Am Mittwoch beginnt im CCH der Weltkongress der Adipositaschirurgen. Eine Patientin erzählt, wie die Eingriffe ihr halfen, 70 Kilo abzunehmen.

Hamburg. "Schon mit 15 wog ich ein bisschen mehr als alle anderen", erzählt Marlies Wüpper, 58. Die gelernte Arzthelferin und Altenpflegerin heiratete, bekam zwei Kinder - und nahm immer mehr zu. Vergeblich versuchte sie, mit Diäten gegenzusteuern. "Dabei habe ich zehn Kilo abgenommen, aber danach 20 Kilo zu." Als sie mit 36 in ihren Beruf als Altenpflegerin zurückkehrte, wog sie 100 Kilo - bei einer Größe von 1,58 Metern. Körperliche Beschwerden wie Bluthochdruck und Gelenkschmerzen kamen hinzu. Marlies Wüpper hörte vom Magenband, das den Magen künstlich verkleinert und wandte sich 1998 ans UKE, um sich operieren zu lassen. Damals wog sie 150 Kilo. "Der Arzt hat mich über die Operation und die Komplikationen aufgeklärt. Aber ich habe gesagt: Wenn ich so weiterlebe, werde ich keine 50 oder 60. Dann habe ich Ende 1999 ein Magenband erhalten und danach innerhalb von 3,5 Jahren 60 Kilogramm abgenommen."

Was Ende der 90er-Jahre mit dem Magenband begann, hat sich heute zur Adipositas-Chirurgie mit unterschiedlichen Operationsmethoden weiterentwickelt. Morgen beginnt im CCH mit über 2000 Teilnehmern das größte internationale Zusammentreffen der Adipositas-Chirurgen. Als Adipositas bezeichnen Mediziner starkes Übergewicht mit einem Body Mass Index (BMI, Körpergewicht in Kilo geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern) von 30 und mehr. Normal ist ein BMI zwischen 20 und 25. Nach Schätzungen haben rund eine Million Menschen in Deutschland einen BMI von mehr als 40 und sind damit extrem übergewichtig. "5000 bis 6000 adipositas-chirurgische Eingriffe werden pro Jahr in Deutschland durchgeführt, Tendenz steigend", sagt Dr. Beate Herbig, Leiterin des Adipositaszentrums am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg und Mitglied des Organisationskomitees für den Weltkongress.

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Ein Höhepunkt der Tagung sind die Live-Operationen, die an einem Tag aus vier Sälen ins CCH übertragen werden. 15 Chirurgen aus aller Welt werden dort Patienten mit den unterschiedlichen Verfahren operieren. "Die Hauptoperation ist zurzeit der Magenbypass", sagt Herbig. "Das ist eine Operation, die seit den 60er-Jahren in den USA bekannt ist und bei der man die meisten Langzeiterfahrungen hat. Man weiß heute, dass es eine sehr sichere Operation ist, die einen langfristigen Gewichtsverlust ermöglicht." Bei dieser Methode wird der Magen in einen oberen kleinen und unteren größeren Abschnitt geteilt und der Dünndarm durchtrennt. Dann wird das untere Ende des Dünndarms an den kleinen Magen angenäht und das obere Ende in einem tieferen Abschnitt wieder mit dem Dünndarm verbunden.

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Das hat zwei Konsequenzen: In den kleinen Magen passt weniger hinein und das Wenige, was gegessen wird, wird schlechter verdaut. Denn die Nahrung und Verdauungssäfte treffen nicht direkt hinter dem Magen aufeinander, sondern kommen erst zusammen, wenn die Nahrung schon 1,5 Meter im Darm zurückgelegt hat. "Der positive Effekt ist, dass dadurch weniger Kalorien aufgenommen werden. Aber gleichzeitig wird die Aufnahme von bestimmten Mineralien und Vitaminen schlechter, sodass die Patienten lebenslang zusätzlich Vitamine und Mineralien zu sich nehmen müssen", erklärt Herbig.

Um diese Nachteile auszugleichen, wurde eine weitere Methode entwickelt, der Schlauchmagen, bei dem der Magen, wie der Name schon sagt, operativ auf die Form eines Schlauchs verkleinert wird. Diese Methode wurde auch bei Marlies Wüpper angewandt, denn das Magenband war in den Magen eingewachsen und musste 2005 entfernt werden. "Ohne diese ,Krücke' habe ich in eineinhalb Jahren fast 30 Kilo wieder zugenommen. 2007 wurde ich nochmals operiert. Mein Magen wurde zu einem Schlauchmagen verkleinert. Danach habe ich wieder abgenommen und wiege jetzt 80 Kilogramm."

"Mit einem Schlauchmagen muss man zwar nicht zusätzlich Mineralien und Vitamine schlucken. Aber es hat sich jetzt herausgestellt, dass bis zu 30 Prozent der Patienten wieder operiert werden müssen, weil der Schlauchmagen sich wieder ausweitet und sie wieder zunehmen", sagt die Chirurgin. Auf dem Kongress wird diskutiert, wie der Stellenwert dieser OP heute eingeschätzt wird. Bei sehr dicken Menschen werden auch beide Möglichkeiten kombiniert. So kann man zunächst einen Schlauchmagen operieren und im zweiten Schritt, wenn er schon abgenommen hat, einen Magenbypass. Aber jede OP ist ein Risiko. So wird es auf dem Kongress auch um mögliche Komplikationen solcher Eingriffe gehen. Dazu zählen zum Beispiel Undichtigkeiten von Nähten im Magen-Darm-Trakt, Engstellen an den operierten Passagen und die erneute Ausweitung des verkleinerten Magens.

Egal für welche Operation man sich entscheidet: die ersten zwei Jahre danach sind die Phase, in der man viel Gewicht verlieren kann. Und dann wird es für jeden Operierten eine Anstrengung, dieses Gewicht zu halten. Tendenziell nehmen operierte Patienten wieder ein bisschen zu, bleiben aber auch nach 15 Jahren noch deutlich unter dem, was man ohne OP erreichen kann. "Man muss nicht denken, die OP allein macht alles besser. Dazu gehören auch Sport und eine Änderung der Essgewohnheiten", sagt Marlies Wüpper. Ihre Mahlzeiten sind im Vergleich zu früher bescheiden, weil der kleine Magen schnell gefüllt ist. Morgens isst sie ein halbes Brötchen, mittags ein kleines Stück Fleisch mit zwei Kartoffeln und zwei Esslöffeln Gemüse und abends eine Quarkspeise oder einen Salat. "Davon bin ich satt. Ich nasche auch zwischendurch, aber nicht eine Tafel Schokolade wie früher, sondern höchstens einen Riegel. Ich gehe einmal in der Woche schwimmen und ich habe auch eine Verhaltenstherapie gemacht, um herauszubekommen, woran die Gewichtszunahme gelegen hat. Und ich habe gelernt, Stresssituationen in den Griff zu bekommen."

Wer operiert werden will, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sein BMI muss über 40 liegen oder über 35, wenn er bereits unter schweren Folgeerkrankungen wie Diabetes leidet. Außerdem darf er nicht an einer schweren akuten psychiatrischen Krankheit oder an einer unbehandelten Suchterkrankung leiden. Er muss eine hohe Motivation nachweisen sowie ausreichende Versuche in der Vergangenheit, es ohne OP zu schaffen.

Wenn eine OP indiziert ist, muss ein mindestens sechsmonatiges Behandlungskonzept vorausgehen mit Ernährungstherapie und Sport. Sonst gibt es keine Zulassung zur OP von der Krankenkasse. "Um diese Zulassung zu bekommen, muss man einen bürokratischen Hürdenlauf meistern und manchmal auch einen langen Atem haben", sagt Beate Herbig. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sei in Deutschland die Operationsrate immer noch niedrig.