Ob Temperaturanstieg oder Meeresströmungen: Experten der Erdsystemmodellierung erstellen umfassende Vorhersagen.

Hamburg. Wie wird die Erderwärmung die Welt verändern? Und welche Folgen haben Eisschmelze, Waldzerstörung oder Ackerbau ihrerseits auf das Klima? Tausende von Wissenschaftlern versuchen rund um den Globus solche komplexen Prozesse, die das zukünftige Bild unserer Erde bestimmen, in Zahlen zu fassen und mithilfe höchst anspruchsvoller Computermodelle zu simulieren. Die Crème de la Crème der Modellierer trifft sich diese Woche in Hamburg.

"Wir erwarten mehr als 400 Teilnehmer aus knapp 30 Ländern, darunter China, Japan und Australien", sagt Dr. Martin Claußen, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie, Professor an der Universität Hamburg und Präsident der Dritten Internationalen Konferenz zur Erdsystemmodellierung. "Ich bin gespannt, wie weit andere Gruppen bei der Klimavorhersage inzwischen sind. Oder bei der Integration von komplexen Klima- und ökonomischen Modellen. Oder bei der Erforschung der solaren Einflüsse auf das Klima. Wir haben acht Schwerpunktthemen. Alle sind reizvoll - ich werde mir alle Vorträge anhören."

Ein Fokus der Tagung ist die mittelfristige Klimavorhersage. Bislang liefern die Modelle weltweit Szenarien der Zukunft in 100 oder 200 Jahren. Sie zeigen, wie das Klima unter Einflussfaktoren wie Treibhausgasausstoß, Landnutzung, Sonneneinstrahlung und vieles mehr reagieren wird. Ein Großteil der Einflüsse entsteht durch Menschen und basiert deshalb auf Annahmen zur gesellschaftlichen Entwicklung. Dagegen bezieht sich die Klimavorhersage auf kürzere Zeiträume von zehn oder 20 Jahren. Sie ist keine Projektion, sondern funktioniert eher wie eine Wettervorhersage.

Wetterprognosen rechnen eine Ausgangssituation mit gemessenen Wetterdaten in die Zukunft hoch. Ein solcher Rechnerlauf wird 50-, 60-mal mit leicht variierten Ausgangsbedingungen wiederholt. Die Bandbreite der errechneten Wettersituationen zeigt den Experten, wie sicher oder unsicher ihre Prognose ist. Fernsehzuschauer kennen dies in Form von Temperaturkurven, bei denen der graue Unsicherheitsbereich von Tag zu Tag wächst.

+++Klimawandel: Forscher warnen vor Schäden an Korallen+++

+++Deutschland muss sich besser für Klimawandel wappnen+++

"Eine Klimavorhersage sollte prognostizieren können, ob die nächsten drei, vier Winter eher wärmer oder kälter werden und wie groß die Unsicherheit dieser Vorhersage ist", sagt Claußen. Um solche Aussagen treffen zu können, suchen die Modellierer nach Prozessen, die über die Witterung in der betreffenden Region entscheiden. Ein wichtiger Hebel für das europäische Klima liegt mitten im Atlantik: In ihm zirkulieren riesige Wassermassen, der bekannteste Teil dieser Umwälzung ist der Golfstrom.

Zu Jahresbeginn präsentierte das MPI einen weltweiten Durchbruch: "Wir konnten das erste Mal eine Meeresströmung vorhersagen", freute sich damals Claußens Kollege Prof. Jochem Marotzke. Die erfolgreiche Vier-Jahres-Prognose zur Stärke des Golfstroms zeige, dass Klimavorhersagen prinzipiell möglich seien. Martin Claußen ist nun gespannt zu hören, ob auch andere Forschergruppen rund um den Erdball solche Indizien für die Vorhersagbarkeit des Klimas entdeckt haben. Mit Blick auf die Golfstrom-Vorhersage schränkt er jedoch ein, dass noch zu klären sei, ob man aus der Prognose zur Meeresströmung tatsächlich Temperaturtrends für kommende Jahreszeiten ableiten kann. Auch die Modelle für die langfristigen Projektionen kommen voran. "Bei unserer ersten Modell-Konferenz im Jahr 1989 arbeiteten wir mit einem Modell der Atmosphäre, einem des Ozeans und einem weiteren, das die Eismassen der Erde abbildete. Erste erfolgreiche Versuche, Atmosphären- mit Ozeanmodelle zu koppeln, wurden damals vorgestellt", erinnert sich Claußen.

Längst sind diese Rechenprogramme zu Erdsystemmodellen zusammengewachsen. Moderne Klimamodelle versuchen, die Vorgänge in der Atmosphäre zu verbinden mit klimarelevanten Prozessen an Land und in den Meeren - und das sind sehr, sehr viele. Claußen nennt ein Beispiel: "Wir haben gerade den Phosphor in unser Hamburger Modell integriert. Phosphor ist ein Dünger, den Pflanzen benötigen, wenn sie Kohlenstoff aus der Luft aufnehmen. Dabei ändern sie die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre und beeinflussen damit direkt das Klima."

Zur Modellentwicklung gehört auch, kleinräumige Prozesse wie Wolken besser darzustellen. Dazu muss die Auflösung der Modelle weiter erhöht werden. Um die notwendigen Rechenoperationen verarbeiten zu können, müssen die leistungsstarken Großrechner vermehrt parallel arbeiten, damit sie viele tausend Rechenoperationen gleichzeitig durchführen können. Ein zweiter Ansatz sind neue Modellstrukturen: andere Raster, in die die virtuelle Erde aufgeteilt wird.

Rund ein Dutzend Arbeitsgruppen entwickeln weltweit die maßgeblichen Klimamodelle, darunter Wissenschaftler des Hamburger MPI, Kollegen in Großbritannien und Frankreich, Skandinavien und Russland, den USA, China und Japan. Sie sind mit ein bis zwei Kandidaten beim großen Modellvergleich am Start, der für den fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC (soll in mehreren Teilen ab September 2013 erscheinen) erarbeitet wird. Claußen: "Wir werden dann die Ergebnisse von zwei Dutzend Modellen, die unterschiedliche Stärken und Schwächen haben, miteinander vergleichen. Dort, wo viel Übereinstimmung herrscht, wissen wir, dass die Aussagen der Modelle robust sind. Dort, wo die Ergebnisse stark von einander abweichen, müssen wir tiefer in die Prozesse hineinschauen."

Zwar gebe es im Detail noch Unsicherheiten bei der Modellierung, doch die großen Zusammenhänge seien gut bekannt, betont Claußen. Über die wissenschaftlichen Herausforderungen zur nächsten Tagung in vier Jahren werde dann nach dem Vortragsreigen am kommenden Freitag gesprochen, sagt der Konferenzpräsident.