Direkte Umgebung wird noch Jahrzehnte unbewohnbar sein, beschädigte Brennelemente müssen viele Jahre gekühlt werden

Fukushima/Darmstadt. Wenige Stunden nachdem ein Erdbeben und eine verheerende Flutwelle am 11. März die japanische Ostküste heimsuchte, stand fest: Von Menschen gemachte Probleme verschlimmern die Katastrophe. Vier Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi waren außer Kontrolle geraten und verstrahlten in einigen Tagen große Regionen - insgesamt wurde ein Fünftel der Strahlung freigesetzt, die im April 1986 beim GAU in Tschernobyl (Ukraine) entwich.

Noch immer haben die Brennelemente in den Ruinen der Reaktoren 1 bis 3 eine Wärmeleistung von etwa einem Megawatt - genug, um jede Stunde gut eine Tonne Wasser zu verdampfen. Der Kraftwerksbetreiber Tepco kündigte an, bis zum Jahresende "die Reaktoren endgültig unter Kontrolle zu bringen". "Damit ist die sogenannte kalte Abschaltung gemeint. Sie ist eingetreten, wenn die Temperatur bei normalen Druckverhältnissen deutlich unter dem Siedepunkt zu halten ist. Dieser Kühlbedarf wird noch zehn, 20 Jahre anhalten", sagt Gerhard Schmidt, Kerntechnik-Experte beim Öko-Institut Darmstadt.

In der verstrahlten Region wurden fast 130 000 Menschen umgesiedelt. Der Großteil hofft noch immer, in absehbarer Zeit in die Heimat zurückkehren zu können. Im Kraftwerksumkreis von 20 Kilometern wird dies für Jahrzehnte kaum möglich sein. Die Belastung entsteht vor allem durch radioaktives Cäsium-137. Und das hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren, erst dann ist die Hälfte des Materials zerfallen.

Auch belastete Bereiche nordwestlich der Evakuierungszone sind nicht mehr bewohnbar. Nur in kleinen Teilen dieser Bereiche sei, so Schmidt, ein dauernder Aufenthalt denkbar, allerdings unter großen Einschränkungen. Die Bewohner dürften keinen Schmutz in die Häuser hineintragen, sich nur kurze Zeit im Freien aufhalten.

Landwirtschaft und Fischerei werden ebenfalls über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beeinflusst. In diesem Jahr tauchten verschiedene Lebensmittel, darunter Reis auf, die den gesetzlichen Grenzwert von 500 Becquerel pro Kilo Lebensmittel überschritten. Schmidt: "Sie wurden über die Luft kontaminiert. Damit ist im kommenden Jahr nicht zu rechnen. Doch vor allem oberflächlich wurzelnde Pflanzen nehmen Radioaktivität auf - beim Reis sind es etwa zehn Prozent der ursprünglichen Kontamination." Auch die Fischerei sei beeinträchtigt, zumindest am Meeresboden. Die Strömung hat Radioaktivität nach Süden getragen. Schmidt: Noch 50 Kilometer südlich von Daiichi gibt es Sedimentbelastungen bis zu 1300 Becquerel pro Kilo. In Tieren, die die Sedimente nach Nährstoffen durchwühlen und dabei Cäsium anreichern können, dürften die Konzentrationen noch höher liegen als im Sediment.

Immerhin hat die EU aus den Ereignissen gelernt. Schmidt: "Mit den EU-Stresstests wurden europaweit die Anlagen deutlich stringenter geprüft als zuvor. Es gab weniger Rabatt für Dinge, die man für unwahrscheinlich hielt, zum Beispiel ein vollständiger Stromausfall im Kraftwerk oder ein Totalausfall der Kühlung."