Hamburger Psychotherapeuten warnen vor einer Versorgungslücke. Die Politik soll jetzt handeln.

Hamburg. Wegen der dramatisch anwachsenden Wartelisten von Patienten mit Burn-out-Syndrom, Depressionen und anderen Seelenleiden haben die Hamburger Psychotherapeuten einen Alarmbrief an die Bundestagsabgeordneten aller Parteien geschrieben. In dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es: "Im Durchschnitt warten die Patienten bei uns in Hamburg 8,4 Wochen auf ein erstes diagnostisches Gespräch." Auf dem Land liegen die Wartezeiten sogar bei etwa vier Monaten.

Die "völlig unzureichende Versorgungssituation" für die psychisch Kranken in Hamburg, die oft akut Hilfe benötigten, drohe sich künftig noch weiter zu verschlechtern, heißt es in dem Brief. Nach dem geplanten neuen Versorgungsstrukturgesetz könnten den 906 Psychotherapeuten in der Hansestadt 149 Kassenzulassungen gestrichen werden. Dem sollten sich die Hamburger Parlamentarier entgegenstellen.

Nach neuen Erkenntnissen ist jeder fünfte Arbeitnehmer gefährdet, ein Burn-out (vegetatives Erschöpfungssyndrom) zu erleiden. Eine der Ursachen ist die zunehmende berufliche Belastung vieler Menschen.

"Hamburg hält bundesweit den traurigen Rekord bei den psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz", sagte der Geschäftsführer der Psychotherapeutenkammer, Thomas Grabenkamp, dem Abendblatt. "Die Patienten werden von Pontius zu Pilatus geschickt und mit Tabletten vollgestopft."

Die Experten beklagen, dass der Politik der Ernst der Lage nicht bewusst sei. Die Planungen für die Behandlung psychischer Erkrankungen basierten auf Statistiken von 1999. In der Metropolregion Hamburg stiegen die Zahlen von Patienten mit seelischen Leiden jedoch seit einigen Jahren immens an. Planung und tatsächlicher Bedarf an Therapeuten klafften inzwischen weit auseinander, so die Mediziner. Dies belaste die Krankenkassen, die wegen der spät einsetzenden Behandlung umso längere Therapien sowie Krankengeld zahlen müssten. Auch die Wirtschaft leide unter den vielen Fehltagen.

Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) startete gestern die Aufklärungskampagne Psychenet über psychische Erkrankungen. Ziel müsse es sein, für jeden Patienten die individuell beste Therapie zu finden. Das sei nicht unbedingt eine Frage von Kapazitäten, sagte die Senatorin. "Psychisch kranke Menschen brauchen in erster Linie eine wohnortnahe Versorgung in ihrem sozialen Umfeld." Wichtig sei die Vernetzung von stationärer, ambulanter und sozialer Versorgung.

Für psychisch Kranke hatte der Hamburger Senat den Krankenhäusern zusätzlich 52 vollstationäre und 30 teilstationäre Betten gewährt. Sie sollen im UKE, in der Asklepios-Klinik Nord, im Westklinikum, in der Schön-Klinik, im Albertinen und Bethesda angeboten werden. Die Hamburgische Krankenhausgesellschaft hält diese Ausweitung für zu gering. Auch die Psychotherapeuten sind "sauer auf die Behörde", wie Kammer-Geschäftsführer Grabenkamp sagte. Eine Behandlung im Krankenhaus ist fast immer deutlich teurer als eine ambulante Therapie. Die Techniker Krankenkasse ermittelte zuletzt in Hamburg 44 Prozent mehr Fehltage durch psychische Krankheiten als im deutschen Durchschnitt.