Berlepsch, Gravensteiner oder Jamba lösen seltener allergische Reaktionen aus als neue Züchtungen. Dennoch raten Ärzte zur Vorsicht

Hamburg. 17 Kilogramm Äpfel isst jeder Bundesbürger rechnerisch im Jahr - tatsächlich können sich längst nicht alle das gesundheitsfördernde Obst schmecken lassen. Etwa zwei Millionen Menschen reagieren beim Biss in einen Apfel allergisch. Immerhin gibt es Unterschiede zwischen den Sorten: Mancher Traditionsapfel ist bekömmlicher als die heutige Massenware.

Viele Apfelallergiker verzichten auf frisches Kernobst. Ein Schritt, der oft nicht nötig ist. Vor allem ältere Sorten, die nicht sehr lange lagern, scheinen allergische Reaktionen zu minimieren oder bestenfalls sogar auszuschließen. Sie besitzen meist weniger Allergene als jüngere Züchtungen. "Die meisten Menschen sind an die enthaltenen Proteine in alten Apfelsorten gewöhnt, deshalb bleiben Reaktionen beim Verspeisen aus", sagt Hans Steinhart, emeritierter Professor für Lebensmittelchemie von der Universität Hamburg.

Aktuellen Forschungen zufolge spielt auch der Gehalt an Polyphenolen in Äpfeln eine Rolle bei der Verträglichkeit. Die Substanzen sind unter anderem dafür verantwortlich, dass ein Apfel nach dem Anschneiden braun wird. Laut dem Deutschen Allergie- und Asthmabund wurden die Stoffe deshalb aus neueren Sorten systematisch herausgezüchtet. Forscher der Uni Hohenheim haben jedoch herausgefunden, dass Polyphenole offenbar auch das Apfelallergen inaktivieren.

"Insbesondere die alten Sorten Boskoop, Gravensteiner, Jamba, Hammerstein, Berlepsch und Goldparmäne gelten vor diesem Hintergrund als gut verträglich", sagt Prof. Christine Behr-Völtzer, Ernährungswissenschaftlerin von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Da das Allergie auslösende Protein Mal d 1 sehr empfindlich ist, kann auch die Verarbeitung in der Küche das Äpfelessen erleichtern. "Bereits beim Erhitzen oder Reiben eines Apfels werden die Allergene zerstört, sodass etwa Apfelmus von Betroffenen meist sehr gut vertragen wird", betont Behr-Völtzer. Eine Erfahrung, die auch Matthias Görgens, stellvertretender Leiter der Obstbauversuchsanstalt in Jork, gemacht hat. Mit seinen Kollegen gibt er Allergikern Auskunft über diverse Apfelsorten. "Garantien für die Bekömmlichkeit gibt es aber nicht, die Reaktionen auf bestimmte Sorten können sehr unterschiedlich sein", sagt Görgens.

Sicher scheint nur, dass vor allem Neuzüchtungen wie Jonagold und Granny Smith Apfelallergikern Probleme bereiten. "Der Grund dafür liegt in der Veränderung der Proteine", erklärt Steinhart das Phänomen. So würden bei der Züchtung einige Gene der Äpfel verändert, um besseren Geschmack oder schöneres Aussehen zu erzielen. "Diese Gene verändern natürlich das Proteinmuster. Die Proteine nehmen eine andere Struktur an und fungieren im Endeffekt als jene Allergene, auf die Menschen dann überempfindlich reagieren können", sagt der Hamburger Forscher.

Doch es gibt auch Ausnahmen unter den neuen Sorten: Die landwirtschaftliche Universität Wageningen in den Niederlanden hat 1978 durch Zufall den offenbar für viele Allergiker bekömmlichen Santana-Apfel gezüchtet. Eigentlich wollten die Forscher eine Apfelsorte entwickeln, die resistent gegen Apfelschorf ist. Durch die Kreuzung der Sorten Braeburn und Priscilla entstand mit dem Santana ein Apfel, der neben der Schorfresistenz einen positiven Effekt auf die Verträglichkeit bei Allergikern hat. Dies liegt offenbar an dem geringen Gehalt Allergie auslösender Eiweiße im Santana-Apfel .

Welche Sorten als bekömmlich gelten, hat der BUND Lemgo auf seiner Homepage veröffentlicht. Betroffene können dort Erfahrungen einbringen und sich über Bezugsquellen alter Obstsorten informieren. Ein Patentrezept gegen allergische Reaktionen gibt es aber nicht, mahnen Ärzte und Forscher.

Wer keine Rücksicht auf die Sorte nehmen möchte, sollte auf jeden Fall einen Arzt konsultieren. Eventuell könne eine Hyposensibilisierungstherapie helfen, bei der die Überreaktion des Immunsystems auf das Allergen reduziert werde, sagt Prof. Karl Christian Bergmann vom Allergiezentrum der Berliner Charité. "60 bis 70 Prozent der Patienten, die sich an der Charité einer sogenannten sublingualen Immuntherapie unterziehen und Tropfen aus Birkenpollenextrakt einnehmen, können nach einem Jahr wieder problemlos alle Apfelsorten essen", sagt Bergmann. Apfelallergiker, die im Selbsttest herausfinden möchten, welche Sorten sie vertragen, sollten äußerst vorsichtig sein. Ärzte raten dazu, zunächst nur einen Lippentest mit einem ungeschälten Apfel zu machen und bei ausbleibender Reaktion die Verzehrmenge langsam zu steigern. Wer hochgradig sensibilisiert ist, sollte unbedingt ärztlichen Rat suchen, bevor er Apfelsorten testet. "Es ist die sicherere Variante", sagt Bergmann.

Hinweise zum Kauf von allergenarmen Äpfeln unter: www.boomgarden.de