Mit Spinnen verbinden viele Menschen unangenehme Bilder. Dabei haben die Tiere Fähigkeiten, an deren Nachahmung Forscher seit Jahrzehnten tüfteln.

München. Menschen mit einer ausgeprägten Angst vor Spinnen sind hier an der falschen Adresse. Unter dem Firmenlogo prangt in mehrfacher Vergrößerung das Bild einer Spinne – der europäischen Gartenkreuzspinne, um genau zu sein. Auf Flyern und Unternehmensbroschüren ist sie präsent, auch auf Grußkarten. Schließlich war sie die Ideengeberin für ein kostbares Produkt, das nun erstmals außerhalb des Tierleibs in größeren Mengen hergestellt werden kann: Spinnenseide. Dem Münchner Start-up-Unternehmen Amsilk ist damit etwas gelungen, woran mehrere Großkonzerne trotz jahrzehntelanger Forschung gescheitert waren.

Spinnenseide künstlich herzustellen, daran hatten sich viele versucht, ehe der Proteinchemiker Thomas Scheibel an der TU München endlich Erfolg hatte. Er habe den Spinnen auf den Hintern geguckt, frotzeln sie bei Amsilk über ihren Gesellschafter, der mit seinen 42 Jahren nun auch Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth ist.

Grund für die Begehrlichkeiten ist, dass Spinnenseide aufgrund seiner Eigenschaften in Cremetöpfen ebenso zum Einsatz kommen kann wie zur Beschichtung von Implantaten in der Medizin bis hin zu Hochleistungstextilien und Bauteilen im Fahrzeugbau. Da lockt ein Milliardenmarkt. Einem Material, das in der Natur beispielsweise das vielfache Gewicht einer Hummel auffangen kann, die im vollen Flug in ein Spinnennetz gerät, scheinen kaum Grenzen gesetzt. „Spinnenseide ist dehnbarer als Gummi und belastbarer als Stahl“, schwärmt Scheibel.

Hinter dem kleinen Kontrollfenster des Fermentors in den Amsilk-Labors im Biotech-Dreieck Martinsried sieht es eher so aus, als würde gerade Karamellpudding angerührt. Bei 37 Grad Celsius werden E-Coli-Bakterien in einer Nährlösung vermehrt. „Aber nur die harmlosen“, beruhigt Geschäftsführer Axel Leimer. Er weiß schon, dass er bei der Erwähnung der Bakterien meist Erinnerungen an die letzte EHEC-Epidemie auslöst. Je karamelliger die Flüssigkeit wird, desto mehr Bakterien sind in der Lösung. Zeit, das Gen für das Spinnenseidenprotein einzusetzen und die Produktion mit dem Zusatz eines chemischen Mittels quasi „anzuschalten“. Alles andere geht dann fast von allein.

Was am Ende der mit fast 70 Patenten geschützten Prozedur herauskommt, hat optisch Ähnlichkeit mit einer Zellophanfolie, ist aber viel stabiler. Gelegentlich, erzählt Geschäftsführer Leimer, würden schon Bestellungen für einen Ballen Spinnenseide eingehen. Bisher aber muss er solche Anrufer noch abwimmeln. Denn die Produktion, die im Labor relativ einfach aussieht, auf Industriemaßstab hochzufahren, ist derzeit noch die große Herausforderung. Vor allem wegen der Kosten. „Den Preis von Nylon werden wir nie erreichen“, sagt Erfinder Scheibel. „Aber manche Prozesse müssen komplett neu erfunden werden. Sonst kostet ein Kilo Spinnenseide schnell 100 000 Euro.“

„Alles steht und fällt mit dem Endpreis, weiß auch Hans-Peter Fink, Direktor des Fraunhofer Instituts für angewandte Polymerforschung in Potsdam. Trotzdem glauben die Wissenschaftler der angesehenen Forschungsinstitution an das Potenzial und kooperieren nun mit Amsilk bei der Entwicklung eines industriellen Spinnprozesses. „Die ersten Produkte sehen wir nächstes Jahr“, zeigt sich Amsilk-Geschäftsführer Leimer zuversichtlich. Dann wird es auch langsam Zeit. Denn die insgesamt zehn Millionen Euro Anschubfinanzierung durch den Münchner MIG Fonds und weitere Privatinvestoren reichen vermutlich nur bis 2013.