Beim Hamburger Gesundheitstreff diskutierten Experten kontrovers über Behandlungskonzepte

Hamburg. Mit Statistik lässt sich bekanntlich am eindrucksvollsten lügen. Und so stehen Ärzte, Krankenkassen und Politik ratlos vor einem Daten-Puzzle, das nicht zusammenpassen kann. Die Hamburger sind die glücklichsten Deutschen, sagte eine Studie von Allensbach. Und in Hamburg gibt es im Verhältnis die meisten psychischen Erkrankungen, noch dazu die schwerwiegendsten und deshalb die meisten Behandlungsplätze für diese Patienten.

Wohin mit der kranken Seele? Rund 100 Gäste aus Politik, Krankenkassen, Krankenhäusern, der Ärzteschaft und Betroffenen-Verbänden diskutierten beim 2. Hamburger Gesundheitstreff zum Thema "Versorgung psychisch kranker Menschen in Hamburg". Während die Wartezeiten für Depressive, Menschen mit Burn-out und anderen Störungen auf Monate anwachsen, stöhnen die Krankenkassen über weiter steigende Kosten. Die Techniker Krankenkasse hat festgestellt, dass in Hamburg die Zahl der Fehltage durch psychische Leiden stark angestiegen ist.

Dabei gibt es offenbar nur in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit mehr Seelenkrankheiten als noch vor Jahren. "Früher wurden psychische Erkrankungen als Rückenbeschwerden ausgegeben", sagt Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). "Die eigentliche Diagnose war ein Tabu." Heute gibt es eine größere Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und sie ist notwendig, sagt die Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, Claudia Brase. "Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Suizide unter Frauen als in Hamburg."

Seelische Leiden treten im jungen und mittleren Erwachsenenalter am häufigsten auf. Dann ballen sich in enger Abfolge Pubertät, Partnerstress, Karrierehast. Walter Plassmann von der Kassenärztlichen Vereinigung zitiert eine unveröffentlichte Studie, nach der 50 Prozent der Depressionen von Hausärzten festgestellt werden, 30 Prozent von Frauenärzten. Wann kommen die Erkrankten in die Hände von Fachleuten? "Zu spät", sagt die Psychotherapeutenkammer. Mehr Betten für die Kliniken will die Senatorin jedoch nicht bewilligen. Darüber gibt es Streit mit den Asklepios-Häusern Nord und Harburg sowie mit dem UKE - jenen Kliniken, in denen die meisten Fälle behandelt werden.

Ambulante Versorgung und integrierte Therapiemodelle heißen die politisch gewollten Rezepte. "Manche Kranke muss man aber aus ihrem Umfeld herausziehen", gibt Krankenhaus-Vertreterin Brase zu bedenken. Ein Klinikaufenthalt ist allerdings meist deutlich teurer.

Wegen des großen Bedarfs baut das Zentrum Verhaltenstherapie Falkenried (Hoheluft und Winterhude) gerade einen neuen Standort in Blankenese auf. "Wir wollen, dass unsere Patienten aus dem Hamburger Westen und darüber hinaus keine langen Wege haben", sagte Prof. Helmut Peter. Er ist verwundert über die langen Wartelisten in der Hansestadt, trotz der großen Anzahl von Therapeuten.

Den Psycho-Druck ihres Amtes hat Senatorin Prüfer-Storcks bereits am eigenen Leib erfahren. "Wenn ich auf eine Mail nicht gleich antworte, kriege ich schnell die zweite: Sind Sie überhaupt noch im Amt?"