Der streitbare Wissenschaftler Harald Welzer wird am Freitag durch die Klimanacht führen. Er erforscht Aspekte der globalen Erwärmung.

Hamburg. Er ist als streitbarer Wissenschaftler bekannt, der bei seiner Kritik an der heutigen Konsumgesellschaft kein Blatt vor den Mund nimmt: Der Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer wird heute Abend durch die Klimanacht führen, einem Glanzlicht der vierten Hamburger Klimawoche, die noch bis Sonntag in die HafenCity zu Ausstellungen, Vorträgen, Exkursionen und Workshops einlädt.

Der Klimawandel sei viel zu lange ausschließlich von Meteorologen, Meereskundlern und Gletscherforschern untersucht worden, so Welzer. Den Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften sei "die Zukunft abhanden gekommen", schreibt er in seinem Buch "KlimaKulturen". Die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Wandels sei "dem Austausch von Sprachhülsen in Talkshows" ausgeliefert worden.

Harald Welzer ist einer der Kulturwissenschaftler, die über den Klimawandel forschen. Dabei geht es ihm vor allem um die Kardinalfrage: Wie kommen wir vom (ausreichend vorhandenen) Wissen über die Erderwärmung zum Handeln, zu Verhaltensweisen, die das Klima weniger stark belasten oder mit den Folgen des Wandels besser umgehen können? Welzer: "Das Problem der Umweltaufklärung besteht in ihrer Weltuntergangsrhetorik. Die ist aber nicht geeignet, Handeln zu verändern. Wir handeln nicht aufgrund von Wissen, sondern weil wir nach sozialer Anerkennung, Bequemlichkeit und geringstmöglichem Aufwand suchen."

Der Sozialpsychologe sieht in der auf Wachstum setzenden Wirtschaft die Wurzel des Übels: "Die Konsumwelt überschlägt sich mittlerweile. Das geht einher mit einem enormen Rohstoffverbrauch. Das ist ein wichtiger Punkt, an dem man ansetzen kann." Die Jagd nach dem neuesten, tollsten Produkt hat aus Welzers Sicht nichts mehr mit Lebensqualität zu tun. "Die Internationale Funkausstellung rechnete damit, dass in diesem Jahr in Deutschland zehn Millionen Fernseher verkauft werden - in einem Land mit 80 Millionen Menschen, die fast alle bereits einen Fernseher besitzen. Und Hunderte Menschen kampieren vor Apple Stores, um sich ein Telefon zu kaufen, dessen Vorgänger vor nicht mal einem Jahr präsentiert wurde."

Wir selbst seien "Produkte einer Bedürfniserzeugungsindustrie", betont Welzer. "Niemand wusste vor fünf Jahren, dass er ein iPad wollte, niemand vor zehn Jahren, dass er so meschugge sein würde, mit einem Geländewagen durch Innenstädte zu fahren." Statistiken belegten, dass die Menschen heute deutlich mehr kostbare Zeit damit verbringen, Kaufentscheidungen zu fällen, unter anderem ausgelöst durch das Internet. "Je mehr Optionen man hat, desto mehr Informationen werden eingeholt. In dieser Zeit könnte man auch etwas Sinnvolles tun."

Den Ausweg aus dem Hamsterrad des Kaufens weisen am besten Vorbilder, die andere Rollenmodelle vorleben, so Welzer. Er hat die Stiftung FuturZwei gegründet, die Beispiele einer "anderen, zukunftsfähigen Kultur des Lebens und Wirtschaftens" sammelt und publik macht - auch während der Klimanacht werden einige präsentiert.

Das Projekt "CulinARy MiSfiTS" ist so ein Beispiel. Der kryptische Name ist Programm. So krumm und schief wie seine Schreibweise sind die Objekte, die die beiden Berlinerinnen Lea Brumsack und Tanja Krakowski begehren: Sonderlinge bei Obst und Gemüse, die zu krumm oder zu gerade, zu klein oder zu groß sind, um den Weg in Supermarktregale zu finden, ebenso traditionelle Sorten, die nicht ins Raster der Einheitsware passen. Die beiden Produktdesignerinnen bereiten aus den kulinarischen Außenseitern (engl. Misfits) leckere Speisen, die sie auf Messen und zu anderen Veranstaltungen verkaufen.

Auch das Hannoveraner Projekt Wandelwerte, das ausgediente Altpapier-Rollcontainer zu geräumigen Sitzmöbeln umarbeitet, unterstützt den Wertewandel. Oder Berufsschüler einer Handelsschule, die Betriebe über Fairtrade-Produkte informieren. Oder eine Firma, die Kraftwerks-Abwärme im Wassertank sammelt und ihn anschließend zum Schwimmbad fährt.

Die vielen guten Ideen (der Raum Hamburg ist in der Sammlung von FuturZwei noch nicht vertreten) können ansteckend wirken, hofft Welzer. Doch noch dominierten die falschen Signale. "Politiker zeigen uns immer wieder, wie toll es ist, um die Welt zu jetten und dicke Autos zu fahren. Wir brauchen Leute, die vorleben, dass es schick ist, mit weniger Krempel zu leben, und das ohne Askese oder Verzicht." Generell sei es oft nicht leicht, umweltfreundlich zu leben, sagt der Sozialpsychologe. Beispiel: Ein Flug quer durch Deutschland spart Zeit und kostet vielleicht nur die Hälfte der entsprechenden Zugfahrkarte. Da bleibt die umweltverträglichere Bahn auf der Strecke.

Harald Welzer hat sich verstärkt dem gesellschaftspolitischen Bereich zugewandt, um seinen Beitrag auf dem Weg vom Wissen zum Handeln zu liefern. Zur Klimanacht habe er gern zugesagt, denn sie habe ein attraktives Programm. "Vielfach treffen sich auf solchen Veranstaltungen immer dieselben Leute. Vielleicht sind am Freitag aber auch neue Gesichter zu sehen."

Das Thema zum Weiterlesen: www.klimanacht.de , www.futurzwei.org