Mehr als die Hälfte unserer 561 Bienenarten stehen auf der Roten Liste. Nahrungs- und Nistplatzmangel machen ihnen das Leben schwer.

Hamburg/Bonn. Die Vielfalt der Insektenwelt in Deutschland schwindet weiter. Das zeigt die Rote Liste für wirbellose Tiere, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) jetzt in Bonn vorlegte. "Der Rückgang vieler Arten überwiegt deutlich gegenüber der Zunahme einiger weniger Arten", so lautet das Fazit von BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel. Zu den besonderen Sorgenkindern zählen die Wildbienen. "Sie sind überdurchschnittlich gefährdet und spielen als Blütenbestäuber eine wichtige Rolle", sagt Heiko Haupt, Artenschutzexperte beim BfN.

561 Bienenarten leben in Deutschland. Richtig bekannt ist jedoch nur eine: die Honigbiene unter menschlicher Obhut. Alle anderen leben wild. Zu ihnen zählen auch die Hummeln. "Diese nutzen Wachs als Baumaterial und legen Nektarvorräte an. Daher sind sie der Honigbiene am ähnlichsten. Aber sie fügen dem Nektar keine Enzyme bei, produzieren also keinen Honig", sagt Dr. Paul Westrich, der die Datensammlung zu den Wildbienenbeständen für die Rote Liste koordiniert und seit Jahrzehnten in der Welt der Wildbienen zu Hause ist. "Es gibt kaum eine andere Insektengruppe mit einer solchen Vielfalt an Lebensweisen."

+++ Die aktuelle Rote Liste +++

Trotz ihrer Vielseitigkeit sind mehr als die Hälfte der Wildbienenarten im Bestand gefährdet. Denn viele Arten sind ausgesprochene Spezialisten. Sie stellen besondere Ansprüche an Nistplätze und Baumaterialien für das Nest oder versorgen ihren Nachwuchs nur mit den Pollen einer Pflanzenart und deren nahen Verwandtschaft. Westrich: "Pollen sind als Eiweißquelle die entscheidende Nahrung der Nachkommen. Das macht die Bienen abhängig vom Blütenangebot. Mehrere Arten füttern etwa nur mit Glockenblumenpollen. Die Wiesenglockenblume braucht extensiv genutzte Wiesen, die nicht vor Mitte Juni gemäht werden. Doch solche Flächen werden seltener." Für Westrich steht fest: "Die heutige Landwirtschaft ist der Hauptgrund für den Rückgang vieler Bienenarten."

Den Glockenblumen liebenden Bienen kann jedoch geholfen werden. Hobbygärtner und Balkonbesitzer können Glockenblumen aussäen und damit die Pollenkost zur Verfügung stellen. Bei anderen Arten wird der Schutz deutlich komplizierter. Westrich nennt da das Harzbienchen: "Es baut seine Brutzellen aus Harztropfen, die es an Kieferntriebspitzen sammelt. Es heftet die Zellen an einen Stein, an dem sie wie kleine Fingerhüte hängen. Die Pollen für die Nachkommen sammelt die Biene vorwiegend am Hornklee. Der wächst aber nicht dort, wo die Kiefern stehen. Die Biene braucht also verschiedene Lebensräume, um zu überleben."

95 Prozent der nestbauenden Bienen sind Solitärbienen. Sie bilden also keine Staaten, sondern die Weibchen legen als Einzelgängerinnen ein Nest mit zehn bis 20 Brutkammern an, in die sie je ein befruchtetes Ei deponieren. Nach vier bis sechs Wochen schlüpfen die Larven - zu dieser Zeit sind ihre Mütter bereits verendet. Die Brut ernährt sich aus dem Pollen- und Nektarbrei, den die Biene ihren Nachkommen in die Kammer gelegt hat. Die Einsiedelei hat zum Teil bemerkenswerte Auswüchse: So gibt es Bienen, die Eier in das Gehäuse toter Schnecken legen oder in alte Schilfgallen, die sich in Röhrichten von naturnahen Uferzonen finden.

Die Blauschwarze Holzbiene favorisiert dagegen hartes Totholz, in das sie in wochenlanger Arbeit eine Nisthöhle nagt. Fehlt das Totholz in den Wäldern, gerät die Biene in Wohnungsnot. Ähnlich ergeht es der Schwarzbürstigen Blattschneiderbiene. Die ursprünglich in lichten Wäldern beheimatete Biene nistet inzwischen auch in morschen Teilen von Carports, Pergolen oder Holzgeländern.

Da Bienen Wärme lieben, sind an den "heißen Ecken" in Deutschland, etwa im Oberrheingraben und im Kaiserstuhl, besonders viele Arten beheimatet. Generell leben in Baden-Württemberg etwa doppelt so viele Arten wie in Schleswig-Holstein. Die Insekten könnten vom Klimawandel profitieren, wenn die anderen Lebensbedingungen dies zulassen. Bei einzelnen Arten ist das offenbar bereits der Fall: So hat sich die Braunbindige Furchenbiene in jüngster Zeit Richtung Norden und in die Höhe ausgebreitet, sich sogar ins Mittelgebirge (Schwäbische Alb) vorgewagt. Diese Art ist eine von zehn, die in den vergangenen Jahrzehnten einen positiven Trend aufweist. Während sie in der vorangegangenen, 1998 veröffentlichten Roten Liste noch als gefährdet galt, ist sie nun "ungefährdet".

Im Gegensatz dazu stehen 232 Arten mit negativem Trend. Insgesamt stehen in Deutschland 52,2 Prozent aller heimischen Wildbienen auf der Roten Liste. 228 Arten sind im Bestand gefährdet, 26 selten und 39 Arten sind bereits ausgestorben oder verschollen.

Der Anbau von Energiepflanzen habe zu dem Negativtrend beigetragen, sagt Heiko Haupt. Oft seien Brachflächen, etwa aus dem Flächenstilllegungsprogramm, umbrochen worden, um Mais oder Raps darauf wachsen zu lassen. Während Grünland den Insekten Blüten liefert, sei der Mais aus Sicht der Wildbienen eine ökologische Wüste. Der Naturschutzexperte hofft auf eine EU-Agrarpolitik, die ihre Förderung stärker am Naturschutz orientiert.

Paul Westrich formuliert es noch direkter: "Wenn wir nicht wollen, dass die Wildbienen als wichtigste Bestäubergruppe den zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen, dann brauchen wir neben der Energiewende eine Wende in der Landnutzung, hin zu kleinräumigeren Strukturen mit sehr viel mehr blühenden Flächen."