Positive Erwartungen und Erfahrungen tragen mit dazu bei, dass Medikamente helfen - selbst wenn sie keinen Wirkstoff enthalten.

Medikamente, Operationen, Krankengymnastik und die richtige Ernährung - bei der Behandlung von Krankheiten gibt es immer mehr Fortschritte in der modernen Medizin. Doch dass auch der Glaube an die Wirksamkeit entscheidend zum Erfolg der Therapie beiträgt, wird dabei offensichtlich noch viel zu selten berücksichtigt. Die Neurologin, Hirnforscherin und Privatdozentin Dr. Ulrike Bingel aus der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Eppendorf hat in den vergangenen Jahren mit ihren Kollegen bereits in mehreren Studien untersucht, wie sich der sogenannte Placebo-Effekt auf die Wahrnehmung von Schmerzen auswirkt. Bei ihren Experimenten kam sie jetzt zu erstaunlichen Ergebnissen, die sie auf dem Deutschen Neurologenkongress präsentiert, der heute in Hamburg beginnt und zu dem rund 5000 Teilnehmer erwartet werden.

Als Placebo-Effekt wird bezeichnet, wenn ein Patient sich besser fühlt, obwohl die Behandlung lediglich aus eigentlich wirkungslosen Scheinmedikamenten oder aber aus Scheineingriffen bestand. Dr. Bingel und ihre Kollegen konnten zeigen, dass diese Wirkung nicht nur eine rein subjektive Wahrnehmung ist, sondern auf Prozesse im Gehirn zurückzuführen ist.

"Zwei psychologische Faktoren sind für die Wirksamkeit sehr wichtig: die Erwartung und die Vorerfahrung. Wenn ich erwarte, dass das Scheinpräparat Schmerzen lindert oder schon die Erfahrung gemacht habe, dass es mir hilft, setzt das im Gehirn Prozesse in Gang, die dazu führen, dass man tatsächlich weniger Schmerzen fühlt. Mithilfe spezieller Kernspinaufnahmen, der funktionellen Magnetresonanztomografie, konnten wir sehen, dass in bestimmten Hirnarealen, die wie Wasserstandsmelder anzeigen, wie stark der Schmerz ist, tatsächlich weniger Schmerz ankommt", erklärt Bingel.

Die Erwartung und die Vorerfahrungen kommen auch zum Tragen, wenn man "echte" Schmerzmedikamente nimmt. Das konnten die Wissenschaftler in einer Studie nachweisen, in der sie bei Gesunden das hochwirksame Schmerzmittel Remifentanil testeten. Dabei zeigte sich, dass die Wirksamkeit sehr stark von den Informationen abhing, die die Versuchspersonen erhielten. "Die Probanden wurden einem Hitzeschmerz ausgesetzt und erhielten das Medikament in einer Infusion. Gleichzeitig wurde der schmerzlindernde Effekt gemessen. Zunächst erhielten die Probanden das Schmerzmittel, ohne dass es ihnen gesagt wurde. Ab dem Moment, in dem sie darüber informiert wurden, dass sie mit dem Mittel behandelt wurden, war der schmerzlindernde Effekt doppelt so groß", erklärt Bingel. "Dann haben wir den Teilnehmern gesagt, wir würden das Medikament jetzt abstellen, sodass sie keine Wirkung mehr erwarteten. Das hat dazu geführt, dass sie überhaupt keine Schmerzlinderung mehr hatten, obwohl sie weiterhin das starke Schmerzmittel erhielten. Allein die negative Erwartung und die Sorge, der Schmerz könnte schlimmer werden, haben dafür gesorgt, dass dieses hochwirksame Medikament seine Wirkung verlor."

Auf dem Kongress wird sie jetzt noch eine weitere Studie vorstellen, deren Ergebnisse bisher noch nicht veröffentlicht wurden. Dabei hat Dr. Bingel zusammen mit ihren Kollegen untersucht, wie sich Vorerfahrungen mit einer Behandlung auf die nächste Behandlung auswirken. Dabei wurden den Probanden Placebo-Pflaster auf die Haut aufgetragen. Dann wurde ihnen auf die behandelte und auf die unbehandelte Hautstelle ein Hitzeschmerz verabreicht.

In der einen Gruppe war der ausgeführte Schmerzreiz auf der unbehandelten Stelle stark und auf der behandelten Stelle schwach, sodass die Probanden den Eindruck hatten, das Pflaster hilft. Bei der anderen Gruppe wurden beide Schmerzreize gleich stark gegeben, sodass diese Teilnehmer dachten, die Therapie funktioniere nicht. Dieser Versuch wurde am nächsten Tag wiederholt und am dritten Tag wurde allen Probanden eine Placebo-Salbe aufgetragen und die Temperatur der Hitzereize um 30 Prozent reduziert. Eigentlich hätten alle Patienten eine ähnliche Schmerzlinderung haben müssen. Dem war aber nicht so: Alle, die positive Erfahrungen mit dem Pflaster gemacht hatten, hatten eine stärkere Schmerzlinderung durch die Salbe als die mit negativen Erfahrungen. Auch bei diesem Experiment war mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie zu sehen, wie sich die Empfindungen im Gehirn widerspiegelten.

"Negative und positive Erfahrungen übertragen sich auf den nächsten Therapieversuch. Das wird bislang bei Medikamenten kaum berücksichtigt. Wir müssen diese Mechanismen nutzen, um Medikamente wirksamer zu machen, indem wir unseren Patienten eine positive, aber realistische Einschätzung von der Behandlung vermitteln. Viele Menschen nehmen Medikamente und wissen gar nicht genau, welche und wie sie wirken", sagt die Wissenschaftlerin.

Das uralte Wissen, dass die Arzt-Patienten-Beziehung eine heilende Kraft habe, müsse wieder mehr in den Vordergrund rücken. "Das macht auch Medikamente und andere Behandlungen wirksamer. Patienten sollten eine Vorstellung davon haben, wo die Medikamente angreifen, was man von ihnen erwarten kann, dass ihre Wirksamkeit in großen Studien geprüft ist und sie von der Mehrzahl der Patienten gut vertragen werden. Das wäre schon ein Anfang, wir haben damit gute Erfahrungen", sagt Ulrike Bingel.

Negative Vorerfahrungen zu überwinden sei natürlich schwierig. "Es würde schon helfen, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass erfolglose Behandlungen dem Patienten tatsächlich objektiv schaden. Man sollte alle Anstrengungen unternehmen, um Patienten möglichst früh gut zu behandeln, weil sich mit jedem vergeblichen Therapieversuch die Erfolgsaussichten für die nächste Therapie verschlechtern können", sagt die Hirnforscherin.

Für Prof. Christian Gerloff, Direktor der Klinik für Neurologie am UKE und Präsident des Neurologenkongresses, sind die Forschungsergebnisse auch ein Signal für die ganzheitliche Behandlung des Patienten: "Wenn ausgeschlossen ist, dass der Schmerz ein Signal für eine gefährliche Erkrankung ist, geht es um die Verbesserung der Lebensqualität, eventuell auch mit alternativen Heilmethoden, wenn die schulmedizinischen Ansätze keine Verbesserung mehr bringen. Denn das Wichtigste ist, dass es dem Patienten besser geht. Und dabei kann der Placebo-Effekt sehr hilfreich sein. Mit dem Nachweis des Effektes im Gehirn ist er jetzt auch objektiviert und wird damit salonfähig."