Mit einem neuen Bewegungssimulator wollen Ingenieure der TU Harburg herausfinden, wie Frachter und Passagierschiffe sicherer werden können.

Hamburg. Ist es möglich, das Schaukeln eines über 200 Meter langen und 300 000 Tonnen schweren Containerschiffs nachzuahmen und dessen Verhalten im Wasser zu berechnen – das jedoch ohne Wasser, sondern mithilfe von Luft? „Wir waren zuerst nicht sicher, ob er das ernst meinte“, erzählte Thomas Rüggeberg, Ingenieur vom Bundeswirtschaftsministerium. Doch dann habe seine Abteilung erkannt, dass es eine „bahnbrechende Idee“ war, die ihnen Moustafa Abdel-Maksoud aus Hamburg präsentierte. Und so vergab das Ministerium 1,7 Millionen Euro Fördergeld an ein Konsortium, dem der Professor vorsteht. 980 000 Euro davon gingen an die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH), wo Abdel- Maksoud das Institut für Fluiddynamik und Schiffstheorie leitet.

Gestern war Rüggeberg zu Gast an der Hochschule, als Abdel-Maksoud im Beisein von Hamburgs Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und TUHH-Vizepräsident Prof. Jürgen Grabe das Ergebnis des dreijährigen Projekts vorstellte: Ein viereinhalb Meter langes, mit Elektronik gefülltes Modell eines Schiffsrumpfs, das im Windkanal aufgehängt wird und dort Rollbewegungen simuliert, die Schiffe auf See vollführen. „Dieses Schlingern kann dazu führen, dass Container von Bord fallen und Menschen sich verletzten. Es kann ein Schiff auch zum Kentern bringen“, erläuterte Abdel-Maksoud. Die Experimente mit dem Bewegungssimulator sollten dazu beitragen, Containerfrachter und Passagierschiffe künftig so zu konstruieren, dass sie ruhiger durchs Wasser fahren. Ein positiver Nebeneffekt könnte darin bestehen, dass Schiffe weniger Treibstoff verbrauchen, weil es leichter vorangeht.

Für die Presse hatten Abdel-Maksoud und seine Mitarbeiter ein rotschwarz lackiertes Modell aufgehängt, das einer Rakete ähnelte. Äußerlich weniger spektakulär präsentiert sich das in Braun gehaltene Original, das dafür mit einem einzigartigen Innenleben aufwartet. In der viereinhalb Meter langen Hülle aus glasfaserverstärktem Kunststoff, die einen Schiffsrumpf nachahmt, sind 48 Sensoren montiert. Sie messen die Kräfte, die auf die Außenhülle, ergo: die Schiffswand wirken. Dieses 100 Kilo schwere Stück Technik fixieren die Ingenieure um Abdel-Maksoud im Windkanal mit acht Seilen. Die vier Millimeter dünnen Schnüre sind zugleich Stromkabel, die den Simulator mit Energie versorgen. Acht Schlitten, vier an jeder Rumpfseite, ziehen synchron an den Seilen und bringen so das Modell zum Schaukeln, wobei sich die Bewegungen auf wenige Millimeter genau einstellen lassen.

Wenn ein Schiff schaukelt, gibt es Energie ins Wasser ab – „Rolldämpfung“ nennen Fachleute diesen Vorgang. Je weniger Energie ein Schiff abgibt, desto ruhiger fährt es prinzipiell. Infolge der Rolldämpfung entstehen Wellen. Diese können Forscher in Wasserbecken leicht simulieren. Neben den Wellen entstehen allerdings auch noch starke Wirbel, bedingt durch die Form eines Schiffsrumpfs und durch Schlingerkiele, an den Seiten der meisten Schiffe angebrachte Profile aus Holz, Stahl oder Kunststoff, die rollende Bewegungen dämpfen sollen. „Je stärker die Wirbel sind, desto mehr Widerstand erzeugen sie“, erläuterte Abdel-Maksoud. „Dadurch verliert die Rollbewegung eines Schiffs an Energie.“ Ziel sei es, den Schiffsrumpf so zu konstruieren und die Schlingerkiele so zu positionieren, dass es zu möglichst starken Wirbeln und einer entsprechend starken Rolldämpfung komme.

Erste Messungen zeigten, dass die Rollbewegung unterschätzt wurde

Bisher konnten Ingenieure die Wasserwirbel aber nur schwer berechnen. Ebendies soll der neue Bewegungssimulator mit bisher unerreichter Genauigkeit möglich machen. Der Clou bestehe darin, dass sie ihre Experimente mit Luft statt mit Wasser durchführen könnten, weil die Entstehung von Wirbeln am Rumpf und an den Schlingerkielen durch Luft prinzipiell den gleichen Gesetzen gehorche wie im Wasser, sagte Abdel-Maksoud. Zwar habe Wasser eine höhere Dichte und eine niedrigere Viskosität als Luft, aber das würden sie entsprechend umrechnen.

Erste Messungen mit der Anlage, die sie mit der Universität Duisburg entwickelt hätten, seien sehr aufschlussreich gewesen. Es habe sich gezeigt, dass früher erhobene Daten dazu geführt hätten, dass bisher beim Bau von Schiffen die Bedeutung der Rollbewegung unterschätzt worden sei, sagte Abdel-Maksoud. Je heftiger ein Schiff schaukele, desto größer sei die Gefahr, die Kontrolle über das Boot und seine Ladung zu verlieren. Etwa 10 000 Container gingen pro Jahr auf den Weltmeeren verloren. Das seien zwar wenige im Verhältnis zur Gesamtmenge. Aber neben dem Schaden für die einzelnen Reedereien würden die teils auf dem Wasser treibenden Container auch die Gefahr bergen, dass sie gegen andere Schiffe prallten und diese beschädigten.

Die Sensoren des Bewegungssimulators sind nicht an die viereinhalb Meter lange Kunststoffhülle gebunden, mit der die Forscher derzeit experimentieren. Vielmehr lasse sich die Technik auch in anderen Modellen montieren und so für Simulationen bestimmter Schiffstypen anpassen, sagte Abdel- Maksoud.

Ein Video zeigt, wie sich das Modell des Bewegungssimulators im Windkanal bewegt: www.abendblatt.de/schiffssicherheit