80 Prozent weniger Stickoxide entstehen durch den Einsatz einer neuen Vorrichtung, die Forscher in Geesthacht und Roßlau entwickelt haben

Geesthacht. Schiffsabgase tragen in Hafenstädten wie Hamburg erheblich zur Luftbelastung bei - das gilt auch für Stickoxide (NO{-x}). Forscher des Helmholtz-Zentrums Geesthacht haben mit Motorenspezialisten in Roßlau bei Dessau eine Membrantechnik entwickelt, durch die bei der Verbrennung 80 Prozent weniger NO{-x} entstehen. Damit genügt die Technik den strengen Vorgaben der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO), die in sensiblen Seegebieten wie Küstenregionen ab 2016 eingeführt werden sollen.

Das setzt die Schifffahrt unter Druck, denn ein Minus von 80 Prozent beim Stickoxid-Ausstoß ist nicht mit Verbesserungen an den bestehenden Motoren zu schaffen, sondern benötigt zusätzliche Vorrichtungen. Eine von mehreren Alternativen soll die Geesthachter Membrantechnik werden.

"Wir setzen beim Luftstrom an, der - von einem Turbolader verdichtet - in den Verbrennungsraum geleitet wird. Die Membran trennt einen Teil des Sauerstoffs ab und reduziert dessen Anteil von ursprünglich 20,9 Prozent auf etwa 17 Prozent", erklärt Jan Wind vom Institut für Polymerforschung am Helmholtz-Zentrum. Die Folge: Durch den erhöhten Anteil des Stickstoffs, der nicht an der Verbrennung beteiligt ist, reduziert sich die Temperatur in den Motorzylindern um rund 200 Grad auf 2500 Grad. Dadurch bilden sich drastisch weniger Stickoxide. Allerdings handeln sich die Forscher ein neues Problem ein: Es entsteht mehr Ruß.

Hier haben die Kollegen vom Roßlauer Wissenschaftlich-Technischen Zentrum für Motoren- und Maschinenforschung (WTZ) Abhilfe geschaffen: Wenn sie die Gase während der Verbrennung stärker verwirbeln und den Einspritzdruck erhöhen, liegt die Rußemission etwa auf dem Niveau der Motoren ohne Membranvorsatz.

Die Geesthachter Membran besteht aus einem porösen Trägermaterial (ein spezieller Polyester) und einer hauchdünnen Trennschicht, die für Sauerstoff durchlässiger ist als für Stickstoff. Die beiden Hauptbestandteile der Luft sind nur schwer auseinanderzuhalten, denn ihre Moleküle sind fast gleich groß. Deshalb funktioniert die Trennschicht nicht wie ein Sieb, sondern sie besteht aus einem Kunststoff (Polymer), bei dem die Löslichkeit von Sauerstoff größer ist als die von Stickstoff. "Das Polymer PVTMS wurde bereits in der Sowjetunion zur Gastrennung entwickelt und patentiert", erzählt Jan Wind. "Wir haben es neu synthetisiert, sodass es besser zu verarbeiten ist." Das Institut für Polymerforschung habe das vorhandene Wissen um diesen Kunststoff genutzt und ihn für die neue Anwendung weiterentwickelt, sagt Dr. Torsten Brinkmann, Leiter der Polymertechnologie am Institut. "Wir haben hier die Möglichkeiten, das Material selbst zu erzeugen, es im Labor ausführlich zu testen und daraus eine Membran zu produzieren. Und das in einer Qualität, die als Pilotherstellung für industrielle Maßstäbe gelten kann. Wir erzeugen aus einem Granulatrohstoff eine 70 Nanometer dünne Trennschicht." Zum Vergleich: Ein Haar hat etwa den Durchmesser von 50 000 Nanometern (Millionstel Millimeter).

Weil die Membran die Ansaugluft vor der Verbrennung behandelt, ist die Technik unabhängig vom genutzten Treibstoff - sie funktioniert sowohl mit Schweröl als auch mit Dieseltreibstoff und soll, so das Projektziel, ohne zusätzlichen Energieeinsatz auskommen. Ein weiterer Vorteil: Die Anlage ist modular aufgebaut und lässt sich deshalb gut an die jeweilige Leistung der Schiffsmotoren anpassen.

Das Forscherteam hat ein 1,25 Meter langes, röhrenförmiges Aluminium-Modul mit 30 Zentimeter Durchmesser entwickelt, in dem 70 Quadratmeter Membran untergebracht sind. Sie sind an einen Motor mit einem Zylinder und 100 Kilowatt (kW) Leistung angeschlossen. Ein großer Schiffsmotor hat vielleicht ein Dutzend Zylinder mit einer Gesamtleistung von 70 000 kW. Durch die Bauweise sei es möglich, bei einem solchen Motor 700 Module zusammenzuschalten, sagt Helmholtz-Forscher Lars Wind. Dabei würde etwa das Volumen eines Würfels mit einer Kantenlänge von fünf Metern beansprucht. Auch bringt es zusätzliches Gewicht. Beides gelte aber auch für andere Technologien zur Abgasreduzierung.

Noch sind die Membranmodule nicht serienreif. Dr. Roland Pittermann vom Forschungspartner WTZ geht aber davon aus, dass sie im Vergleich zur serienreifen Abgas-Katalysator-Technik SCR konkurrenzfähig werden: "Beide Anlagen sind in Bezug auf Raumbedarf und Gewicht vergleichbar." Jan Wind nennt einen technischen Vorteil der Membranen: "Weil wir mit dem vorgereinigten Luftstrom und nicht mit dem Abgas arbeiten, ist die Technik sehr zuverlässig und wartungsarm - das sind Eigenschaften, die in der Schifffahrt äußerst wichtig sind."

Inzwischen hat die Suche nach Industriepartnern begonnen. Pittermann: "Wir haben den großen Motorenherstellern unser Konzept schon vorgestellt. Aber noch befinden wir uns in der Vorlaufforschung; bis 2016 wird die Technik nicht fertig entwickelt sein." Im Februar 2013 wird der Abschlussbericht des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Entwicklungsprojekts erscheinen. Er soll die Basis bilden für die nächsten Schritte von der Forschung in die Praxis.