Eine schwimmende Fabrikhalle baut die Röhren, durch die ab heute am Grund der Ostsee Erdgas von Russland nach Deutschland strömt.

Mukran (Rügen). Wie ein Schiff sieht die "Castoro Sei" wirklich nicht aus. Das Ungetüm ähnelt eher einer dieser Bohrinseln, die im Meer nach Erdöl oder Erdgas suchen. Das 143 Meter lange und 70 Meter breite Gefährt besteht hauptsächlich aus einer riesigen Plattform, die 16 Meter über dem Wasser auf zwei Reihen von jeweils fünf mächtigen Säulen ruht. Unter Wasser stehen diese Säulen auf zwei Pontons, die das Gefährt tragen. Diese Konstruktion lässt die "Castoro Sei" auch bei höheren Wellen ruhig im Wasser liegen - Bedingung dafür, dass die Techniker an Bord ihre Präzisionsarbeit leisten können. "Wir verlegen gut zwei Drittel der beiden jeweils 1224 Kilometer langen Röhren, in denen Nord Stream am Grund der Ostsee Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren will", erklärt Kapitän Domenico Alferj. Zwei weitere Schiffe kümmern sich um das letzte Drittel. Die erste Pipeline geht heute in Betrieb, am zweiten Strang arbeitet die "Castoro Sei" wohl noch bis Mai 2012.

Bis dahin aber wird die "Castoro Sei", die dem italienischen Unternehmen Saipem gehört, noch viele Kilometer Pipeline in der Ostsee versenken. Die zwölf Meter langen Stahlröhren kommen aus Mülheim an der Ruhr, Russland und sogar aus Japan. Zwischen 2,7 und 4,1 Zentimeter ist die stählerne Wand eines solchen Rohrs dick. Jede Röhre bringt daher mit elf bis zwölf Tonnen das Gewicht von acht Mittelklasseautos auf die Waage. Mit Güterzügen fahren die Kolosse zum Hafen Mukran auf der Insel Rügen oder in den finnischen Hafen Kotka. Dort legen Arbeiter in eigens für diesen Zweck errichteten Werken noch eine sechs bis elf Zentimeter dicke Betonhülle um den Stahl, der das Gewicht einer Röhre auf 23 Tonnen erhöht und den Stahlzylinder mit seinen 115 Zentimetern Innendurchmesser von außen schützt.

"Da wir Tag und Nacht durcharbeiten, liefern uns Transportschiffe laufend neue Röhren", erklärt der Ingenieur Arcangelo De Luca auf der "Castoro Sei". Zunächst werden jeweils zwei dieser gigantischen Röhren miteinander verschweißt. Da der Betonmantel ungefähr 40 Zentimeter vor den Enden der Röhren aufhört, können Automaten beide Teile von innen und außen gleichzeitig zusammenfügen. Mit Ultraschall untersuchen Spezialgeräte jede der Schweißnähte pingelig genau auf mögliche Schwachstellen. Entdecken sie einen Fehler, wird er sofort ausgebessert.

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Im Aufzug fahren diese 24 Meter langen und 46 Tonnen schweren Doppelstücke dann zu einer überdachten Werkhalle, die sich längs durch die gesamte "Castoro Sei" zieht. Die zentimeterdicken Stahlwände des neu eingetroffenen Teils werden dort in drei hintereinanderliegenden Stationen mit drei übereinanderliegenden Nähten an die bereits vorher zusammengefügten Röhren geschweißt. Langsam wächst so in dieser Werkhalle eine Pipeline.

Obwohl jeder Schritt von Spezialschweißern kontrolliert wurde, folgt an der vierten Station eine weitere Ultraschallprüfung, die jeden Millimeter der drei übereinanderliegenden Schweißnähte überprüft und dabei auch winzigste Risse oder Poren entdeckt. Solche Fehler werden sofort behoben, schließlich soll die Pipeline später mindestens 50 Jahre unter Wasser dicht bleiben. An der fünften Station ziehen Arbeiter dann eine schwarze Schrumpfplane über die fertigen Schweißnähte, die vor Rost schützt. Darüber kommt noch eine zentimeterdicke Kunststoffschicht aus Polyurethan, die mit einer Metallmanschette nach oben abgeschlossen wird.

Jetzt ist die Nahtstelle fertig, und dieses Stück der Pipeline kann ins Wasser gelassen werden. Dabei fährt das Schiff aber nicht mithilfe von Schiffsschrauben oder Wasserdüsen weiter. Vielmehr halten zwölf hausgroße, jeweils 25 Tonnen schwere Anker das Schiff an einer festen Position. Sobald das nächste Pipelinestück fertig ist, ziehen acht Dieselmotoren mit zusammen 23 600 Kilowatt Leistung die "Castoro Sei" an 7,6 Zentimeter dicken Ankerketten 24 Meter rückwärts unter der wachsenden Pipeline weiter. Dabei gleitet die Pipeline über einen mehr als 40 Meter weit ins Wasser reichenden Ausleger flach ins Wasser. In einer riesigen, viele Hundert Meter langen S-Kurve legt sich der fertige Strang dann auf den Grund der Ostsee.

"An guten Tagen verlegen wir so mehr als vier Kilometer Pipeline", erklärt Kapitän Domenico Alferj. An Stellen mit viel Schiffsverkehr oder im Flachwasser vor den Küsten wird die Pipeline in einen Graben verlegt, der mit Spezialsand wieder aufgefüllt und abgedeckt wird. Im großen Rest der Trasse aber liegt die Röhre oben auf dem Grund.

Auch wenn noch viel Arbeit auf die Besatzung der "Castoro Sei" und der anderen beteiligten Schiffe in den nächsten Monaten wartet, wird die Ostsee-Pipeline heute mit einem offiziellen Festakt in Lubmin eröffnet. Zu diesem werden unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, der russische Präsident Dmitri Medwedew, Frankreichs Premierminister François Fillon, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, EU-Energiekommissar Günther Oettinger und Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Vorsitzender des Ostseepipeline-Aufsichtsgremiums, erwartet.