Nach der schweren Sturmflut 1962 ging es erst einmal um Sicherheit. Heute könnten die Schutzwälle auch wieder Erlebnisräume werden.

Hamburg. Wer an einen Deich denkt, hat das Bild eines breiten, allmählich ansteigenden, mit Gras bewachsenen Damms vor Augen, der bestenfalls durch ein paar Schafe belebt wird. Spätestens mit der nächsten Deicherhöhung könnte sich dies ändern - die Schutzanlagen könnten zu Erlebnisräumen werden. Ein solches Konzept erarbeitete das Hamburger Planungsbüro ops urbanelandschaften im Auftrag der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg für den 24 Kilometer langen Ringdeich, der die Wilhelmsburger Insel umschließt. Die Planer präsentieren ihren "Deichpark Elbinsel" auf der Fachmesse Acqua alta, die heute im CCH beginnt.

Mit steigendem Hochwasserrisiko wachsen auch die Deiche. Sie versperren schon heute vielerorts den Blick in die Elblandschaft. Ohne Wasser in Sichtweite sei vielen Wilhelmsburgern kaum noch gegenwärtig, dass sie auf einer Insel lebten, sagt Sabine Rabe vom ops-Büro. Deshalb gelte es auch, wieder mehr Risikobewusstsein im Umgang mit Hochwasser zu wecken. Mit ihrem Deichpark wollen die Landschaftsarchitekten die Inselbewohner wieder an das Flussufer locken. "Wir haben viele Wilhelmsburger gefragt, wo denn der nächstgelegene Übergang zum Elbvorland ist - viele wussten es nicht", erzählt Kollegin Prof. Antje Stokman.

Früher trugen Hamburger Deiche Straßen, Bäume oder Gebäude. Doch nach der schweren Sturmflut 1962, der allein in Wilhelmsburg 172 Menschen zum Opfer fielen, wurden solche Einbauten als Schwachstellen erkannt und konsequent entfernt. Heute ist die Deichkrone gleichförmig grün, und alles, was die empfindliche Grasnarbe ruinieren könnte, verboten, darunter Radfahren, Wandern in größeren Gruppen, Grillen. Folge: Die Deiche lassen die Menschen kaum ans Wasser heran.

Das Deichpark-Konzept zeigt Wege, wie sich an den bestehenden Deichen Hochwasserschutz und Freizeitnutzen besser vertragen. So könnten Aussichtspunkte den Blick auf die Elbe öffnen, Übergänge und die Verbindung von vorhandenen und neuen Fußwegen das Vorland erschließen. Auf den Sielgebäuden und Schöpfwerken, über die das Grabensystem in die Elbe entwässert, könnten "Deichbuden" gebaut werden, als Anlaufpunkte für Besucher. Stokman: "Es können einfache Info-Punkte sein, aber auch mal ein kleines Café, das Stühle ausleiht und Toiletten bietet. Wasser und Strom sind in den Sielgebäuden vorhanden." Erste Projekte sollen zur IBA 2013 realisiert sein.

Noch mehr Leben am Deich wird denkbar, wenn die Wälle ein weiteres Mal erhöht werden müssen und deshalb umfangreiche Bauarbeiten nötig sind. Hier setzen die Planer auf "platzsparende Schutzbauwerke, die kompakt und auf wenig Raum viele Nutzungen integrieren". Was zunächst nach einer Eier legenden Wollmilchsau klingt, ist in anderen Ländern bereits Realität. So entstand im Westen Rotterdams ein Einkaufszentrum als Teil der Deichlinie, und in Japan werden Deiche in einzelnen Projekten so stark verbreitert, dass auf ihnen Bauland entsteht. "Wir brauchen dazu einen ganz anderen Typ von Deich", sagt Stokman.

Die heutige Deichkonstruktion müsse mit jedem Höhenmeter sechs Meter breiter werden. Stattdessen könne man noch stärker in die Breite gehen, um auf der Hochwasserschutzanlage Gebäude oder Straßen zu errichten. Alternativ kann das Bauwerk auch schmaler werden, indem eine Schutzmauer den Erddeich ersetzt. Diese Konstruktion findet sich schon heute mancherorts entlang der Deichlinie. Wenn man durch eine Mauer innendeichs Platz gewinnt, dann lassen sich dort Gebäude errichten. Eine solche Lösung präsentiert das Deichpark-Projektteam für den Spreehafen auf der Veddel, der Deichlinie, auf der der 2010 geöffnete Zollzaun des Freihafens verläuft.

Die Kombination von Stützmauer und Deich erlaube es sogar, wieder Bäume auf der Deichkrone wachsen zu lassen, betont Stokman: "In diesem Fall leistet die Mauer den Flutschutz. Sollten die Bäume bei einer Sturmflut weggerissen werden, wird zwar der Erddeich beschädigt, aber der Flutschutz bleibt gewahrt." Eine solche Konstruktion findet sich am Ernst-August-Kanal. Im Deichpark-Konzept wird daraus die "Wilhelmsburger Highline".

Die Bezeichnungen der neuen Deichkonzepte sind modern, die Wasserbau-Architektur ist es ebenfalls. Aber Aussehen und Funktionsweise erinnern an Zeiten, in denen die Menschen mehr Verbindung zum Wasser hatten. Allerdings auf einem viel niedrigeren - zu niedrigen - Schutzniveau.