Welche Nahrung eine Art zu sich nahm, versuchen Hamburger Zoologen durch Muster auf Kauflächen zu ergründen

Hamburg. Es sagt ja niemand, dass man Maschinen, die in der Autoindustrie Kolben, Bolzen und Wellen prüfen, nicht auch nutzen könnte, um Affenzähne zu analysieren. Also habe er es einfach gemacht, sagt Thomas Kaiser. "Das mag für Außenstehende etwas speziell wirken, aber uns eröffnet es völlig neue Möglichkeiten."

Er greift sich einen Orang-Utan-Schädel und träufelt mit einer Spritzpistole eine tannengrüne Flüssigkeit auf die Zähne des Unterkiefers. Davon würden Abdrücke gemacht, prinzipiell so wie beim Zahnarzt, erläutert Kaiser. Diese Proben zerstückelt er in fingernagelgroße Einzelteile und legt sie unter ein sogenanntes Laser-Scanning-Mikroskop.

Auf dem Monitor neben ihm sieht man das Ergebnis: Grüne und gelb-orange Zonen markieren dreidimensional die Zahnoberfläche; die Grafik sieht aus wie eine Landschaft, deren Berge und Schluchten allerdings nur wenige Hundertstel Millimeter messen. Es sind Spuren, die beim Fressen entstanden sind. Von ihnen erhofft sich Kaiser Erkenntnisse über die Evolution von Säugetieren - und damit auch über die Entwicklung des Menschen.

Das Team des 50-jährigen Biologieprofessors sitzt im zweiten Stock des Zoologischen Museums der Uni Hamburg. Es ist Teil eines Forschungsprojekts, an dem auch zwei Institute der Uni Bonn und eine Gruppe um den Paläoanthropologen Ottmar Kullmer vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt mitarbeiten. Gefördert werden die Studien von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Hamburger erhalten im Zuge dessen 1,5 Millionen Euro bis Ende 2014.

Der Ansatz, Tieren und Menschen sozusagen auf den Zahn zu fühlen, um so ihre Geschichte zu ergründen, ist prinzipiell nicht neu. 2011 bestimmten Forscher aus Kalifornien und Bonn erstmals die Körpertemperatur von pflanzenfressenden Dinosauriern, die vor 150 Millionen Jahren ausgestorben sind. Die Riesenechsen waren demnach mit 36 bis 38 Grad genauso warm wie wir. Das schlossen die Forscher zumindest aus der Verbindung zweier Isotope - unterschiedlich schwerer Varianten von Elementen wie Kohlenstoff und Sauerstoff - im Zahnschmelz der Tiere. Je wärmer es bei der Bildung des Zahnschmelzes war, desto seltener gingen die beiden schwereren Isotope eine Bindung ein.

Südafrikanische Forscher fanden in diesem Jahr erst heraus, dass sich die Homininenart Australopithecus sediba, die vor etwa zwei Millionen Jahren in Südafrika lebte, von Baumrinde, Blättern und Früchten ernährte. Jetzt legte ein anderes Team mit Kollegen aus Frankreich nach und berichtet aktuell, dass der vor etwa 2,5 Millionen Jahren lebende Australopithecus africanus Fleisch und pflanzliche Nahrung verzehrte. Die später auftretenden ersten Vertreter der Gattung Homo neigten dagegen mehr zu Fleisch - und hatten damit wohl einen evolutionären Vorteil. Auch diese Resultate ergaben sich aus Isotopenanalysen des Zahnschmelzes.

Die Hamburger Forscher um Thomas Kaiser haben eine andere Herangehensweise gewählt: Sie untersuchen, wie bestimmte Nahrungsbestandteile Zähne von Säugetieren verschleißen. Dazu haben sie bisher mit dem Laser-Scanning-Mikroskop einerseits Zahnabdrücke studiert, die von lebenden Säugetieren stammen, etwa von Ziegen und Hasen.

Welche Einkerbungen hinterlassen Fruchtkerne, welchen Abrieb erzeugen Gras oder Blätter? Das ermitteln die Forscher mit einem Vorher-nachher-Test: Erst studieren sie die Zahnabdrücke der Versuchstiere bei einer Ernährung mit Gras, dann einige Wochen später erneut, nachdem die Ernährung auf Blätter umgestellt wurde.

Andererseits analysierten sie Zahnabdrücke, die von unterschiedlichen Affenarten stammen. Diese Proben wurden von Schädeln genommen, die in Museen lagern. Dabei handelte es sich um frei lebende Tiere, von denen ziemlich genau bekannt sei, was sie gefressen hätten, erläutert Kaiser. Prinzipiell könnten sie auch mit Zähnen von ausgestorbenen Primaten und den Überresten von Vorfahren des modernen Menschen derartige Studien durchführen.

Im Unterschied zu den Isotopenanalysen seien die Messungen mit dem Laser-Mikroskop genormt nach den Vorgaben der International Organization for Standardization (ISO) und des Deutschen Instituts für Normung (DIN). Im Klartext heißt das: Die Tests laufen immer gleich ab. Wenn also Forscher aus verschiedenen Ländern mit der gleichen Methode arbeiten, werden Daten dadurch vergleichbar, zumal dann, wenn auch die gefundenen Merkmale standardisiert werden.

Das wiederum heißt: Weiß man erst einmal aus Dutzenden Tests, dass die Kerne einer bestimmten Frucht fast immer ein weitestgehend gleiches Kerbenmuster auf der Zahnoberfläche hinterlassen, könnte dies die Forschung erheblich beschleunigen. Dann ließen sich solche Merkmale in einer Datenbank speichern, auf die Wissenschaftler aus aller Welt Zugang hätten.

Untersuchte dann etwa ein Paläontologe die Zähne einer ausgestorbenen Tierart, sagte ihm sein Computer sofort: Offenbar hat dieses Tier hauptsächlich eine bestimmte Sorte Früchte gefressen. Weil diese Früchte an Bäumen wuchsen, muss das Tier in einer bewaldeten Umgebung gelebt haben. Weil in dieser Region Überreste von frühen Menschen gefunden wurden, spricht dies dafür, dass sie womöglich auch im Wald lebten und sich vielleicht von Früchten ernährten. Es wären nur Indizien, aber immerhin, sagt Thomas Kaiser. "Wir wollen doch alle wissen, wo wir herkommen, wie unsere Vorfahren lebten."

Aus den Studien könnte sich aber auch ein praktischer Nutzen ergeben, sagt der Biologieprofessor. "Bei vielen Wildtieren, die heute in Zoos gehalten werden, wissen wir nur sehr wenig darüber, was sie im Freiland fressen und welche Nährstoffe sie benötigen. Man kann sich ja schlecht danebensetzen, wenn ein Affe hoch oben im Baumwipfel Früchte verzehrt."

Insofern könnten die Ergebnisse des Forschungsprojekts womöglich auch dazu beitragen, Zootiere besser zu ernähren.