Das europäische Satellitensystem soll Menschen und Maschinen bis auf 30 Zentimeter leiten und verlässlicher als GPS arbeiten.

Hamburg. Galileo stellt uns vor eine Geduldsprobe: Eigentlich sollte das europäische Satelliten-Navigationssystem schon 2008 seine Arbeit aufnehmen, aber daraus wurde nichts. Gestern dann schien endlich alles bereit - doch die russische "Sojus"-Rakete, die erstmals von Europas Weltraumbahnhof Kourou abheben sollte, musste am Boden bleiben; durch ein Problem mit der Automatik funktionierte die Betankung nicht. Für heute hat die Europäische Raumfahrtagentur Esa einen neuen Start angesetzt: Um 12.30 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit soll die Rakete die ersten beiden Galileo-Satelliten in den Weltraum transportieren.

Wird sich das Warten lohnen? Was bringt die neue Technik, die laut EU-Kommission statt der ursprünglich geplanten 3,4 Milliarden nun fast fünf Milliarden Euro kosten soll, für den Alltag auf der Erde? Die Esa jedenfalls preist Galileo schon jetzt in höchsten Tönen: Das System werde viel genauer und verlässlicher arbeiten als das Global Positioning System (GPS) der USA.

+++ Start der ersten Galileo-Satelliten verschoben +++

+++ Navi führt Ehepaar auf Wiese statt auf Autobahn +++

+++ Das erste Navi nur für Radfahrer +++

Es ist jedoch nicht nur die Aussicht auf eine genauere Navigation, die die mehr als 30 an dem Projekt beteiligten Staaten antreibt, so viel Geld auszugeben. Es geht dem Konsortium auch darum, sich unabhängig vom GPS zu machen. Denn das vom US-Verteidigungsministerium entwickelte Satellitensystem steht zwar kostenlos zivilen Nutzern in anderen Ländern offen, Millionen Menschen nutzen das GPS etwa mit Navigationsgeräten im Auto. Doch die Amerikaner können es jederzeit abschalten oder die Funktion verändern. Auch auf das russische System Glonass wollen sich die Europäer nicht verlassen, ebenso wenig wie auf das künftige Beidou-System der Chinesen.

Prinzipiell funktionieren all diese Systeme ähnlich, wobei die Orbita der jeweiligen Satelliten voneinander abweichen. Das GPS der Amerikaner besteht aus 24 Satelliten, die in 20.000 Kilometer Höhe die Erde auf festen, aber unterschiedlichen Bahnen umkreisen. Jeder Satellit sendet kontinuierlich ein individuelles codiertes Signal, das etwa ein Navigationsgerät im Auto empfangen kann. Mit den Signalen von mindestens vier Satelliten kann es die exakte Entfernung der Satelliten bestimmen und damit seine eigene Position bestimmen, konkret: den Längen- und Breitengrad, die Höhe über dem Meeresspiegel und die Zeit. Mithilfe einer digitalen Straßenkarte führt das Gerät den Fahrer dann zum Ziel.

Die digitale Karte basiert auf einem Datensatz, der auf jedem Navigationsgerät gespeichert ist. Die Daten enthalten etwa Angaben darüber, wie lang Straßen sind und ob es sich um Fußgängerwege, Landstraßen oder Autobahnen handelt. Gibt der Fahrer sein Ziel ein, vergleicht der Computer des Geräts Tausende von möglichen Wegen - und errechnet die schnellste Route.

Die Präzision der Navigation hängt entscheidend von der Genauigkeit der Zeitsignale ab, mit denen die Satelliten ihren Standort durchgeben. Die Besonderheit von Galileo: Jeder Satellit wird mit vier Atomuhren ausgestattet sein, die auf milliardstel Sekunden genau gehen - und damit nach Angaben der Esa mehr als doppelt so genau wie die modernsten Uhren in den GPS-Satelliten. Daraus folgt: Während GPS-Signale den Empfänger bis auf drei Meter genau lotsen, könnte Galileo eine Genauigkeit von 30 Zentimetern erreichen, so Esa-Sprecherin Jocelyne Landeau-Constantin. Daraus ergeben sich ihr zufolge etliche Vorteile für den Alltag. Die genauere Navigation im Straßenverkehr liegt auf der Hand. Weitere Beispiele:

Schienenverkehr: Würden Züge mit speziellen Chips ausgestattet, ließe sich exakt bestimmen, wo sich jeder einzelne Zug aufhält, etwa an welcher Baustelle er gerade gestoppt hat oder wie viele Züge in welcher Reihenfolge hintereinander im Bahnhof stehen. Der Vorteil: Abfahrts- und Ankunftszeiten ließen sich genauer abstimmen, die Pünktlichkeit könnte sich verbessern.

Flugverkehr: Bisher richten sich Piloten vor allem nach den Angaben von Fluglotsen. Durch eine zusätzliche Navigation mit Galileo ließe sich die Route präziser berechnen und so deutlich verkürzen; insbesondere beim Landeanflug ließe sich Zeit sparen.

Schiffsverkehr: Große Tanker brauchen in Häfen viel Platz und viel Zeit, um zu rangieren. Mithilfe von Galileo könnten Kapitäne einfacher, schneller und sicherer "einparken". Reeder und Hafenmanager könnten Abfahrts- und Ankunftszeiten genauer abstimmen.

Landwirtschaft: Es werden bereits erste Traktoren getestet, die durch Satellitennavigation ferngesteuert Felder düngen. Dazu gibt der Bauer die Größe und die Form seines Feldes in ein Computerprogramm ein. Überschneidungen auf der Strecke werden so vermieden, das Feld wird gleichmäßig gedüngt, der Bauer spart Düngemittel.

Insgesamt 30 Satelliten sollen für Galileo ins All geschossen werden; drei davon dienen als Ersatz. Überwacht werden könnten sie unter anderem vom deutschen Galileo-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen. Bis 2014 sollen mindestens 18 Satelliten in einer Entfernung von 23.000 Kilometern um die Erde kreisen; bis 2020 soll das Navigationssystem vollständig in Betrieb sein.

Im Endausbau soll Galileo dann fünf Dienste anbieten: einen offenen Dienst (z. B. Autonavigation), einen kommerziellen Dienst für professionelle Endanwender (z. B. aus dem Vermessungswesen), einen sicherheitskritischen Dienst (Flug-, Schienen- und Schiffsverkehr), einen regulierten Dienst für staatliche Zwecke (Polizei, Feuerwehr, Grenzschutz) sowie einen Such- und Rettungsdienst, der etwa vermisste Personen orten kann.