Athen: Das Dach des Olympiastadions ist das Wahrzeichen der Spiele. Ingenieure des Germanischen Lloyd und der Firma Bung rechneten es stabil.

Wenn Hochleistungssportler um die Wette eifern, fallen Rekorde. Den ersten feiern die 28. Olympischen Sommerspiele vor der Eröffnungsfeier am Freitagabend. Es ist eine Spitzenleistung multinationaler Ingenieuerskunst. Das Stadionglasdach, das der spanische Architekt Santiago Calatrava für das renovierte Olympiastadion im Norden Athens entwarf, gilt als größtes der Welt. Die neue Bestmarke steht jetzt bei einer Spannweite von 304x207 Meter über eine Höhe von bis zu 78 Metern. Eine kleinere Variation des Motivs mit den zwei mächtigen weißen Doppelrohrbögen taucht im olympischen Sportpark im benachbarten Velodrome auf. Auch hier wurde mit verspannten Drahtseilen gearbeitet.

Hinter Rekorden steckt harte Arbeit. Und dieser Konstrukteurspreis wäre kaum zu Stande gekommen, hätten nicht Ingenieure der Heidelberger Firma Bung, sie führt in Athen seit drei Jahren die Bauaufsicht, und Gutachter des Germanischen Lloyd (GL) in Hamburg substantielle Nachbesserungen an dem Projekt gefordert und - gegen Widerstände - durchgesetzt. "Das ist bei Bauten dieser Dimension ein normaler Prozess. Viele Augen sehen mehr", sagt Diplom-Ingenieur Bernd Thönnissen vom Germanischen Lloyd (weltweit 2200 Mitarbeiter). Er prüfte im Auftrag der griechischen Regierung, des Bauherrn, Güte und Ausführungsqualität der Schweißungen der Firma Cimolai. Das italienische Unternehmen hatte die 272 Stahlzylinder gefertigt und zu 124 Segmenten montiert. "Bei den hier geforderten Wandstärken von teilweise mehr als zehn Zentimetern, fabriziert aus formgekanteten Blechsegmenten, ist es nicht so einfach zu schweißen und dabei alle Parameter einzuhalten", sagt Thönnissen. Inklusive der Dachträger waren rund 8000 Meter Schweißnähte nötig. Daraus ergibt sich eine Gesamtlänge von 350 Kilometer Schweißraupen (bis zu 120 pro Naht).

Athens 100 Millionen Euro teures Olympiadach ist ein Koloss; imposant und dennoch grazil. Die oberen Tragbögen haben einen Durchmesser von 3,25 Meter, die unteren torsionssteifen Röhren einen von 3,60 Meter. Man kann in beiden aufrecht gehen. Architekt Calatrava hatte sein Werk weniger wuchtig geplant. "Es erschien uns nicht stabil, nicht sicher genug", sagt Maik-Detlef Hundt, Projektsteuerer der Firma Bung (300 Mitarbeiter). Die Heidelberger ließen ein Modell im kanadischen Ontario im Windkanal, dort wurde das Dach aus allen Richtungen angeströmt, und in Computer-Simulationen testen. Das Ergebnis: Ein Teil der tragenden Elemente und Verbindungen musste verstärkt werden. Schottbleche wurden nachgerüstet, Rohrquerschnitte und Wandstärken teilweise erhöht. Gesamtkosten für jetzt 18 000 Tonnen Stahl: 80 Millionen Euro. Die Rohrbögen hätten noch üppiger ausfüllen müssen, wäre das gewölbte Dach wie geplant mit Glas belegt worden. Das hätte 42 Kilogramm pro Quadratmeter gewogen. Stattdessen lieferte die Bayer AG aus Leverkusen hoch transparente, zwölf Millimeter dicke Kunststoffplatten aus Polycarbonat, bläulich schimmernde Scheiben. Gewichtsersparnis: 18 Kilogramm pro Quadratmeter.

Es ist eben eine Last mit der gewaltigen Last. Calatrava, und das ist ein weiterer Clou, leitet sie über nur vier Auflager an den Ecken des Stadions in den Untergrund ab. Diese fußen auf jeweils 30 bis 40 Bohrpfählen, die, 1,5 Meter dick, zwischen 25 und 35 Meter tief in das geologisch unterschiedliche Erdreich ragen. Nicht nur das Eigengewicht muss gehalten werden, das seilverspannte Dach, sagt Diplom-Ingenieur Hundt, habe zudem Wind (bis zu 108 km/h), Regen, Schnee und Erdbeben bis zur Stärke sieben auf der Richterskala - teilweise in kumulativer Kombination - zu trotzen. 2700 Tonnen Stahlkonstruktionsverstärkungen, 15 Prozent der Gesamtmasse, dienen der Abwehr dieser Destabilisierungsgefahren.

"Die statischen Berechnungen des Dachs gestalteten sich kompliziert, weil die einzelnen Tragwirkungen nicht streng voneinander getrennt sind, sondern wegen der geometrischen Form miteinanderwirken, sich gegenseitig beeinflussen. Dieses Prinzip ist typisch für Calatrava", sagt GLIngenieur Thönnissen. Nur mit einem komplexen Rechenverfahren, erläutert sein Hamburger Kollege Joachim Klindt, seien die einzelnen Lasten zu erfassen: ""Die Konstruktion muss in sehr kleine Abschnitte, 'finite Elemente', in der Berechnung aufgeteilt werden, um jeden Punkt statisch nachweisen zu können." Früher, ohne moderne Computersysteme, sei eine solche Bauweise unmöglich gewesen. Das Münchner Zeltdach zum Beispiel, Wahrzeichen Olympias 1972, könnte heute filigraner konstruiert werden.

Den finalen Schwierigkeitsgrad bildete die Installation. Die Dachhälften waren ein Jahr lang 60 und 72,5 Meter neben dem Stadion aufgebaut worden, um die Arbeiten in der Arena nicht weiter zu verzögern. Mitte Mai und Anfang Juni wurden die beiden je 9000 Tonnen schweren Teile nacheinander über eine extra errichtete Edelstahlgleitbahn zusammengeschoben. Teflon und Vaseline milderte die Reibung. In Schüben von 1,92 Meter ging es bei der ersten Hälfte mit fünf Metern pro Stunde voran, bei der zweiten mit doppelter Geschwindigkeit. "Letztlich war das Routine"", sagt Klindt, "bei Brücken verschiebt man heute Teile von bis zu 50 000 Tonnen." Nicht alle Rekorde fallen bei Olympia.

  • Informationen im Internet: Germanischer Lloyd: www.gl-group.com Bung: www.bung-gmbh.de Olympia: www.athens2004.com