschte die Hochkultur den Süden und Osten des heutigen Mexikos und weite Teile von Belize, Guatemala und Honduras. Ab 600 bauten die Maya auf der Halbinsel Yucatán Städte, in denen jeweils mehr als 10 000 Menschen lebten - mehr als in jeder Stadt Mitteleuropas zu der Zeit. Doch ab 900 schrumpfte die Bevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte dramatisch; bis 1500 war die Hochkultur verschwunden. An sie erinnern die Nachfahren der Maya, die überwiegend in Yucatán leben, und Ruinen von Pyramiden und Palästen. Im Regenwald begraben liegen wohl noch Hunderte Wohnhäuser; erst nach und nach legen Archäologen diese Komplexe frei.

Inschriften auf Steinstelen, in Häuserwände eingeritzte Zahlen und Symbole, Malereien und Reliefs sowie drei gut erhaltene Bilderhandschriften, die sogenannten Maya-Codices - aus all diesen Aufzeichnungen haben Forscher in den vergangenen Jahrzehnten ein Bild vom politischen System der Maya, ihrer Landwirtschaft und ihren astronomischen Forschungen gezeichnet. Warum eine so fortschrittliche Kultur untergehen konnte, ist jedoch unklar; es geht aus den bekannten Quellen nicht eindeutig hervor. Deshalb bleibt Archäologen nichts anderes übrig, als nach anderen Hinweisen zu suchen, mit denen sich indirekt darauf schließen lässt, was wohl geschah. Für eine solche Rekonstruktion nahmen sich Archäologen und Geologen um Douglas Kennett die Stalagmiten in der Yok-Balum-Höhle vor, unweit der Maya-Stätte Uxbenka im Süden von Belize.

Damit Tropfsteine entstehen können, muss Regenwasser in kalksteinhaltigem Boden versickern. Weil es sich auf seinem Weg mit Kohlendioxid anreichert, löst es Kalk aus dem Gestein. Tropft diese Lösung durch Felsspalten in eine Höhle, entweicht das Kohlendioxid; übrig bleibt Kalk, der im Lauf von Jahrtausenden Tropfsteine bildet.

Das Alter von Stalagmiten lässt sich mit der Thorium-Uran-Datierung bestimmen. Im Tropfwasser sind kleinste Mengen radioaktiven Urans enthalten, die sich im Kalk des Stalagmiten einlagern. Sie zerfallen zu Thorium. Weil Forscher wissen, in welcher Zeit dies geschieht, messen sie die Menge der Ausgangsisotope und die Menge der Zerfallsisotope. Daraus berechnen sie, wie lange der Prozess schon dauert - und wie alt die Probe sein muss. Als Klimaarchiv interessant werden Stalagmiten aber erst, wenn man Sauerstoffisotope analysiert, die ebenfalls mit Regenwasser in Höhlen gelangen und abhängig vom Niederschlag in unterschiedlichen Verhältnissen in Tropfsteine eingebaut werden. Das Team führte beide Analysen durch.

Anhand der so gewonnenen Daten bestimmten die Forscher, wie viel Regen während der Blütezeit der Maya-Hochkultur fiel und wie viel danach. Diese Daten verglichen sie mit den Aufzeichnungen über die Landwirtschaft und die Bevölkerungszahl. Die Zusammenhänge seien offensichtlich, so die Forscher. Von 450 bis 660 nach Christus hätten ungewöhnlich starke Niederschläge größere Ernten und somit die explosionsartige Zunahme der Maya-Bevölkerung ermöglicht, sagt Douglas Kennett. Dies habe zum Wachstum von Städten wie Tikal, Copan und Caracol im Tiefland des heutigen Belize geführt.

In den folgenden fünf Jahrhunderten hingegen sei deutlich weniger Regen gefallen, es kam mehrfach zu Trockenphasen, sodass die landwirtschaftlichen Erträge abnahmen. Dieser langfristige Klimawandel habe wahrscheinlich zu sozialen Spannungen geführt, sagt Kennet. "Über die Jahrhunderte ging die Bevölkerung der Städte zurück; die Maya-Könige verloren Macht und Einfluss." Die bedrohlichsten Dürren ereigneten sich allerdings 1020 und 1100, also nach dem angenommen Kollaps der Stadtstaaten ab 900.

Trockenheit machte wohl nicht nur den Maya in Belize zu schaffen. Auf der Halbinsel Yucatán sei der Niederschlag in der Zeit von 800 bis 950 nach Christus um 25 bis 40 Prozent zurückgegangen, berichteten Anfang dieses Jahres Forscher um Martín Medina-Elizalde aus Yucatán ebenfalls im Journal "Science". Auch sie hatten ihre Daten aus Analysen von Stalagmiten gewonnen.

Wie aber kam es zu den Dürreperioden? Waren die Maya womöglich selbst daran schuld? Diese These brachte der Nasa-Forscher Benjamin Cook 2011 ins Spiel. Er hatte am Computer simuliert, wie viel Regenwald die Maya während ihrer Blütezeit rodeten, um Mais anzubauen, und welche Folgen dieser Kahlschlag gehabt haben könnte. Regenwald bildet sein eigenes Klima: In den Kronen der Bäume sammelt sich Regenwasser, das durch die Sonnenstrahlung verdunstet und irgendwann aus Wolken wieder abregnet. Versickert hingegen das meiste Regenwasser im Boden, weil der Wald gerodet wurde, verdunstet weniger Wasser; es bilden sich weniger Wolken.

Für die ganzjährig warmen Lebensräume der Maya könnte diese Kettenreaktion die fatale Folge gehabt haben, dass ihre Ackerflächen austrockneten. Ausgerechnet jener Faktor, der wohl maßgeblich zum Aufstieg der Hochkultur führte, könnte ihr also zum Verhängnis geworden sein.