Die Forschung der Chemie-Nobelpreisträger ebnete den Weg zu vielen Medikamenten gegen Volkskrankheiten. Sie arbeiteten lange als Team.

Hamburg. Damit er ruhig schlafen kann, trägt Robert Lefkowitz Ohrstöpsel. Deshalb drang gestern Morgen das Telefon nicht zu ihm durch - woraufhin seine Frau ihren Ellbogen einsetzen musste, um ihn zu informieren, dass da ein Anruf aus Stockholm für ihn sei. Das Nobelpreiskomitee! "Ich war total geschockt und überrascht", sagte der 69-Jährige dem Sprecher des Komitees. "Sollten Sie sich Sorgen um die Geheimhaltung machen, sie funktioniert." Lefkowitz lebt und arbeitet in Durham an der Ostküste der USA. Dort war es 5 Uhr. Noch früher erwischte es seinen Kollegen Brian Kobilka, 57, in Palo Alto an der Westküste: Ihn klingelte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften gegen 2.30 Uhr Ortszeit aus dem Bett.

Ohne die Umstände genauer zu kennen, darf man annehmen, dass zum Zeitpunkt der Anrufe die Nebennieren der beiden Männer massiv das Stresshormon Adrenalin ausschütteten, das sich sodann blitzartig in ihren Körpern verteilte und an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) andockte, die in den Wänden ihrer Zellen sitzen. Dieser Vorgang setzte eine Signalkaskade in Gang, die letztendlich die Herzen der beiden Forscher schneller schlagen ließ. Kurz gesagt: Lefkowitz und Kobilka wurden wohl ziemlich schnell munter. Die beiden Chemiker haben in den vergangenen 30 Jahren maßgeblich gezeigt, wie ebenjene G-Protein-gekoppelten Rezeptoren Signale von außen in die Zellen leiten. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse funktioniert heute die Hälfte aller Medikamente auf dem Markt. Sie entfalten ihre Wirkung in der Regel, indem sie die Rezeptoren aktivieren oder blockieren. Für ihre bahnbrechenden Studien erhalten Lefkowitz und Kobilka nun den mit 930 000 Euro dotierten Nobelpreis für Chemie.

Etwa 1000 G-Protein-gekoppelte Rezeptoren sind mittlerweile im menschlichen Körper bekannt, wahrscheinlich gibt es aber noch erheblich mehr von ihnen. Sie sitzen unter anderem in den Augen, der Nase, in Muskelfasern, Fettspeichern und Hormondrüsen. Welche Rolle diese Proteine spielen, zeigt sich zum Beispiel, wenn wir in Gefahr geraten. Dann alarmiert das Gehirn unseren Organismus: Die Nebenniere schüttet neben Adrenalin auch noch Noradrenalin und Cortisol aus, Substanzen, die einst den Menschen in die Lage versetzen sollten, möglichst schnell vor Raubtieren zu fliehen. Heute kommt das zumindest in unseren Breiten eher selten vor, doch die Reaktion bei modernen Gefahren - etwa bei Überfällen oder im Straßenverkehr, wenn ein Auto auf uns zurast - ist die gleiche: Die Stresshormone sorgen mithilfe der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren dafür, dass die Herz- und die Atemfrequenz steigen und die Muskeln besser durchblutet werden. Damit genug Energie für die Muskeln zur Verfügung steht, werden aus der Leber Glucose und aus den Fettzellen Fettsäuren ins Blut ausgeschüttet. Gleichzeitig sinkt die Durchblutung des Verdauungstraktes, der in diesem Moment nicht gebraucht wird. Die Vielzahl der Wirkungen allein des Adrenalins beruht darauf, dass es in den Organen allein für dieses Hormon neun unterschiedliche G-Protein-Rezeptoren gibt.

Man könne sich die Rezeptoren wie ein Schaltsystem in einem Gebäude vorstellen, erläuterte Sara Snogerup Linse vom Nobelkomitee. Das Schaltsystem steuere ein Betreiber, der mehrere Sprachen beherrsche. Je nachdem, welches Hormon andocke, übersetze der Betreiber die Signale und versetze das Schaltsystem in die Lage, entsprechende Prozesse in Gang zu setzen. In der Zelle funktioniert das so: Das andockende Hormon verändert die Form des Rezeptors in der Zellwand. Dadurch binden in der Zelle G-Proteine an den Rezeptor. Sobald sie als Signalgeber aktiviert worden sind, spalten sie sich ab und lösen eine Kettenreaktion aus, die den Stoffwechsel in der Zelle verändert. Anschließend können noch Hunderte weitere G-Proteine an den Rezeptor binden - bis das an der Außenseite der Zelle angedockte Hormon sich löst. Geht bei diesen Prozessen etwas schief, können Krankheiten entstehen.

An diesem Punkt kommen Medikamente ins Spiel. Sie beeinflussen, wie Hormone auf die Rezeptoren wirken. Betablocker beispielsweise, die bei Bluthochdruck, Herzschwäche und Erkrankungen der Herzkranzgefäße verschrieben werden, hemmen die anregende Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin auf bestimmte Rezeptoren und senken so die Herzfrequenz und den Blutdruck. H{-1}-Antihistaminika, die viele Menschen gegen allergische Beschwerden einnehmen, bremsen an den sogenannten H{-1}-Rezeptoren die Wirkung des Histamins, das bei einer allergischen Reaktion ausgeschüttet wird. Dieser Botenstoff ist etwa bei Heuschnupfen einer der Verursacher von typischen Symptomen wie Niesen, Jucken und tränenden Augen. H2-Antihistaminika hingegen hemmen die Freisetzung von Magensäure, die durch Histamin an H2-Rezeptoren ausgelöst wird. Diese Medikamente werden gegen Magengeschwüre eingesetzt.

Arzneimittel können aber auch noch andere Einflüsse auf die G-Protein-gekoppelten Rezeptoren haben. So wirken die sogenannten Dopaminagonisten bei Parkinson-Patienten an den Rezeptoren ähnlich wie der Nervenbotenstoff Dopamin selbst. Dieser wird bei Parkinson-Patienten nur unzureichend gebildet, weil die Dopamin produzierenden Zellen in einer bestimmten Hirnregion absterben. Auch neue Mittel gegen Migräne, die sogenannten Triptane, setzen an Rezeptoren an. Sie wirken über eine Stimulation der Rezeptoren an Blutgefäßen und Nervenzellen im Gehirn.

Robert Lefkowitz hatte bereits 1968 Hormone mit radioaktivem Jod markiert und so ihre Andockstellen in der Zellhülle entdeckt. Der als Doktorand zu seinem Team gestoßene Brian Kobilka fand das Gen für den sogenannten ß-adrenergen Rezeptor. Bald darauf entdeckten die Forscher, dass ähnliche Gene auch in zahlreichen anderen Zellen aktiv sind. Kobilka erfasste 2011 mittels Röntgenstrukturanalyse erstmals die dreidimensionale Struktur eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors, der gerade ein Signal von außen in die Zelle leitet. Das sei für die Entwicklung von Medikamenten sehr wichtig, sagte Prof. Alfred Wittinghofer vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund, einer der führenden Experten hierzulande, die diese Rezeptoren untersuchen. Dadurch könnten Medikamente so entworfen werden, dass sie besser an die Rezeptoren andockten. Je effizienter dies funktioniert, desto weniger Nebenwirkungen könnten dabei auftreten.

Robert Lefkowitz erzählte dem Nobelkomitee gestern noch, er habe eigentlich zum Friseur gehen wollen. "Das muss ich nun wohl verschieben. Es wird ein völlig verrückter Tag werden."