Der psychisch kranke Hamburger Rolf Sieck schildert seinen Leidensweg und gibt der Kampagne des Projekts Psychenet ein Gesicht.

Hamburg. Zwei Jahre lang wurde Rolf Sieck von zahlreichen körperlichen Beschwerden geplagt. Der heute 60-Jährige litt unter Schulterbeschwerden, häufigen Erkältungen, unklaren Schmerzen in den Füßen und Magenproblemen. Hinzu kamen Konzentrations- und Schlafstörungen. Immer wieder war er deswegen beim Arzt, aber eine Ursache wurde nie so richtig gefunden. Schließlich wurde ihm alles zu viel. Der Angestellte einer Krankenkasse sagt: "Ich hatte Angst, zur Arbeit zur gehen." Er fühlte sich unsicher und befürchtete, als Versager dazustehen. Hinzu kamen Probleme im privaten Bereich. Nach einer Trennung hatte er eine neue Lebenspartnerin gefunden. Der Bau eines Hauses sollte der Start in eine neue Zukunft werden. Doch Rolf Sieck konnte nicht mehr. Sein Arzt schrieb ihn wegen Erschöpfung krank. Als nach drei Monaten keine Besserung eingetreten war, schickte er ihn zur Kur. Dort hieß die Diagnose: Depression.

So wie Rolf Sieck geht es vielen Menschen in Hamburg. Jeder Fünfte in der Hansestadt leidet an einer psychischen Störung. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen und sogenannte somatoforme Störungen, also körperliche Beschwerden, für die sich keine Ursache findet.

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Um die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern, haben die Hamburger Gesundheitsbehörde, die Handelskammer Hamburg, das Universitätsklinikum Eppendorf und die Gesundheitswirtschaft Hamburg GmbH gestern eine Aufklärungskampagne zum Thema psychische Gesundheit gestartet. Ziel des Projekts Psychenet ist, die Bevölkerung über psychische Erkrankungen zu informieren und deutlich zu machen, dass solche Probleme jeden treffen können und gut zu behandeln sind. "Psychenet möchte vor allem zur weiteren Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen. Denn es gibt immer noch Vorurteile in der Bevölkerung", sagte Dr. Maren Kentgens, Geschäftsführerin der Gesundheitswirtschaft Hamburg GmbH und Projektkoordinatorin von Psychenet.

Diese Vorurteile bekam auch Rolf Sieck zu spüren - als er wegen seiner Erkrankung nicht mehr arbeiten konnte und vorzeitig in Rente gehen musste. "Nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit verließ ich meinen Arbeitsplatz sozusagen still und leise durch die Hintertür. Eine Verabschiedung hat nicht stattgefunden - das war ziemlich hart." Gegenüber seinen Fußballkollegen legte er nach dem Selbstmord des Fußballspielers Robert Enke seine Erkrankung offen und war froh, dass er sich endlich nicht mehr verstecken musste. "Dadurch ist der Druck, der auf mir lastete, deutlich weniger geworden."

Damit sich aus Lebenskrisen und seelischen Problemen keine ernsten psychischen Krankheiten entwickeln, ist es wichtig, dass Betroffene frühzeitig Hilfe bekommen. Die Wartezeit für ein erstes Gespräch bei einem Psychotherapeuten liegt im Moment in den Großstädten bei zwei bis drei Monaten, auf dem Land etwa bei vier Monaten.

Ziel müsse es sein, so Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks, für jeden Menschen individuell zu jeder Zeit die für ihn passende Versorgung zu finden. Das sei aber nicht unbedingt eine Frage von Kapazitäten: "Unser Gesundheitswesen krankt daran, das Patienten nicht zielgerichtet eine Therapie bekommen", so die Senatorin. Vor diesem Hintergrund betonte sie auch, wie wichtig die Vernetzung von stationären, ambulanten und sozialen Versorgungsangeboten sei.

In dem Projektverbund Psychenet haben sich 60 Einrichtungen und Unternehmen im Hamburger Gesundheitswesen zusammengeschlossen, mit dem Ziel, die psychische Gesundheit der Hamburger zu fördern und psychische Erkrankungen früh zu erkennen und nachhaltig zu behandeln. Dafür ist Psychenet in unterschiedliche Teilprojekte gegliedert.

Neben der Aufklärungskampagne mit Plakaten gehört dazu auch das Internetportal www.psychenet.de . "Dieses bietet Aufklärung, Informationen über Therapieangebote und Bildung", sagte Prof. Martin Lambert, Leiter des Arbeitsbereichs Psychosen am UKE und stellvertretender wissenschaftlicher Sprecher von Psychenet.

In weiteren Teilprojekten geht es um die Verbesserung der Gesundheit im Betrieb, Unterstützung von Hausärzten durch speziell geschultes Personal und die Beteiligung von Betroffenen und Angehörigen. Dabei konzentriert sich das Psychenet auf fünf Gesundheitsnetze zu folgenden Themen: Psychose, Depression, Alkohol im Jugendalter, Magersucht und Bulimie und somatoforme Störungen.

Rolf Sieck träumt auch heute noch mindestens einmal im Monat von der Arbeit. "Aber ich habe eine sehr gute Partnerschaft, und ich engagiere mich im Verein ,Irre menschlich'." Das ist ein Hamburger Verein, in dem Menschen mit psychischen Erkrankungen, Angehörige und Therapeuten gemeinsam Projekte zu den Themen seelische Gesundheit und psychische Krankheiten organisieren."