“Bernie“ aus Emden gibt Forschern Rätsel auf. Nun soll eine Computertomografie am Institut für Rechtsmedizin neue Erkenntnisse liefern.

Hamburg. War es Mord? Oder stürzte das Opfer, verletzte sich am Kopf und starb an den Folgen? Das ist in diesem Fall ziemlich schwer zu beantworten, denn der Gegenstand der Ermittlungen ist etwa 1200 Jahre alt.

Das Institut für Rechtsmedizin am UKE, Seminarraum 3. Durch die Fenster geht der Blick auf einen grünen Innenhof, auf dem Tisch liegt Moorleiche "Bernie". 100 schwarze Knochen auf Styropor, fein säuberlich zu einem Skelett angeordnet. Noch bis zum Ende der Woche wird das Team um Institutsleiter Prof. Klaus Püschel die Überreste mit einem Computertomograf durchleuchten, um die Rätsel zu lösen, die der Mann aus dem Mittelalter der Forschung aufgibt.

1907 zufällig von Torfstechern im Moor von Bernuthsfeld bei Emden entdeckt, gelangte die Leiche schnell zu lokaler Berühmtheit. Aufgebahrt in einer Vitrine zählt das Skelett seit mehr als 100 Jahren zu den bedeutendsten Objekten des Ostfriesischen Landesmuseums. Hunderte von Schulklassen standen schon an seiner Vitrine, schaudernd und zugleich fasziniert; für die Erwachsenen gehört "Bernie" so selbstverständlich zu Emden wie das Rathaus und das Hafentor. Zwar hatten Archäologen und Gerichtsmediziner den Fund bis 1925 mehrfach untersucht, "doch danach geriet Bernie in der Forschung in Vergessenheit", erzählt Dr. Jürgen Bär, der seit einem Jahr als Archäologe am Landesmuseum arbeitet.

+++Bernie enträtseln+++

+++Schaurige Moorgeschichten+++

Erst durch neue technische Möglichkeiten und beeinflusst durch den Fund des Eisenzeit-Mädchens "Moora", deren Gesicht Forscher erst vor Kurzem rekonstruierten, geriet der "Fall Bernie" wieder in Bewegung. Eine Radiokarbondatierung ergab 1996, dass der Mann wahrscheinlich im achten Jahrhundert lebte, also im frühen Mittelalter. Alle anderen Annahmen sind allerdings noch auf dem Stand von 1925. Demnach war Bernie 20 bis 30 Jahre alt, etwa 1,65 Meter groß und starb womöglich durch Gewalt, was die Forscher bisher aus seinem zertrümmerten Schädel schlossen.

Von diesem sind nur Ober- und Unterkiefer, Teile der Schädeldecke, des Jochbeins und der Augenbrauenknochen erhalten; das restliche Skelett ist dagegen nahezu vollständig und - verglichen mit anderen Moorleichen - in einem sehr guten Zustand. Sehr gut erhalten sind auch die Kleider, die Bernie trug. Sie bestehen aus 20 Teilen, darunter sind etwa ein Umhang mit Kapuze und ein knielanges Hemd, beide aus Schafswolle gewebt.

Forscher am Emder Klinikum scannten im Februar dieses Jahres erstmals die Knochen in einem Computertomograf. Aus den Daten errechneten Großcomputer im Emder VW-Werk ein dreidimensionales Bild; Ingenieure, die sonst Autoprototypen formen, rekonstruierten aus Kunstharz eine Rohform von Bernies Schädel.

Der Computertomograf am UKE bietet eine vierfach bessere Auflösung; er kann die Beschaffenheit des Skeletts also erheblich detaillierter darstellen. Einzelne Knochen laufen bis zu zwölf Stunden durch den Apparat.

"Wir werden den Verlauf der Bruchlinien am Schädel rekonstruieren, um festzustellen, ob Bernie tatsächlich durch einen Schlag gestorben ist", sagt Püschel. Ebenso gut könnte auch ein Unfall die Todesursache gewesen sein. Möglich sei auch, dass der Torf, der auf dem Toten lastete, den Schädel über die Jahrhunderte zerdrückte oder dass die Torfstecher, die Bernie fanden, die Knochen unfreiwillig zerstörten.

Die Durchleuchtung des Skeletts soll darüber hinaus zeigen, ob Bernie an Krankheiten litt - und ob die bisherigen Annahmen über die Moorleiche stimmen. "Wir werden erheblich genauere Daten zu Größe, Gewicht, Ernährung, Krankheiten und weiteren Lebensumständen bekommen", sagt Jürgen Bär. Erste Ergebnisse will der Archäologe Mitte November in Emden vorstellen.

Doch damit nicht genug: Wissenschaftler des Instituts für Computational Neurosience am UKE (vormals Institut für Medizinische Informatik) wollen mithilfe von Computerprogrammen die fehlenden Teile des Skeletts, insbesondere des Schädels, genauer rekonstruieren. Auf dieser Grundlage, sagt Bär, soll in drei bis fünf Jahren nicht nur Bernies Gesicht geformt werden können; vielmehr soll der ganze Körper aus Kunststoff "lebensnah" nachgebildet werden. "Der ganze Kerl soll wieder sichtbar werden", sagt Bär.

Er möchte endlich die Chancen nutzen, die der Fund bietet. "Es gibt für Ostfriesland nur wenige archäologische Funde und schriftliche Zeugnisse aus dem frühen Mittelalter, die uns erzählen, wie die Menschen damals dort lebten. Bernie könnte uns Informationen liefern, die wir aus anderen Quellen nie bekommen würden."