Umweltchemiker der Leuphana-Universität in Lüneburg entwickeln einen Rost-Sensor, der Korrosion meldet, bevor sie entstehen kann.

Lüneburg. Oliver Opel kann zwar nicht vorhersagen, ob morgen die Sonne scheint oder nicht. Der junge Wissenschaftler der Leuphana-Universität Lüneburg kann aber vorhersagen, wann ein Rohr rosten wird. Und damit auch, wann ganze Brunnen- oder Heizungsanlagen ausfallen, weil Filter verstopfen oder Pumpen versagen. Gemeinsam mit seinem Doktorvater hat der Umweltchemiker einen diesbezüglichen Sensor entwickelt, der kurz vor der Serienproduktion steht.

Wasser plus Stahl und Wasser plus Eisen bedeutet über kurz oder lang Korrosion. Hierbei kommt es zu einer Reaktion des Eisens mit Sauerstoff, der sogenannten Oxidation. Der Laie spricht davon, dass das Metall rostet. Das passiert in jeder Anlage, in der Wasser und Eisen oder Stahl zusammenkommen - ob in der Papierproduktion, in einer Heizung oder einem Grundwasserbrunnen.

Über Letzteren ist das Team der Lüneburger Universität auch auf die Idee des Rost-Sensors gekommen: Mitarbeiter des Instituts für Nachhaltigkeit und Umweltwissenschaften hatten unter dem Reichstag in Berlin im Jahr 2000 ein System installiert, das Wärme und Kälte im Grundwasser speichert. Während der Arbeit an dem Speicher tief im Erdboden kam dem Institutschef die erste vage Idee, wie sie wohl am Anfang vieler Promotionen von fleißigen wissenschaftlichen Mitarbeitern steht. Prof. Wolfgang Ruck sagte damals zu seinem jungen Kollegen so etwas wie: "Wir haben ein Problem. Wir können in den Brunnen nicht hineingucken und beobachten, wo Eisenschlämme entstehen. Wir müssen uns etwas überlegen, wie wir die Anlage von innen überwachen können, damit wir Defekte verhindern können." Oliver Opel, frischgebackener Absolvent, machte sich daran, eine Lösung für das Problem zu finden. Viele Jahre später ist sie da: ein Sensor, der eine permanente Überwachung von Rost und Ablagerungen in Brunnen und Wasserrohren möglich macht.

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"Elektrochemische Messungen gab es natürlich schon vorher", sagt der 33-jährige Wasserchemiker. "Aber dafür muss ein Fachmann kommen, eine Probe nehmen, sie ins Labor transportieren und dort auswerten." Das ist nicht nur teuer, mühsam und zeitaufwendig, es schließt auch viele bei dem jetzt entwickelten Opel-Ruck-System mögliche Analysen aus - weil die Messdaten lediglich von einzelnen Rohrstellen stammen. Was ein paar Meter weiter los ist, lässt sich mit den Proben nicht sagen.

Anders beim Sensor der Lüneburger Umweltchemiker: Er misst im Wasser, nicht am Rohr, und kann daher eine Aussage über den Zustand der gesamten Anlage treffen. Dabei wertet der angeschlossene Computer nicht nur die Eisendaten aus, sondern auch die gemessenen Werte von Schwefel, den pH-Wert und die Leitfähigkeit des Wassers.

Die Daten des Sensors, in dem mehrere Sonden vereinigt sind und der am Ende des Entwicklungsprozesses etwa faustgroß sein wird, können, eingespeist in ein Rechenprogramm, zu einem Alarm führen, wenn Leitungen kritische Werte erreichen und Probleme mit Rost vorhersehbar sind. "Damit lässt sich viel Geld sparen", sagt Prof. Ruck. In der Automobilindustrie, Kokereien und der Papierbranche verschlingen Wartungskosten, Nutzungsausfälle und der vorbeugende Korrosionsschutz von Wassersystemen seinen Angaben zufolge jährlich rund vier Prozent des Umsatzes. Und in Brunnen zur Trinkwassergewinnung, in der Getränke- und Lebensmittelindustrie sowie in Heiz- und Energiesystemen wird laut Ruck jede Menge Strom verschwendet, weil Ablagerungen und Verstopfungen von Rohren und Wärmetauschern den Bedarf der Pumpen in die Höhe treiben.

Probleme machen fatalerweise ausgerechnet die neuartigen Niedrigenergieanlagen in Gebäuden. Warum, erklärt Oliver Opel: Der Grund ist die geringere Temperatur in den modernen Heizungsanlagen: Sie liegt bei 30 bis 50 Grad und nicht wie bisher bei 60 bis 80 Grad. Die Folge: Bakterien sterben nicht, sondern vermehren sich rasant. Sie produzieren Schwefel, und Schwefel produziert mikrobielle Korrosion. Die weitere Folge: Die neuen, häufig bezuschussten Anlagen funktionieren manchmal schon nach einem halben Jahr nicht mehr so, wie sie eigentlich sollen: weil sich Belege bilden, Pumpen schlappmachen und Filter verstopfen. Noch kein Jahr alt, muss die Anlage im schlimmsten Fall teuer gespült und gereinigt werden. "Das ist ein großes Problem beim energieeffizienten Bauen", sagt Opel. Gemeinsam mit dem Institut für Gebäude- und Solartechnik in Braunschweig und dem Fraunhofer Institut arbeiten die Lüneburger Wissenschaftler daher an Lösungen.

Parallel dazu sind jetzt Feldtests mit dem Rost-Sensor an bis zu 20 Anlagen geplant; die Laborversion hatten die Chemiker bereits unter anderem unter dem Reichstag getestet. Anders als bei neu entwickelten Verfahren üblich, hat die Lüneburger Universität für den Markteintritt sogar bereits ein regionales Unternehmen an der Hand, das einen Prototyp baut und den Einstieg in die Serienproduktion des Rost-Sensors prüft: die Lüneburger Firma Franatech, Produzent von Sensoren für die Fischzucht und nach eigenen Angaben Weltmarktführer für den Unter-Wasser-Nachweis von Methan.

Seit 2009 kooperieren Betrieb und Hochschule nach Vermittlung der Lüneburger Wirtschaftsförderung; die Mitarbeiterzahl der Firma hat sich seither verdoppelt: "Die Zusammenarbeit mit den Umweltchemikern der Leuphana eröffnet uns die Möglichkeit, ein weiteres Geschäftsfeld zu erschließen", sagt Geschäftsführer Dr. Michel Masson. Vorher habe sich Franatech auf Spezialanfertigungen konzentriert.

Möglich gemacht hat die Zusammenarbeit der sogenannte Innovations-Inkubator der Universität Lüneburg, ein von der Europäischen Union (EU) finanziertes Programm, das die Zusammenarbeit von Hochschule und regionaler Wirtschaft vorantreiben soll. 190 000 Euro hat die EU über drei Jahre verteilt in die Erforschung des Sensors gepumpt, und Oliver Opel ist stolz, dass das Patent der Universität in der Region bleibt - und sein Produkt nicht irgendwo auf der Welt produziert wird.

"Jetzt sind wir an weiteren offenen Kooperationen interessiert", sagt der Promovend, der an den letzten Seiten seiner Doktorarbeit sitzt und den Sensor in dieser Woche beim Europäischen Korrosions-Kongress "Eurocorr" in Istanbul vorstellen wird. "Wir suchen Firmen, die das System ausprobieren möchten oder sich für die Wartung der Messanlagen interessieren." Damit die Forscher ihre Erfindung weiter an den Kundenwünschen ausrichten könnten - anstatt sie nach der Veröffentlichung in Fachpublikationen an einen Lizenznehmer im Ausland zu verkaufen.